Selbst wenn man glaubt, alles schon gesehen zu haben, kommt das Internet mit einer neuen Kuriosität daher: So gibt es eine Menge Videos im Internet, in denen Leute ihren Spaß haben, über weißen Schlamm zu rennen und es aussehen zu lassen, als liefen sie über Wasser. Bleiben die Personen jedoch stehen, versinken sie langsam.
Bei dem Schlamm handelt es sich um eine konzentrierte Suspension aus Maisstärke und Wasser. Nach einem in Amerika bekannten Kinderbuchklassiker wird eine solche Masse umgangssprachlich Ooblek genannt, Materialwissenschaftler nennen es eine nicht-newtonische Flüssigkeit.
Anders als newtonische Flüssigkeiten kann sie viskoser werden, wenn eine schnell ändernde, starke Kraft auf sie einwirkt. Für einen kurzen Moment verhält sie sich wie ein Festkörper. Wirkt die Kraft hingegen stetig und schwach, fließt sie wie eine normale Flüssigkeit.
Höhere Reibung dank rauer Oberfläche
„Dieses Phänomen tritt bei allen Suspensionen mit hoher Teilchendichte auf, etwa auch bei Zement“, sagt Lucio Isa, Professor für Grenzflächen an der ETH Zürich. Wird Zement mit zu hoher Geschwindigkeit durch eine Röhre auf eine Baustelle gepumpt, verstopft die Röhre.
Der Grund dafür liegt unter anderem in der Oberflächenbeschaffenheit der festen Suspensionsanteile: „Wirkt eine Kraft plötzlich können die festen Partikel nicht schnell genug ausweichen. Sie kommen miteinander in Kontakt, reiben sich aneinander und blockieren sich gegenseitig.“ Je rauer die Oberfläche der Teilchen, desto höher ist die Reibung.
Die Forscher nutzten nun diese Eigenschaften, um den sprunghaften Anstieg der Viskosität in einer konzentrierten Suspension gezielt zu steuern. Statt mit Maisstärke „spielten“ Isa und seine Kollegen mit einheitlichen mikrometergroßen Silikatpartikeln mit rauer Oberfläche.
Die Partikel gleichen winzigen Himbeeren; die Wissenschaftler verwendeten sie bereits in früheren Studien. Chiao-Peng Hsu, Doktorand von Isa und seinem Kollegen Nicholas Spencer, erarbeitete eine Methode, mit der er in kurzer Zeit eine ganze Bibliothek verschiedener solcher Himbeerpartikel mit unterschiedlich rauer Oberfläche erstellen kann.
Höhere Viskosität trotz weniger Partikel
Mit diesen Partikeln stellten die Forscher Suspensionen her, die sie auf deren plötzlichen Viskositätsanstieg unter Krafteinwirkung testeten. Dabei zeigte sich: je rauer die Partikel waren, desto weniger von ihnen mussten die Forscher in eine Suspension geben, um die sprunghafte Verfestigung zu erzielen. Hatten Partikel hingegen eine glatte Oberfläche, mussten die Forscher größere Mengen davon der Suspension hinzufügen, bis sie die plötzliche Verfestigung beobachten konnten.
Dank rauen Partikeln lässt sich gemäß den Forschern Material sparen: Ihr Anteil am Gesamtvolumen einer Suspension kann wesentlich tiefer liegen als derjenige von glatten Partikeln, um den gleichen Effekt zu erzielen. Mischten die Forscher raue und glatte Partikel in einer Suspension, trat die Verfestigung ebenfalls früher auf als in Suspensionen, in denen nur glatte Partikel vorlagen.
Die ETH-Forscher fanden heraus, dass nur gerade sechs Prozent glatte Kügelchen in einer Mischung ausreichten, um den Zeitpunkt des sprunghaften Viskositätsanstiegs markant zu verzögern. „Das ist, wie wenn man Kugellagerkugeln und Zahnräder mische“, sagt Isa. „Die Zahnräder verhaken sich relativ leicht und bilden eine stabile Kette. Die glatten Kügelchen können diese jedoch durchbrechen und erleichtern dadurch das Fliessen der Suspension.“
Himbeere an Kantilever angeheftet
Um zu untersuchen, wie groß die Reibung zwischen einzelnen Partikeln ist, befestigten Hsu und seine Kollege Shivaprakash Ramakrishna ein einziges, einen halben Mikrometer messendes Partikel auf einem Kantilever eines Atomrasterkraftmikroskops. Dieses Partikel bewegten die Forschenden über unterschiedlich raue Modell-Oberflächen, indem sie den Kantilever um wenige hundert Nanometer verschoben und dabei maßen, um wie viele Grad der Kantilever kippte.
Je stärker die Reibung, desto größer war der Verkippungswinkel. „Mit einem solchen Partikel auf einem Kantilever zu arbeiten, war extrem schwierig, da die Dimensionen unvorstellbar klein sind“, betont Hsu. „Das hat vor uns noch keine Gruppe geschafft.“
Nutzen für die Praxis
Ob die Erkenntnisse in Anwendungen einfließen, ist derzeit nicht klar. Die Studie diente in erster Linie der Grundlagenforschung. „Unser Ziel war zu untersuchen, wie wir die Nano- und Mikrostruktur verändern können, um das Materialverhalten auf makroskopischer Ebene zu beeinflussen. Das ist uns gelungen“, sagt Isa.
Die Erkenntnisse ließen sich aber auf Alltägliches wie Zement übertragen. „Wenn man die Oberflächen von Körnern und deren Mischung im Zement unseren Erkenntnissen gemäß anpassen könnte, kann man dessen Fließeigenschaften optimieren.“