Von gemütlicher Seemannsromantik, mit bärtigem, Pfeife schmökerndem Kapitän, der sein Schiff gelassen durch alle Unwägbarkeiten steuert, ist an heutigen Containerhäfen wenig zu spüren – und war es wohl auch nie. An der Stromkaje des Terminals von Bremerhaven jedenfalls, die mit ihren beinahe 5 km Europas längste ist, geht es inzwischen um schier unvorstellbare Gütermengen und Schiffsgrößen. Im Stundentakt legen die Ozeanriesen an und verladen: Um die 5,5 Millionen Container, jeweils in genormter Länge von 20 oder 40 Fuß und einer Höhe von 2,59 m, gehen hier jährlich an Land. Das ergibt aufeinandergestapelt jedes Jahr einen Containerturm in abenteuerlicher Höhe von etwa 14.000 km. Das ist höher als die Erde.
Ausbau dringend notwendig
Schon aufgrund solcher Mengen muss hier vieles perfekt ineinandergreifen und sicher funktionieren. Von Augenmaß beim Anlegen, wie in den guten alten Zeiten der „cais“, will man in Bremerhaven jedenfalls nichts mehr wissen. Hier hat man verstanden, dass in jeder Hinsicht Vorsicht geboten ist und doppelt kontrolliert besser hält. „Containerschiffe hinterlassen beim Anlegen manchmal enorme Schäden an der Kaje von Bremerhaven“, erklärt Peter Kara von der Hafengesellschaft Bremenports. „Das ist eins unserer dringlichsten Probleme, das wir im Rahmen der Zukunftssicherung unseres Terminals angehen müssen – und werden.“
Peter Kara beschreibt damit ein weltweites Problem, das nur in Extremfällen für Schlagzeilen sorgt. Und doch sind die Schäden, die in den vergangenen Jahrzehnten an Bremerhavens Kaje durch das Anlegen von Schiffen entstanden sind, enorm. Jedes unsachgemäße Anlegen hinterlässt Spuren, die sich akkumulieren. Und dies nicht nur, wenn, wie im April 2019, die Zeitungen groß von Kollateralschäden an Schiff und Pier berichten.
Die Rechnung zahlt der Hafen
Wie genau angelegt werden sollte, das lässt sich häufig selbst mit modernen Meteo-Daten nicht vorhersagen. Windrichtungen – auflandig oder ablandig, Windstärken und Pegelstände gehören zu den dynamischen Einflüssen, die richtig berechnet werden wollen. Hinzu kommen zwei weitere Umstände: Containerschiffe müssen unter hohem Wettbewerbsdruck immer knapper wirtschaften, und auch der „Faktor Mensch“, wie ihn Vega-Vertriebsmanager Lars Frerichs nennt, spielt eine entscheidende Rolle: „Letztlich entscheidet der Kapitän, wie viele Schlepper er beim Anlegen einsetzt. Das ist für ihn eine Kostenfrage. Um rentabel zu bleiben, wird er eher zu wenige, als zu viele dafür vorsehen.“
Doch eine Frage der Wirtschaftlichkeit ist das Anlegen nicht nur für den Kapitän und sein Schiff. Werden Fehler gemacht, dann geht der größte Teil der Rechnung zu Lasten der betreibenden Hafengesellschaft. Wenn in Bremerhaven ein Schiff zu schräg oder zu schnell auf die dortige Kaje trifft, dann drücken riesige Kräfte gegen die Kai-Mauern. „Gegen eine solche Wucht helfen auch die vielen installierten Gummifender nicht weiter“, berichtet Lars Frerichs. Bei diesen „Gummipuffern“, die durch das neue System besser geschützt würden, handelt es sich um Verschleißartikel, für dessen Einzelkosten sich ein kleines Einfamilienhaus bauen ließe.
Radarmesstechnik neu gedacht
Seit 2006 beliefert er seinen Kunden Bremenports mit Vega-Radarsensoren für die Pegelmessungen an den Weserschleusen. „Die Zusammenarbeit ist mehr als partnerschaftlich“, sagt er, „wir vertrauen uns gegenseitig und trauen uns auch vieles zu.“ So war es in diesem Zusammenhang zunächst Zufall, dass Frerichs von den Problemen seines Kunden an der Kaje erfuhr. „Kann man das nicht auch mit Radar lösen?“ fragte sich Peter Kara. Der Einsatz war für die Messtechnik zwar Neuland, aber „wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Einen Versuch war es wert“, erinnert sich Frerichs. Und so entstand eine Pilotanlage zur Abstandmessung in der mächtigen Wellenkammer unterhalb der Kaimauer. Die Kammer biete auf ganzer Länge und in alle Richtungen Platz genug, damit sich die Wellen hier „totschlagen“ können, erklärt Frerichs. „In einem digitalen Versuch messen seit einigen Jahren Radarsensoren Vegapuls auf einer Länge von 400 m den Abstand zwischen den anlegenden Schiffen und der Kaje.“
Radarsensoren im offenen Gewölbe
Die Wellenkammer darf man sich als riesiges, halb offenes Kellergewölbe des Bremerhavener Containerterminals denken, das unterhalb der 5 km langen Kaje verläuft. Hohe Betonsäulen stützen ihren langen Hohlraum gegen die Wasserkante ab. Nähert sich ein Containerschiff, dann schießen Wellen, der sogenannte „Schwell“, zwischen diesen Säulen hindurch und fluten die Kammer. So bleibt der Seegang auf der Weser gering, und Schiffe können verhältnismäßig ruhig entlang der Kaje be- oder entladen werden. Nur darunter toben die Naturgewalten, denn die anrollenden Wellen werden von der Rückwand der Kammer wieder gegengelenkt, bevor sie sich anschließend selbst an der nächsten anrollenden Welle neutralisieren.
Schiffseinlauf sicher überwacht
Im Abstand von jeweils knapp 30 m wurden letzten Sommer in der Kammer 58 Radarsensoren Vegapuls 6X montiert. Sie zeigen mit ihren Antennen waagerecht in Richtung offenes Meer und messen die Abstände zu den gerade einlaufenden Schiffen in einer Distanz von etwa 90 m. Es sind ihre Werte, die in Relation gesetzt, Rückschlüsse auf die Geschwindigkeit zulassen, mit der sich das Schiff nähert. Auch der Winkel, den es eingeschlagen hat und die Verformung der Fenderkonstruktion werden so ermittelt. Denn es sind die beiden „Variablen“ Tempo und Auflaufwinkel, die maßgeblich für das unsachgemäße Anlegen verantwortlich sind. Ihre Spuren sammeln sich auf der harten Betonoberfläche der Kaje – mal als Schrammen, mal als größere Abbruchstellen oder Risse. Mit der Überwachungslösung durch die Radarsensoren Vegapuls 6X kann das Team der Bremenports-Hafenunterhaltung nun die Abweichungen vom vorgesehen Anlegeplan in der Wesermündung rechtzeitig erkennen. So rechtzeitig, dass die Schiffscrew informiert wird und Zeit hat, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Messen bei Wind und Wellen
Zu Beginn des Projekts empfahl Lars Frerichs den Technikern des Hafenunterhaltungs-Teams die Vorgänger des heute eingesetzten Radarfüllstandsensors als Messlösung. Auch diese lieferten – mit der niedrigeren Messfrequenz von 26 GHz – in frühen Testphasen zuverlässige Ergebnisse. Seit der Markteinführung des Radarsensors 6X im Frühjahr 2022 ist jedoch die neue Radargeneration an dieser Stelle eingeplant und wurde erfolgreich getestet. Sie misst mit der hohen Frequenz von 80 GHz und bringt eine Reihe von Vorteilen für die Anwendung mit: Als berührungslose Messtechnik zeichnet sie sich durch ihre wesentlich bessere Fokussierung und große Dynamik aus. Bei Radarsensoren ist es speziell der Dynamikbereich, der eine Aussage darüber zulässt, in welchen Anwendungsbereichen ein Sensor eingesetzt werden kann. Diese liegen zwischen dem größtem und dem kleinsten Signal, das vom Sensor zuverlässig erkannt wird: Je größer also die Dynamik der Sensoren, desto breiter nicht nur ihr Einsatzspektrum, sondern auch die Messsicherheit.
Das bedeutet, dass Medien mit geringen Reflexionseigenschaften, also kleiner Dielektrizitätszahl, mit dem Vegapuls 6X deutlich besser gemessen werden können als mit den früher erhältlichen Radarsensoren. Für den Einsatz im Container-Terminal in unmittelbarer Nähe zu Salzwasser, Wellen und Wind ist zudem von Vorteil, dass auch bei Nebel, extrem turbulenten Bedingungen, Kondensat oder Anhaftungen an der Antenne die Füllstandmessung mit dem Sensor stabil und präzise bleibt. Zur Zuverlässigkeit trägt darüber hinaus die einfache Inbetriebnahme bei. Sie gewährleistet einen sicheren Betrieb, die schnelle, einfache Wartung und spart dem Team „Hafenunterhaltung“ nicht nur Zeit und Kosten, sondern auch Nerven.
„Nie höher als heute“
Bremerhaven ist der viertgrößte europäische Containerhafen. Um mit Konkurrenten wie Rotterdam oder Antwerpen Schritt zu halten, geht es dem Betreiber Bremenports zentral um einen massiven Ausbau der Digitalisierung. Automatisiert und zentral gesteuert sollen die Prozesse rund um das Anlegen in Zukunft deutlich effizienter und vor allem sicherer ablaufen. Schäden sollen nachhaltig vermieden und auf sicherer Datenbasis vorausschauend geplant werden. Kara kennt die Gründe: „Dahinter stehen nicht nur die wichtigen Einsparungen, die der Hafen braucht, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir legen damit die Basis für mehr Nachhaltigkeit, um die Zukunft des Terminals zu sichern und erfolgreich zu machen.“
Nationale Hafenstrategie ist digital
Die im Pilotprojekt eingesetzten Radarsensoren schützen die Kajeanlagen der Bremerhavener Terminalbetreiber vor Schäden und liefern wichtige Daten: Zum einen für die Schiffsbesatzungen, die damit auf verlässlicher Datenbasis manövrieren, zum anderen an die Terminalbetreiber, die damit vorausschauend und fundiert planen. Die an der Kaje gewonnenen Messwerte gehören zum Gesamtkonzept „SAMS“, dem neuen digitalen „SchiffsAnlegeMessSystem“ des Hafens an der Wesermündung. Sie sind einer der zentralen Bausteine der Terminal-Automatisierung. Wie wichtig bereits das Fundament dazu in Form des Pilotprojektes ist, demonstrierte selbst das Bundesverkehrsministerium. Es unterstützte – vor Ort repräsentiert durch Verkehrsminister Volker Wissing – das SAMS mit der Übergabe eines neuen Förderbescheides. Wissing verlieh dabei der Überzeugung Nachdruck: „Die Bedeutung der Häfen für die wirtschaftliche Zukunft des Landes war nie höher als heute.“