Reiner Müller, Pepperl+Fuchs Wir sind Teil der Lösung, nicht des Problems

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Reiner Müller ist seit 1996 für Pepperl+Fuchs im Bereich der Industriellen Sensorik tätig. Nach vertrieblicher Leitungsfunktion im In- und Ausland hat er 2015 die Verantwortung für den Geschäftsbereich Fabrikautomation übernommen und verantwortet dieses Ressort seit 01.01.2022 im Vorstand der Pepperl+Fuchs-Gruppe.

Bild: Pepperl+Fuchs
27.10.2022

Energiesparen avanciert zu einem stetigen Begleiter – mit doppelt positivem Effekt: Weniger Kosten bei den explodierenden Energiepreisen und mehr Nachhaltigkeit durch Verringern des CO2-Footprints. Eine wesentliche Rolle bei der Reduzierung des Energiebedarfs spielt die elektrische Automatisierungstechnik und dabei insbesondere die Sensorik. Was mit ihr möglich ist und welche ungenutzten Potenziale smarte Sensorik heben kann, erläutert Reiner Müller, Vorstand Fabrikautomation bei Pepperl+Fuchs im Gespräch mit publish-industry.

Zum Auftakt: Sehen Sie sich als Hersteller von Sensorlösungen primär als „Enabler“ für energieeffiziente Prozesse?

Richtig, wir sehen uns als Teil der Lösung für die Verringerung des CO2-Footprints, nicht als Teil des Problems. Unsere Aufgabe ist es, die Prozesse unserer Kunden zu optimieren. Das beginnt beim Maschinen- und Anlagenbau und geht über alle Industriezweige wie Automobilproduktion, Logistik, Chemieverfahrenstechnik bis hin zu den Energieerzeugern und dem Gebäudesektor. Über unsere Sensorik, Kommunikationssysteme und Digitalisierungslösungen helfen wir unseren Kunden, die Energieeffizienz zu steigern. Das fordert neben den passenden Lösungen ein hohes Applikationsverständnis, um beim Kunden den entsprechenden Nutzen stiften zu können. Nehmen wir den Technologiewechsel in der Fördertechnik hin zu energieeffizienten und dezentral ansteuerbaren DC-Rollenmotoren als Beispiel. Durch die Einteilung der gesamten Förderstrecke in einzelne autonome Teilabschnitte können nur die Bereiche aktiviert werden, die auch ein Fördergut zu transportieren haben. Beträchtliche Energieeinsparungen sind dadurch möglich. Viele Fördertechnikhersteller setzen seit Jahren hierzu unsere intelligenten ASi- und IO-Link Motormodule, RFID-Systeme und optoelektronischen Sensoren ein.

Sie sagten gerade, nicht Teil des Problems zu sein. Spielt also der eigene „Carbon-Footprint“ Ihrer Produkte eine untergeordnete Rolle?

Die Sensorik kommt in der Regel mit 24 V und einigen Milliampere Strom aus, wir kennen uns also mit dem Design leistungsarmer Elektronik aus. Das ist im Vergleich zu großen Energiebedarfsträgern natürlich eine verschwindend geringe Hausnummer. Dennoch lehnen wir uns nicht zurück und sagen, das geht uns nichts an. Wir versuchen ständig den Energiebedarf unserer Sensoren weiter zu reduzieren und forschen auch im Bereich Energy Harvesting für die autarke Energieversorgung der Sensoren. Sehr wichtig im Bereich von IoT-Anwendungen sind zudem Wireless-Technologien mit minimalem Energiebedarf, hier haben wir ebenfalls Lösungen für unsere Sensoren entwickelt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Mit funkbasierten Sensoren lassen sich in der Recycling-Wirtschaft Abfall und Wertstoff-Container in Städten mit Füllstandsensoren auf Ultraschallbasis ausstatten. Wenn die Container ihren Füllstand zusammen mit dem Standort automatisch in die Cloud senden, können Entleerungsfahrten optimiert werden – das spart Kosten und erhöht die Nachhaltigkeit. Hier arbeiten wir schon an Pilotprojekten mit Städten und Kommunen zusammen. Oder denken Sie an die Pegelstandüberwachung von Flüssen und Seen, auch hier sind wir schon in Pilotprojekten involviert. Und gerade für solche Anwendungen ist es umso besser, je weniger Energie die Sensoren benötigen und Daten intelligent nur bei Bedarf senden. In den genannten Anwendungsfällen haben wir das mit batteriebetriebenen Sensoren auf Basis der energiesparenden Funktechnologie LoRaWAN gelöst. Und um nochmal auf die Frage zurückzukommen: Im Vergleich zu Maschinen, Motoren oder Pumpen spielen Sensoren natürlich kaum eine Rolle und sind kein Teil des Problems, sondern helfen, ineffiziente Prozesse zu entlarven und Energie besser zu nutzen.

Bringen die Ansprüche neuer, klimaschonenderer Maschinen, Anlagen und Prozesse auch zunehmend neue Anforderungen an die Funktionalität der Sensorik?

Ja, denn insbesondere die Modularisierung, Digitalisierung und Transparenz der Prozesse spielen hier zentrale Rollen. Nehmen wir als Beispiel die Wasserstoffherstellung, deren Prozesse sehr optimiert und intelligent gesteuert werden müssen. Dies erfordert eine Vielzahl an Sensoren zur Überwachung. Alle Komponenten müssen miteinander kommunizieren können – und Daten standardisiert und strukturiert bereitstellen. Wir unterstützen bei unseren Sensoren, Identifikations- und Kommunikationssystemen nicht nur die entsprechenden Standards der jeweiligen Branchen, sondern werden zukünftig auch die Digitalen Zwillinge bereitstellen. Denn bei so komplexen Herstellungsprozessen müssen schon im Vorfeld durch Simulation Anlagen konzipiert und optimiert werden. Diese Anforderungen sind zwar jetzt nicht komplett neu, aber sie gewinnen deutlich zunehmend an Fahrt.

Wo Sie gerade den Digitalen Zwilling erwähnen: Beinhaltet der bei Ihren Sensoren auch die Dokumentation, um auf beiliegende sowie wenig nachhaltige Papierzettel verzichten zu können?

Genau das ist unser Ziel mit dem Digitalen Typenschild, weshalb wir uns auch in der Industrial Digital Twin Association e.V. (IDTA) engagieren. Das Digitale Typenschild enthält alle relevanten Daten zur Identifikation eines Produktes und ist als Teilmodell der Verwaltungsschale im Internet abrufbar mittels eines auf dem Produkt aufgebrachten 2D-Codes, welcher einen entsprechenden eindeutigen Identification Link enthält. Wir haben bereits 2021 begonnen, einzelne Produktfamilien sukzessive mit einem QR-Code auszustatten, der einen eindeutigen Identifier in Form einer zur IEC 61406 konformen URI enthält. Als ersten Schritt in Richtung eines Digitalen Typenschildes verweist diese URI auf die Produkt-Website und gibt zusätzlich die Seriennummer und das Baujahr der jeweiligen Produktinstanz aus. So stehen alle relevanten und gesetzlich vorgeschriebenen Informationen sowie Dokumente vollständig und in den aktuellen Versionen elektronisch zur Verfügung. Das Interesse seitens unserer Kunden steigt, denn das reduziert auch bei ihnen zukünftig den Papiermüll. Denn in der Regel werden die beigelegten Bedienungsanleitungen bei mehreren bestellten Sensoren eines Typs nur einmal benötigt, die restlichen werden weggeworfen. Noch sind wir nach den geltenden Vorschriften dazu verpflichtet, bestimmte Informationen weiterhin in Papierform beizulegen. Wir hoffen natürlich, dass sich die Gesetzeslage hier bald ändert. Allein bei einer einzigen Sensor Baureihe konnten wir in einem Jahr mehrere Tonnen Papier einsparen; das sind eine Menge Bäume, die nicht gefällt und große Mengen Wasser, die nicht verschwendet werden müssen.

In welchen Branchen sehen Sie denn die größten Hebel für mehr Energieeffizienz und Nachhaltigkeit durch den Einsatz von Sensoren?

Unser Schwerpunkt liegt hier sehr stark in der Gewinnung von erneuerbaren Energien. Hier sehen wir gerade in der Windenergie und Solarindustrie große Hebel, wie Sensoren Prozesse optimieren können. Bei Windrädern beispielsweise überwachen und steuern Drehgeber die optimale Ausrichtung der Gondel, die Rotordrehzahl und den idealen Winkel der Rotorblätter. Zwar sind wir hier schon seit mehr als 20 Jahren erfolgreich mit unseren Lösungen dabei, aber auch in dieser Branche ändern sich kontinuierlich die Anforderungen und neue applikationsspezifische Entwicklungen sind notwendig. Beispielsweise messen Beschleunigungssensoren Turm- und Gondelschwingungen zur Erfassung und Regelung von Windlasten für das Condition Monitoring und die Auswertung dieser Daten dient zur Berechnung der Restlebensdauer einer Windkraftanlage (Structural Health Monitoring). Das gilt auch für die Solarindustrie. Egal ob in der Herstellung von Photovoltaikmodulen oder im Bereich von Solarkraftwerken und solarthermischen Anlagen, nichts geht ohne spezialisierte und speziell an die Anwendung angepasste Sensorik. Nur dann lassen sich Effizienzgewinne erzielen. Aber auch in der Prozessindustrie und Verfahrenstechnik sind noch enorme Effizienzgewinne möglich. Gerade in weitläufigen Anlagen müssen Rohrleitungen, Pumpen oder Ventile überprüft werden. Durch die Nachrüstung von zum Beispiel manuell betätigten Stellantrieben an Ventilen mit induktiven Doppelsensoren in Verbindung mit der bereits erwähnten LoRaWAN Funktechnologie gewinnt der Anlagenbetreiber Transparenz über die Zustände der Ventile in der zentralen Leitwarte, wodurch Störungen und Verluste durch das zeitnahe Erkennen von Fehlstellungen vermieden werden können.

Bleiben wir bei der Prozessindustrie und Verfahrenstechnik. Hilft die Sensorik auch, Wasserstoff effizienter zu produzieren und zu transportieren?

Definitiv! Beim Zukunftsthema Wasserstoff können wir insbesondere durch unsere Erfahrungen im Explosionsschutz entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Elektrolyse über die Speicherung und Transport bis hin zur Wasserstofftankstelle über unser breites Produktprogramm für die Fabrik- und Prozessautomation großen Mehrwert bieten. Denn prinzipiell ist es erstmal egal, ob herkömmliches Gas oder Wasserstoff durch Rohrleitungen und entsprechende Verdichter transportiert wird. Die Anforderungen an die Sicherheit der Anlagen, die zu überwachenden Parameter, die korrekte Kopplung von Schläuchen, die Identifikation beim Tankvorgang und vieles mehr ähnelt sich beim Handling von Wasserstoff und Gas doch sehr. Neben der Sensorik ist hier insbesondere auch der Ex-Schutz von hoher Bedeutung – beide Metiers sind unser Zuhause. Darüber hinaus gilt es herauszufinden, ob es in den einzelnen Wertschöpfungsstufen – beispielsweise der Elektrolyse – neue zusätzliche Anforderungen an die Sensorik gibt.

Viel Potenzial für mehr Energieeffizienz gibt es auch in der Gebäudetechnik. Braucht es hier also zwingend mehr smarte und schlaue Sensorik?

Wenn man bedenkt, dass in Deutschland rund 35 Prozent des gesamten Energieverbrauchs durch Gebäude verursacht wird, dann braucht es hier definitiv mehr Sensorik, Vernetzung und Digitalisierung, hier sehen wir ein hohes Wachstumspotenzial. Das fängt bei einfachen und offensichtlichen Maßnahmen an, nämlich der effizienten Steuerung von Zugangspunkten ins Gebäude – egal ob Schiebetüren, Drehtüren oder Tore. Im Sommer muss durch zu lange offene Türen dann nicht unnötig gekühlt werden, im Winter lässt sich Heizenergie sparen. Hinzu kommen für die Sensorik bei Zugangspunkten die Safety-Anforderungen, um durch unkontrolliertes Schließen keinen Menschen zu gefährden. Eine aktuelle Entwicklung von uns ist hier beispielsweise der ShieldScan Sensor. Dieser 20-strahlige optische Sensor mit Pulslaufzeitmessung sorgt über die Anbindung an intelligente Türantriebe für die sichere und effiziente Überwachung von Drehflügeltüren. Sensorik und die entsprechende Interface-Technologie spielen für vernetzte Smart Buildings also eine zentrale Rolle. Wir sind hier mit unserem Produktportfolio schon sehr gut aufgestellt, wollen aber unsere Sensoren bedarfsgerecht für dieses Segment stetig weiterentwickeln. Mit der Übernahme der Witt Sensoric GmbH, Spezialist und einer der europäischen Marktführer für Sicherheitssensoren an industriellen Toranlagen, zum 1.01.2022, ist uns ein weiterer wichtiger Schritt gelungen. Denken Sie darüber hinaus auch an die Energieeinspareffekte durch Vermeidung unnötiger Beleuchtung innerhalb und außerhalb von Gebäuden. Mit Radarsensorik lassen sich beispielsweise Schaufenster oder Straßenbeleuchtungen intelligent steuern, weil Passanten in einem definierbaren Umkreis erkannt werden. Sensorik kann den Energiebedarf im Gebäudesektor und bei Smart Cities also deutlich reduzieren.

Resümierend: Warum sollten sich Industrieunternehmen an Ihr Unternehmen wenden, wenn Sie Ihre Prozesse energieeffizienter gestalten wollen?

Weil wir neben intelligenten Sensoren auch die Kommunikationstechnik dahinter verstehen und anbieten, egal ob in der Fertigungsindustrie, der Prozessindustrie oder dem Gebäudesektor. Unsere Stärke liegt neben dem tiefen technologischen Know-how bei Sensoren auch im Verständnis der Applikationen unserer Kunden sowie deren Automatisierung und Digitalisierung. Wir können nicht nur die richtige Sensorik und Vernetzung empfehlen, sondern helfen dem Kunden, die Energieeffizienz und Nachhaltigkeit seiner Prozesse zu optimieren. In Verbindung mit unserem Manufacturing Footprint und der hohen Wertschöpfungstiefe sind wir jederzeit auch in der Lage, kundenspezifische Entwicklungen durchzuführen und auf neue Herausforderungen schnell zu reagieren. All das sind gute Gründe, warum sich Kunden gerne an uns wenden sollten.

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