Die Thünen-Vorlesung ist seit 1986 einer der Höhepunkte auf der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik. Wie Europa zum CO2-Staubsauger erklärte Ottmar Edenhofer, Direktor des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) dort.
Ausgangspunkt der jetzt in der Vorlesung vorgetragenen Überlegungen ist der Zwang zum „Überschießen“: Weil die Klimapolitik zu langsam war, muss die Menschheit gemessen an den Temperaturzielen vorübergehend ein Übermaß von Treibhausgasen in der Atmosphäre in Kauf nehmen. Und zugleich in industriellem Maßstab die CO2-Entnahmen hochfahren, auch durch neue Methoden wie Luftfilter-Anlagen oder Klimaplantagen zum Anbau schnell wachsender Biomasse, die mit Abtrennen und Speichern von CO2 verfeuert wird.
Zukunftsaufgabe effizient organisieren
Die Entnahmen kompensieren dann nach der Klimawende sowohl den nicht oder nur sehr schwer vermeidbaren Rest-Ausstoß als auch nachträglich das Überschießen beim CO2-Gehalt. Die gewaltige Zukunftsaufgabe – in manchen Szenarien kosten die CO2-Entnahmen gegen Mitte des Jahrhunderts 3 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung – gilt es effizient zu organisieren.
Als zentrales Instrument schlägt Edenhofer sogenannte Clean-up-Zertifikate vor. Sie verbriefen das Recht, eine Tonne CO2 zu emittieren – in Kombination mit der Verpflichtung, zu einem bestimmten künftigen Zeitpunkt eine Tonne CO2 zurückzuholen. Bisher gibt es im EU-Emissionshandel nur einfache Ausstoß-Rechte, deren Zahl von der Politik Jahr für Jahr verknappt wird und nach geltender Rechtslage 2039 auf null fällt.
Die Ergänzung durch Clean-up-Zertifikate macht die Klimawende flexibler und billiger: CO2-Ausstoß muss dann bei knapper werdenden Emissionsrechten nicht um jeden Preis vermieden werden – sogar wenn es günstiger ist, ihn zuzulassen und später zurückzuholen. Im Preis dieser Zertifikate spiegeln sich die künftig erwarteten Kostensenkungen bei CO2-Entnahme-Technologien. Das finanzielle Risiko bei der Klimawende trägt dann nicht der Staat, sondern die Wirtschaft, die sich ja zu den Entnahmen verpflichtet.
Eine „Europäische Kohlenstoff-Zentralbank“
Damit die Idee nicht an physikalischen Unzulänglichkeiten oder unternehmerischen Finten scheitert, plädiert Edenhofer zur Durchsetzung für eine starke und glaubwürdige Institution. Er sieht diese Rolle für eine künftige „Europäische Kohlenstoff-Zentralbank“ (European Carbon Central Bank). Sie könnte über die Vergabe der Zertifikate die Mengensteuerung der Netto-Emissionen übernehmen. Dadurch würde sie das aus dem Tagesgeschäft der Parteipolitik heraushalten, so wie es die Europäische Zentralbank bei den Zinsen tut.
Die neue EU-Spitzenbehörde könnte in den Clean-up-Zertifikaten auch den Wert zeitlich befristeter Entnahmen ökonomisch korrekt abbilden, etwa Aufforstung oder Speichern von CO2 in Baumaterialien. Und damit Unternehmen ihre Pflicht zur CO2-Rücknahme nicht durch strategischen Bankrott unterlaufen, müssten sie bei der Kohlenstoff-Zentralbank finanzielle Sicherheiten hinterlegen.
CO2-Entnahme als Gamechanger
„Schon heute ist die CO2-Entnahme keine Nischen-Technologie mehr – und sie wird neben der Emissionsvermeidung und der Klimaanpassung der dritte, noch fehlende Pfeiler im globalen Klimaschutz“, sagte Edenhofer in seiner Thünen-Vorlesung. Der Direktor des MCC sowie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung leitet seit 2022 auch den damals von der EU gegründeten Europäischen Wissenschaftlichen Beirat zum Klimawandel.
Edenhofer schloss den Vortrag mit den Ausblick: „Technischer Fortschritt in diesem Bereich kann die Kosten signifikant senken“, und ein größerer Fokus auf CO2-Entnahme „kann die internationale Kooperation beim Klimaschutz stärken.“ „CO2-Entnahme kann zum Gamechanger werden“, fügte er hinzu, „und ich habe versucht, nötige nächste Schritte zu skizzieren.“