Immer wieder werden an Flughäfen und Bahnhöfen herrenlose Gepäckstücke entdeckt. Ein Fall für die Sicherheitskräfte, die von mutmaßlichen Bomben ausgehen müssen. Es gilt, die potentielle Bedrohungslage schnell einzuschätzen, die möglichen Gefahren abzuwehren und Beweise für das Strafverfahren zu sichern. Hierfür müssen die Einsatzkräfte prüfen, ob es sich um eine unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung (USBV) handelt – sprich um ein explosionsgefährliches Objekt. Dabei müssen sie das Gepäck aus nächster Nähe untersuchen. Ein System, das eine
rasche Einschätzung der Gefahrensituation ermöglicht und zudem den Gepäckinhalt, die Gepäckform sowie die Umgebung dreidimensional erfasst, würde die Arbeit der Spezialisten deutlich erleichtern, die Aufklärung beschleunigen und das Risiko für die Einsatzkräfte minimieren.
Forscher des Fraunhofer-Instituts für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR in Wachtberg entwickeln ein solches System gemeinsam mit dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, der Leibniz Universität Hannover sowie der Unternehmen ELP und Hentschel System. Das Bundeskriminalamt Wiesbaden und die Bundespolizei begleiten das Vorhaben als zusätzliche Expertisengeber. Das Projekt „USBV-Inspektor“ wird innerhalb des Programms „Forschung für zivile Sicherheit“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit zwei Millionen Euro gefördert.
Bei dem intelligenten Einsatzhelfer handelt es sich um eine multimodale Sensor-Suite. Diese besteht aus einem Millimeterwellenscanner, einer hochauflösenden digitalen Kamera und einer 3D-Umgebungserfassung. Die Bestandteile sind in einem Gehäuse integriert und auf einer Roboterplattform montiert. Der Roboter wird von den Entschärfern aus sicherer Entfernung ferngesteuert. Die schwenkbaren 3D-Sensoren vermessen den Tatort dreidimensional, die digitale Kamera liefert hochaufgelöste Bilder für die spätere optische Beweissicherung. Der Millimeterwellensensor durchleuchtet die Gefahrenquelle und bildet das Innere ab. Ein auf dem Roboter integrierter Embedded-PC sammelt die Daten und sendet sie an die Ermittler, wo sie am Rechner per Sensordatenfusion
zusammengeführt werden.
„Mit der Sensor-Suite können wir das Innere eines Gepäckstücks dreidimensional visualisieren und feststellen, aus welchen Teilen die Bombe besteht und wie diese im Gepäck angeordnet sind“, erläutert Stefan A. Lang, Teamleiter am FHR und Koordinator des Projekts. Somit können die Sprengstoffexperten die Bedrohungslage schnell beurteilen und haben zudem künftig die Möglichkeit, so viele Hinweise wie möglich zur Bombe zu erhalten. Bislang waren die Spezialisten oftmals gezwungen, die Kofferbomben zu zerstören, was die Ermittlung der Täter erschwert. Weitere Vorzüge des berührungslosen Detektionssystems: Es ist leicht, kompakt und plattformunabhängig, lässt sich daher auf beliebige Roboter montieren.
Die Forscher vom FHR entwickeln im Projekt den Millimeterwellenscanner, auch als Radarsensor bezeichnet, für die schnelle Aufklärung. Er erlaubt eine sehr hohe Tiefenauflösung. „Bei dem Radar wenden wir das SAR-Prinzip an, kurz für Synthetic Aperture Radar. Bei diesem Verfahren wird der Sensor über eine Trajektorie, eine Art Wegstrecke,
bewegt – also beispielsweise von links nach rechts vor dem Koffer – und die so generierte Dopplerinformation für die Bilderzeugung benutzt“, erklärt Lang. Neben dem Sensor erforschen der Experte und sein Team zudem, wie die optimale Trajektorie zum Vermessen des Objekts ermittelt werden kann. Dies hängt von der Form des Gepäckstücks
oder Behälters ab, seiner Position in der Umgebung sowie der Position des Roboters.
Ein Demonstrator des Radarsensors ist im April 2016 fertiggestellt. Umfangreiche Praxistests der ferngesteuerten Sensor-Suite starten Mitte 2017. 2019 soll die multimodale Sensor-Suite auf den Markt kommen.