Wie entsteht Innovation bei Ihnen im Unternehmen?
Georg Stawowy:
Innovation war für uns schon immer wichtig, das belegt unser Leitbild. Allerdings stammt dieses aus einer Zeit, in der Lapp vor allem inkrementelle Innovationen hervorbrachte. Das sind zum Beispiel Leitungen mit speziellen Eigenschaften, etwa einem größeren Temperaturbereich. Innovation heißt bei Lapp oft, eine Speziallösung für ein bestimmtes Kundenproblem zu entwickeln. Wir warten aber keineswegs nur ab, bis ein Kunde mit einem Problem kommt, sondern erweitern unser Produktsortiment gezielt so, dass der Kunde alles findet, was er braucht. Dazu orientieren wir uns am Prinzip des Minimum Viable Portfolio, angelehnt an die Idee des Minimum Viable Product. Damit ist das Sortiment gemeint, das mindestens notwendig ist, um als Anbieter akzeptiert zu werden. Dazu eine Analogie: Angenommen, Sie sind zu einer Hochzeit eingeladen und brauchen dringend einen neuen Anzug, außerdem ein passendes Hemd und möglichst auch eine Krawatte dazu. Sie suchen also ein Modegeschäft, in dem Sie Anzug, Hemd und Krawatte bekommen – das ist für Sie das Minimum Viable Portfolio, also das Angebot, das dieser Laden mindestens anbieten muss. Auf Lapp übertragen heißt das: Wer eine Ölflex-Steuerleitung kauft, braucht meist auch Steckverbinder und Kabelverschraubungen sowie Kabelmarkierungen. In der Lebensmittel- und Getränkeindustrie kommt außerdem ein Kunststoffdeckel dazu, um Steckverbindersockel während Reinigungsvorgängen abzudecken. In anderen Branchen gelten andere Anforderungen, da sieht das Minimum Viable Portfolio anders aus.
Welche Auswirkungen hat das auf das Innovationsmanagement?
Bei Lapp hat sich in den letzten fünf Jahren viel getan beim Thema Innovation. Für radikale und disruptive Innovationen, die neue Technologien und Geschäftsmodelle erfordern, haben wir den neuen Innovation-for-Future-Prozess entwickelt. Wir haben dafür drei Voraussetzungen definiert, die parallel zu erfüllen sind: Das Innovationsteam muss eine technische Lösung entwickeln, es muss mit mindestens einem potenziellen Kunden sprechen und es muss einen Business Model Canvas erstellen. Doch das sind nur die Formalien. Der entscheidende Unterschied ist die Rolle des Managements. Statt bisher nur in definierten Intervallen Ja oder Nein zu einem Entwicklungsstand zu sagen, sind Führungskräfte künftig als Ideengeber und Unterstützer – neudeutsch: Enabler – gefragt. Sie knüpfen für das Innovationsteam Netzwerke und stellen das Budget bereit, womit nicht nur Geld gemeint ist, sondern auch zeitlicher Freiraum. Nach wie vor nutzen wir aber auch den klassischen Stage-Gate-Prozess. Dabei durchläuft ein Innovationsprojekt bestimmte definierte Reifephasen; am Ende jeder Phase werden Zielkriterien geprüft. Stage Gate hat nach wie vor seine Daseinsberechtigung und funktioniert hervorragend bei der inkrementellen Entwicklung von Produkten, die zum Kerngeschäft gehören, und es ist im Innovation for Future Prozess enthalten.
Welche neuen Produkte oder Geschäftsmodelle sind auf diese Weise entstanden?
Zwei ganz aktuelle Beispiele sind die Innovationen Cloudmarking und Predictive Maintenance. Cloudmarking hilft, Label zum Markieren von Leitungen in einer Kabelkonfektion leichter zuordnen zu können. Mittels Design-Thinking hat ein Innovationsteam von Lapp eine Lösung entwickelt, bei der der Maschinenbauer die Informationen für die Markierungen in eine Cloud lädt, wo sie der Konfektionär herunterladen und ausdrucken kann. Das Befestigen geht anschließend viel schneller und Fehlerquellen werden minimiert. Nun entwickeln wir dafür eine Software und rechnen mit einem großen Interesse unserer Kunden. Bei Predictive Maintenance haben wir uns gefragt, wie man die Alterung und die Ausfallwahrscheinlichkeit einer Leitung vorhersagen kann, ohne dass man an der Leitung selbst etwas ändern muss. Die Technik funktioniert, nun entwickeln wir zusammen mit Kunden ein passendes Geschäftsmodell.
Wie wichtig ist dabei Kooperation?
Das Not-invented-here-Syndrom gab es bei Lapp noch nie. Niemand weiß und kann alles selbst, deshalb kooperieren wir intensiv mit Partnern in der Wissenschaft, anderen Unternehmen und natürlich Kunden. Wir haben einen Technologiebeirat mit vier Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen eingerichtet, die sich mit dem obersten Führungskreis viermal im Jahr über Technologietrends austauschen. Die Mitglieder besuchen Unternehmen oder Forschungseinrichtungen und erarbeiten gemeinsam die Technologiestrategie von Lapp. Außerdem arbeiten wir mit Innovationsexperten wie Launchlabs als Sparringspartner zusammen; dabei ist der Ansatz zum Innovation-for-Future-Prozess entstanden.
Wie motivieren Sie Mitarbeiter, eigene Ideen einzubringen und voranzutreiben?
Wir sind ein mittelständisches Familienunternehmen; dieser Umstand prägt unsere Unternehmenskultur seit jeher. Eigenverantwortung, Entscheidungsfreiheit und Kreativität sind unter unseren Mitarbeitern wesentlich stärker ausgeprägt als hierarchisches Denken. Damit lässt sich die „Last“ neuer Ideen und sich ändernder Denkstrukturen auf alle verteilen, denn das ist ohnehin bei uns schon immer geübte Praxis. Lapp ist dementsprechend sehr dezentral aufgestellt. Wir sind es gewohnt, in lokalen Projekten zu denken und zu handeln, die unsere Teams vor Ort in weitgehender Eigenverantwortung umsetzen. Wir haben kurze, unbürokratische Entscheidungswege und agieren über weite Strecken wie ein Start-up.
Welche Freiräume brauchen Mitarbeiter?
Bei Lapp ist es üblich, dass wir Projektgruppen aus Mitarbeitern mit unterschiedlichen Expertisen bilden, etwa Ingenieure, IT-Experten, Marketingleute und Kollegen aus dem Finanzbereich. Es entstehen dabei viele neue Ideen, die nur durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit möglich werden. Die Mitglieder der Projektteams lernen viel voneinander. Wir entwickeln neue Produkte und Services also nicht von oben herab. Es entstehen neue Strukturen und Prozesse, und ganz nebenbei eignen sich unsere Mitarbeiter zusätzliche Kompetenzen an.