Smart Sensors Strom anlegen statt Hand auflegen

04.06.2013

Elektronik leistet schon seit langer Zeit einen maßgeblichen Beitrag zum Fortschritt in der Medizin - ein Ende ist nicht absehbar. Was heute unter anderem möglich ist, zeigen die folgenden Beispiele.

Technische Revolutionen hat die Medizin in ihrer Geschichte mehr als genug erlebt. Vieles, was heute möglich ist, wurde vor 100 oder gar vor 50 Jahren noch als Science Fiction verlacht. Und auch wenn die Revolutionen ausbleiben, entwickelt sich die Medizin ständig weiter - nicht zuletzt dank der Mikroelektronik. Dabei steht hier vor allem die Prävention im Vordergrund, wie die folgenden Lösungen zeigen.

Mini-Sensoren sollen Leben retten

Gerade einmal 0,25 Quadratmillimeter groß sind die Sensoren, mit denen Forscher TU Hamburg-Harburg (TUHH) und dem Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) Aorten-Aneurysmen behandeln wollen. An dieser Vergrößerung der Hauptschlagader leiden bis zu zehn Prozent aller Männer und bis zu zwei Prozent der Frauen. Lebensgefährlich wird das Aneurysma dadurch, dass die Aorta an der vergrößerten Stelle einen Riss bekommen kann, den nur jeder zehnte Patient überlebt.Behandelt wird das Problem mit einem röhrenförmigen Implantant, dem so genannten Stent. Dieser wird in die Hauptschlagader im Bauch eingeführt und verschließt die Aorta so, dass das Aneurysma vom Blutfluss abgeschnitten wird. Allerdings bilden sich in bis zu 40 Prozent der Fälle im Lauf der Jahre undichte Stellen. Das Aneurysma kann platzen, und es tritt Blut in den Bauchraum. Mit Hilfe von Nanoelektronik soll nun der Stent optimiert werden. Bis zu 64 der Mini-Sensoren sollen auf dem Stent integriert werden, der Schaltkreis hat etwa die zehnfache Größe eines Sensors. Gemessen wird das Druckverhältnis im Aneurysma. Die Daten werden an ein streichholzschachtelgroßes mobiles Lesegerät übertragen, so dass Arzt und Patient jederzeit Zugriff auf die Messdaten haben. So können undichte Stellen früher erkannt werden, ohne den Patienten mit Ultraschall oder Computertomograph untersuchen zu müssen. Neben der Erleichterung für den Patienten erwartet man langfristig auch eine Kostenersparnis. Ein weiteres Anwendungsgebiet für die Nanoelektronik sind Schlaganfall-Patienten. Vom Schlaganfällen sind in Deutschland jährlich etwa 250.000 Menschen betroffen. Als Folge des Anfalls ist oft die Handfunktion eingeschränkt. Neurowissenschaftler des UKE und Ingenieure der TUHH arbeiten an einem tragbaren Gerät, das elektrische Impulse an Nerven und Muskeln sendet und beispielsweise dafür sorgt, dass sich die Faust öffnet. Ausgelöst werden diese Impulse durch eine Muskelbewegung der nicht-gelähmten Körperseite.

Flexibilität ist gefragt

Auf Flexibilität setzt das Start-up MC10 aus dem amerikanischen Cambridge - Heimat der Harvard-Universität und des MIT. MC10 entwickelt elektronische Komponenten aus flexiblen Materialien, mit denen sich vor allem neuartige Implantate, aber auch Medizingeräte herstellen lassen sollen. Die klassischen, starren Siliziumwafer kommen bei MC10 nur noch zu Beginn des Herstellungsprozesses zum Einsatz. Es werden Goldelektroden und Spezialdrähte mit einer Dicke von wenigen Hundert Nanometern auf den Wafern aufgebracht, die dann später abgeschält und auf dehnbare Polymere gesetzt werden. Die serpentinenartigen Verbindungen verlängern sich, sobald das Polymermaterial gedehnt wird. Basis der Arbeit sind Laborprototypen, die John Rogers, Materialwissenschaftler an der Universität von Illionis und Mitbegründer von MC10, hergestellt hat. Derzeit arbeitet man bei MC10 an zwei konkreten Anwendungen. Dabei handelt es sich zum einen um einen Ballonkatheter, der elektrische Signale im Herzen messen kann. Mit Hilfe des Katheters sollen Kardiologen Bereiche im Herz finden, die krankes Gewebe enthalten. Die zweite Anwendung ist ein Hautsensor, der das Feuchtigkeitsniveau des Körpers durch Impedanzfeststellung überprüft. Für die Zukunft sind unter anderem implantierbare Komponenten geplant, die mit Hirngewebe kompatibel sind. Starre Elektroden verursachen eine zu starke Reizung des Gehirns. Das erste kommerzielle Produkt des Start-ups entstand in Zusammenarbeit mit dem Sportartikelhersteller Reebok. Das Produkt mit Namen Checklight ist eine Art Kappe, die Sportler tragen, um die Schwere eines Schlags auf den Kopf zu bewerten. Der Hersteller weist allerdings ausdrücklich darauf hin, dass Checklight keine Diagnosen erstellt, sondern lediglich Warnung bezüglich der Härte eines Aufpralls gibt. Verfügbar sein soll Checklight ab Juni und sowohl im Profi- als auch im Amateur-Sport zum Einsatz kommen. Dass man bei MC10 vor allem an Football-Spieler denkt, liegt nahe: Der beim Start-up für den Sportmarkt und Business Development zuständige Isaiah Kacyvenski blickt auf eine erfolgreiche Karriere als Profi in der amerikanischen NFL zurück.

Mini-Labor gegen Tuberkulose

Tuberkulose wird von der Weltgesundheitsorganisation als die zweittödlichste Infektionskrankheit eingeschätzt. Von 8,7 Millionen Menschen, die im Jahr 2011 mit der Krankheit diagnostiziert wurden, starben 1,4 Millionen. Problematisch sind vor allem die zahlreichen Mutationen, die mehrfach medikamentenresistent sind. Voraussetzung für eine effektive TB-Therapie ist daher eine präzise und schnelle Diagnose, an die sich ein Heilprogramm mit den richtigen Medikamenten anschließen muss. Denn aus einer unzureichenden Behandlung ergeben sich eben genau die medikamentenresistenten Mutationen.Veredus Laboratories, ein Tochterunternehmen von STMicroelectronics mit Sitz in Singapur hat einen Multiplex-Molekulardiagnose-Chip namens VereMTB entwickelt, der zur schnellen Erkennung des Mycobacterium-Tuberculosis-Komplexes und seiner Mutationen, sowie von neun weiteren nicht-tuberkulösen Mykobakterien eingesetzt werden soll. Während konventionelle Methoden zur exakten Erkennung von TB-Infektionen bis zu acht Wochen in Anspruch nehmen können, soll VereMTB eine Diagnose und Identifikation des infektionsauslösenden Mykobakteriums und der Medikamentenresistenz in weniger als drei Stunden ermöglichen. Dabei fällt das Anlegen von Kulturen als zeitaufwändigster Arbeitsschritt der traditionellen Methode weg. Aufgrund seiner kleinen Abmessungen kann das System außerdem in den unterschiedlichsten Umfeldern installiert werden.

Vitalzeichen überwachen

Viele Lösungen greifen erst, wenn eine Krankheit vorliegt - das Fit-Shirt, das Maxim Integrated gemeinsam mit Clearbridge VitalSigns und Orbital Research entwickelt hat, soll der Patientenüberwachung dienen und helfen, Krankheiten schon im Vorfeld zu erkennen. Das hochintegrierte High-Tech-Hemd nimmt mit drei Ableitungen ein EKG auf, misst die Körpertemperatur und registriert Körperbewegungen. Sämtliche Diagnosehilfsmittel sind in dem Hemd zusammengefasst. . Im Fit-Shirt sind Trockenelektroden-EKG-Technik, komplexe Signalverarbeitungs-Technik, ein Temperatursensor und ein Bewegungssensor, ein extrem wenig Strom aufnehmender Mikrocontroller sowie Elektronik für die drahtlose Kommunikation integriert. Die Hardware von Maxim bestand in diesem Fall aus dem Mikrocontroller MAXQ622 mit extrem geringer Leistungsaufnahme für die Anbindung mehrerer Technologien, dem Power-Management-IC MAX8671 für die Erzeugung und Steuerung rauscharmer Spannungsversorgungen für die verschiedenen Sensorsysteme, dem Temperatursensor MAX6656 mit extrem geringer Leistungsaufnahme und der Möglichkeit der Plug&Play-Integration in das System und dem USB-Protector MAX3204 für eine sichere Handhabung und den Schutz der Elektronik vor Risiken durch Überspannung und elektrostatischer Entladung. Bei der Entwicklung des Fit-Shirts ergaben sich drei wesentliche Problembereiche. Dazu gehörte zunächst einmal die Integration der Sensoren in das Shirt und ein guter Hautkontakt. Normalerweise wird bei einem EKG ein Gel verwendet, um eine bessere Verbindung zwischen Haut und Elektrode herzustellen. Orbital Research hat Elektroden mit einer Mikrostruktur-Oberfläche entwickelt, die als Sensor-Element dienen und den Einsatz eines Gels überflüssig machen.Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Stromversorgung. In der ersten Fassung des Shirts verwendeten die Entwickler noch eine Batterie, in Zukunft soll der benötigte Strom mittels Energy Harvesting gewonnen werden. Dazu kommen die Körperwärme, aber auch Sonnenlicht, Vibrationen oder Funkwellen in Frage. Der dritte Problemfall ist das Protokoll für die drahtlose Datenübertragung - im Fit-Shirt wie in vielen anderen Anwendungen auch der größter Stromverbraucher. Dank der Verwendung von Bluetooth Low Energy (LE) kann das Fit-Shirt derzeit 14 Stunden mit einer Batterie-Ladung arbeiten. Der Verbrauch liegt derzeit bei einem Maximum von 50 mA und einem Durchschnitt von 5 mA. Durch eine weitere Optimierung von Bluetooth LE sollen diese Werte künftig auf ein Zehntel reduziert werden.

MCU gegen Diabetes

Diabetes ist eine lebensbedrohliche Erkrankung, von der nach Angaben der Welt-Diabetes-Stiftung etwa 285 Millionen Menschen weltweit betroffen sind. Bis 2030 wird ein Anstieg der Zahl auf 438 Millionen erwartet. Für die Erkrankten ist die regelmäßige und richtig dosierte Einnahme von Insulin lebenswichtig. Das OmniPod-System des Herstellers Insulet misst den Insulin-Spiegel des Patienten und führt ihm das wichtige Medikament zu. Die neue Version des OmniPod auf Basis eines voll integrierten Mikrocontrollers von Freescale kommt ohne Schlauch aus und kann die Daten zudem drahtlos übertragen. Dadurch wurde das neue Gerät um etwa ein Drittel kleiner und ein Viertel leichter und ist zudem deutlich energieeffizienter. Für die Patienten bedeutet es deutlich mehr Lebenskomfort. Das OmniPod-System besteht aus einem am Körper getragenen Pod und einem Personal Diabetes Manager (PDM) als Handheld. Der Pod wird vom Patienten an einer Stelle angebracht, die für ihn angenehm ist und von wo er die Insulin-Dosis für drei Tage abgibt. Für die drahtlose Datenübertragung nutzt der OmniPod einen speziell entwickelten 8-Bit-Mikrocontroller mit integrierter Wireless-Technologie von Freescale, der auf der S08-Architektur basiert. Der PDM misst die Glukose-Werte im Blut und programmiert die Insulinabgabe drahtlos. Im Handheld arbeitet ein i-MX-Prozessor von Freescale.

Laser statt Bohrer

Bei schweren Schlaganfällen kann das Gehirn anschwellen, was eine Öffnung der Schädeldecke erfordert - eine so genannte Entlastungskranotomie. Bisher schneiden Chirurgen den Schädelknochen mechanisch, was ein nicht unerhebliches Risiko birgt: Der Chirurg kann beim Bohren auch die Hirnhaut verletzen. Forscher verschiedener Fraunhofer-Institute haben eine Möglichkeit gefunden, den ungenauen Bohrer durch einen hochenergetischen Femto-Sekundenlaser zu ersetzen.Der Laserstrahl wird dabei über einen Spiegel-Gelenkarm in das Handstück eingekoppelt, mit dem der Chirurg den Laserstrahl führt und den Knochen schneidet. Das System bestehet dabei aus zwei neuartigen Mikrospiegeln, die am Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS entwickelt wurden. Der erste schneidet die Schädeldecke, der zweite korrigiert Fehlpositionierungen. Trotz miniaturisierter Bauteile kann das System mit einer Laserleistung von bis zu 20 Watt arbeiten. Mit 5 mm x 7 mm oder 6 mm x 8 mm sind die neuen Modelle zudem sehr groß und können daher auch Laserstrahlen mit großem Durchmesser führen.Im Gegensatz zum herkömmlichen Verfahren haben die Forscher hochreflektierende elektrische Schichten auf das Siliziumsubstrat aufgebracht. Der Spiegel reflektiert daher im sichtbaren Spektralbereich 99,9 Prozent der Laserstrahlung.

Leicht verdaulich

Elektronik als Pille, die der Patient schlucken kann, ist keine wirklich neue Erfindung. Schon seit einigen Jahren nutzen Wissenschaftler diese Möglichkeiten, um mit Hilfe von Mini-Kameras das Innere des menschlichen Körpers zu erforschen. Allerdings ist diese Methode auf die Beobachtung beschränkt und kann nicht für eine Behandlung eingesetzt werden. Mit einer kleinen, teilweise verdaubaren Baugruppe soll das jetzt anders werden - so zumindest die Idee der Professoren Christopher Bettinger und Jay Whitacre von der Carnegie-Mellon-Universität. Während sich Bettinger mit biologisch abbaubarer Elektronik für den medizinischen Einsatz beschäftigte, forschte Whitacre an einer preiswerten, nicht giftigen elektrochemischen Batterie. Zusammen ergeben die beiden Forschungsansätze die perfekte Kombination: Einfache Anwendungen wie die Freisetzung von Wirkstoffen oder die Stimulation von Gewebe werden aus einem abbaubaren Formgedächtnis-Polymer erstellt und von der essbaren Batterie mit Energie versorgt. Die Anwendungen werden zusammengefaltet und in einer Gelatine-Kapsel verschlossen. Der Patient schluckt die Pille und zu einem festgelegten Zeitpunkt wird die Verkapselung im Magen-Darm-Trakt geöffnet. Das Polymer wird abgebunden und löst dadurch sowohl den Stromfluss von der Batterie als auch die Entfaltung der Anwendung in ihre finale Form aus. �?hnlich wie Lebensmittel würde die Elektronik etwa 18 bis 24 Stunden im Körper bleiben und entweder verdaut oder ausgeschieden werden. Tatsächlich funktionieren würde die Elektronik aber nur ein bis zwei Stunden.

Bildergalerie

Verwandte Artikel