Fachkräftemangel, instabile Lieferketten, Nachhaltigkeit, Energieknappheit: Sind das aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für Produktionsunternehmen?
Ja, diese Themen beschäftigen uns weltweit seit einigen Jahren. Zusätzlich sehen wir einen steigenden Bedarf an individuellen Produkten mit kleineren Losgrößen, was eine Anpassung der bisherigen linearen Produktionskonzepte erfordert. In vielen Branchen ist Flexibilität zu einer wettbewerbsentscheidenden Eigenschaft für Industrieanlagen geworden. Denn die wirtschaftlich rentable Produktion kleiner Losgrößen ist nur möglich, wenn sich eine Anlage schnell und unkompliziert umrüsten lässt.
Müssen wir dafür die Herangehensweise in der Produktion völlig neu überdenken?
Ja, wenn es um schnell umrüstbare Anlagen für die Produktion kleiner Losgrößen geht, müssen wir uns von starren und linearen Konzepten verabschieden. Stattdessen ist Modularität gefragt. Und es braucht Lösungen, mit denen sich Bewegungsprofile und die damit verbundenen Produktionsabläufe schnell anpassen lassen. Ein Beispiel dafür ist unser Multi Carrier-Transportsystem. Anders als bei klassischen Förderbändern wird hier jedes Werkstück mit einem eigenen Carrier befördert. Die Bewegungsprofile dieser Carrier können individuell eingestellt und auf Knopfdruck verändert werden. Das bringt große Vorteile in Sachen Flexibilität.
Einige modulare Maschinen, Cobots und AGVs reichen offensichtlich nicht aus...
Das ist richtig. Und das ist auch der Grund, warum wir bei Schneider Electric auf einen herstellerunabhängigen Automatisierungsansatz setzen. Denn für die Umsetzung nachhaltiger, energieeffizienter und flexibler Maschinen sind proprietäre Steuerungssysteme ein unnötiges Hindernis. Stattdessen verfolgen wir einen auf IEC61499 basierenden Automatisierungsansatz, bei dem Hard- und Software voneinander entkoppelt sind. Ein einmal erstellter Code muss dabei nicht länger von einer zentralen SPS-Steuerung ausgeführt werden, sondern lässt sich von allen Anlagenkomponenten mit CPU berechnen. In Kombination mit einer eventbasierten Ausführungslogik schafft die völlig neuen Voraussetzungen für den Betrieb von modularen und flexiblen Maschinen.
Schneider Electric setzt also auf ein herstellerunabhängiges, softwarezentriertes Automatisierungsparadigma. Kurz zusammengefasst, was steckt dahinter?
Im Unterschied zu einer auf proprietären Steuerungssystemen basierenden Automatisierung, geht es bei einem herstellerunabhängigen Automatisierungsparadigma nach IEC61499 darum, Hardware und Software voneinander zu entkoppeln – also die Abhängigkeit von Steuerung und Entwicklungsumgebung zu lösen. So erhalten Sie eine Softwareschicht, in der sich automatisierte Anwendungen unabhängig von der Hardware modellieren lassen. Insbesondere für den Maschinen- und Anlagenbau bringt das große Vorteile, da auf aufwendige Parallelprogrammierungen verzichtet werden kann. Ein einmal erstellter Code lässt sich auch für Maschinen desselben Typs mit unterschiedlicher Ausstattung verwenden. Denn die Automatisierungskomponenten teilen sich ja – wie in der IT-Welt schon lange üblich – ein gemeinsames Betriebssystem. Von der unabhängigen UniversalAutomation.Org wird ein solches Betriebssystem, eine Runtime Execution Engine, bereits zur Verfügung gestellt.
Funktioniert dieser Ansatz nur im Greenfield, wenn alles neu ist, oder lassen sich auch Bestandsmaschinen und klassische Steuerungen einbinden?
Natürlich ist es im Greenfield einfacher. Aber auch im Brownfield bietet eine herstellerunabhängige Automatisierung große Vorteile. So erhöht die Verteilung der Intelligenz hier den Freiheitsgrad – klassische Prinzipien der Automatisierungstechnik können aber weiterhin genutzt werden. Existierende Anlagenteile können dabei über klassische Feldbussysteme orchestriert werden. Mit dem Vorteil, dass Bestandssysteme ohne Einschränkungen weiterbetrieben werden können parallel zu neuen 61499 basierten Anlagenteilen. Ein weiterer Ansatz besteht darin, die installierte Peripherie, also EA-Komponenten über das bestehende Feldbussystem an eine neue 61499 basierte Steuerung anzubinden und damit die Vorteile der neuen und alten Welt zu kombinieren – und das bei möglichst geringen Umbauzeiten.
Kann man sagen, dass früher aufwendige und handgestrickte Prozesse jetzt viel einfacher automatisiert sind?
Das ist das Ziel. Mit unserem Ansatz lässt sich Komplexität sinnvoll reduzieren. Alleine das Aufbrechen proprietärer Systeme sorgt schon für eine grundsätzliche Vereinfachung – etwa beim Thema Interoperabilität. Wenn alle Komponenten dieselbe Runtime teilen, lassen sich Anlagen viel unkomplizierter zusammenführen. Außerdem muss die Programmierung bei einem hardwareunabhängigen Ansatz nur einmal gemacht werden. Der zentral erstellte Code kann ohne großen Aufwand auf verschiedene mechatronische Komponenten aufgespielt werden. Je nachdem lassen sich fertige Softwarebausteine sogar einfach wiederverwenden. Unser Engineering-Werkzeug EcoStruxure Automation Expert ist auf eine solche Arbeitsweise übrigens schon ausgelegt.
Welche Mehrwerte sehen Sie allgemein in der KI für die softwarebasierte Automatisierung?
Künstliche Intelligenz spielt natürlich eine wichtige Rolle, wenn es um die Optimierung von Prozessen geht. Ganz einfach deshalb, weil KI in kürzester Zeit gigantische Datenmengen auswerten und Muster erkennen kann. Das ist zum Beispiel in Sachen Nachhaltigkeit und Energieeffizienz hilfreich. Denn wenn Sie eine Anlage und die kausalen Zusammenhänge darin besser verstehen, können Sie die Prozesse so optimieren, dass ich weniger Ressourcen und Energie verbrauche. Aber auch bei der Programmierung – etwa zur Codevervollständigung – kann eine KI unterstützen.
Ermöglicht die softwarebasierte Automation auch eine einfachere Nutzung der Vorteile des Digital Twins?
Ja, und zwar vor allem dann, wenn der Digital Twin – wie in der Realität üblich – unterschiedliche Systeme von verschiedenen Herstellern integrieren und abbilden soll. Denn wenn Sie bei einem herstellerunabhängigen und softwarezentrierten Automatisierungsansatz das Programm für eine Anlage erstellen, dann haben Sie mit den Funktionsbausteinen praktisch schon eine Art digitalen Zwilling Ihrer Anlage kreiert. Für darauf aufbauende Werkzeuge zur Datenauswertung ist das eine optimale Voraussetzung. Denn alles läuft an einem Ort zusammen.
EcoStruxure scheint wirklich sehr leistungsstark zu sein, aber auch komplex... Wie können Sie kleinen Unternehmen oder Maschinenbauern die Angst vor dem Einstieg in das System nehmen?
Indem wir unermüdlich erklären was EcoStruxure ist und welche Vorteile damit einhergehen. Denn gerade KMUs können von der hohen Skalierbarkeit und den sehr spezifischen Eigenschaften unserer IoT-Architektur enorm profitieren. Ja, es ist eine mächtige, ganzheitliche Plattform. Aber als Grundgerüst gibt sie uns die Möglichkeit, für unsere Zielmärkte sehr spezifisch zugeschnittene Branchenlösungen zu entwickeln, die gleichzeitig von maximaler Offenheit und Skalierbarkeit gekennzeichnet sind. Das ist in unseren Augen eine Voraussetzung für wettbewerbssicheres Wirtschaften in den kommenden Jahren und Jahrzehnten.
Warum sollten sich also Unternehmen, die ihre Produktion flexibler gestalten möchten, an Schneider Electric wenden?
Für uns ist die IoT-basierte Digitalisierung in allen Bereichen eine Schlüsseltechnologie für klimafreundliches und nachhaltiges Wirtschaften. Und genau diese Denkweise findet sich in all unseren Technologien wieder. Sie bildet die Voraussetzung, um wirklich flexible und agile Lösungen zu entwerfen, denen keine proprietären Systeme im Wege stehen. Unser herstellerunabhängiger Automatisierungsansatz ist Ausdruck dieser Denkweise.