Was nehmen Sie persönlich mit aus der Corona-Pandemie?
Durch die Pandemie ist das private und berufliche Leben vieler, meines eingeschlossen, sehr viel digitaler geworden als zuvor. Home Office und Online Meetings sind Teil unserer neuen Normalität. Werte wie Gesundheit und Sicherheit sind wieder stärker in den Vordergrund gerückt. Das wirkt sich auch unmittelbar darauf aus, was wir zum Beispiel künftig von Gebäuden, unseren Lebens- und Arbeitsumgebungen erwarten: die flexible Anpassung an wechselnde Situationen und Bedürfnisse, der Schutz vor Krankheiten, aber auch Nachhaltigkeit und Klimaschutz werden noch wichtiger.
Wird Corona nachhaltige Spuren in der Energiewirtschaft hinterlassen? Oder wird aus „New Normal“ ganz schnell wieder „Old Normal“?
2020, also im ersten Jahr der Pandemie, ging der weltweite Stromverbrauch ja erst einmal deutlich zurück. In Deutschland lag er um über acht Prozent unter dem Vorjahreswert, während gleichzeitig erneuerbare Energien erneut starke Zuwächse verzeichneten. Frühere Krisen aber haben gezeigt, dass ein wirtschaftlicher Wiederaufschwung den Energiebedarf schnell wieder nach oben treiben kann – teilweise über das vorherige Niveau hinaus. Das heißt: Spätestens jetzt sollte die Basis für einen nachhaltigen Betrieb von Gebäuden und Industrien geschaffen werden.
Sie sagen spätestens jetzt – hinkt die Energiewelt hier also hinterher?
Die Energiewirtschaft selbst hat bereits vergleichsweise viel unternommen, den CO2-Ausstoß durch die Umstellung auf regenerative Energien zu drosseln. Bis 2050 aber wird sich der Strombedarf weltweit verdoppeln. Und wenn wir eine wirklich signifikante Senkung der Treibhausgase erreichen wollen, müssen wir Energie darüber hinaus möglichst effizient nutzen. In diesem Punkt haben einige Sektoren noch Aufholbedarf, unter anderem Gebäude und energieintensive Industrien. Weniger Verbrauch heißt weniger Treibhausgas – und weniger Kosten.
Welche Trends sehen Sie für die Zukunft der elektrischen Energieverteilung?
Für die kommenden Jahre sehe ich drei zentrale Trends, die durch die jüngsten Herausforderungen verstärkt wurden. Erstens wird es noch mehr um eine widerstandsfähige, ausfallsichere Stromversorgung gehen, insbesondere in kritischen Einrichtungen wie Kliniken und Rechenzentren. Dies wiederum erfordert smarte Elektrifizierungslösungen, die auch in einer zunehmend dezentralen Energielandschaft größtmöglichen Schutz bieten. Das Stichwort smart führt mich zum zweiten Punkt: Intelligenz entsteht durch die systematische Analyse von Energiedaten. Und dies wird mehr und mehr Off-Premise, also in der Cloud, stattfinden. Und drittens: Je digitaler die elektrische Infrastruktur wird, desto anfälliger wird sie für Bedrohungen aus dem Netz. Cybersecurity wird also ein entscheidendes Thema werden.
Viele Unternehmen versprechen sich beim Energiemanagement vor allem Kostenersparnisse durch einen geringeren Stromverbrauch. Wie hoch sind diese konkret? Und wo liegen die größten Einsparpotenziale?
Wie viel Unternehmen im Einzelfall einsparen, hängt natürlich immer von einer Reihe von Faktoren ab: von der jeweiligen Anwendung, Größe der Gebäude oder Industrieanlagen, vom Umfang der tatsächlichen Energieeffizienz-Maßnahmen. Was wir sehen und von Kunden bestätigt bekommen, ist: Werden Schwachstellen im Verbrauch gezielt geortet und behoben, lassen sich in sehr kurzer Zeit Einsparungen von bis zu zehn Prozent erreichen. Werden zusätzlich Lastspitzen vermieden und zum Beispiel die Produktionsauslastung optimiert, können Einsparungen von gut 30 Prozent erreicht werden. Fakt ist: Datenbasiert lassen sich in nahezu allen Unternehmen Einsparungen realisieren. Hinzu kommen Verbesserungen unter anderem in der Ausfallssicherheit und Instandhaltung.
Smartes Energiemanagement ist für Optimierungspotenziale essenziell. Wie wichtig ist hier das IoT?
IoT- beziehungsweise Cloudlösungen bieten für Betreiber auch im Energiemanagement enorme Vorteile: Zum einen ist der Aufwand für den Aufbau und den Betrieb eigener IT-Infrastrukturen wesentlich geringer. Zum anderen lassen sich in der Cloud riesige Datenvolumina von unterschiedlichen Geräten speichern und verarbeiten, die ortsunabhängig für Analysen mittels entsprechender Apps bereitstehen. Kurzum: geringerer Aufwand, dafür mehr Möglichkeiten.
Wie genau haben sich die Cyberbedrohungen für Industrieanlagen in Corona-Zeiten verändert?
Die Bedrohungslage hat sich überall verschärft: Angriffsversuche werden mehr, die Methoden professioneller und perfider. Wichtiger denn je ist es, Daten, kommunikationsfähige Geräte und Anlagen entsprechend abzusichern. Das gilt auch für die Energieversorgungssysteme.
Wie reagieren Industrieunternehmen am besten, wenn es zu einer Kompromittierung durch Hacker kommen sollte?
Hundertprozentigen Schutz vor Angriffen aus dem Netz wird es nicht geben können. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen möglichst strategisch und ganzheitlich planen, das heißt, unter Berücksichtigung aller Daten und Anlagen, organisatorischer Aspekte, Mitarbeiter, Lieferanten und Partner. Mit der Charter of Trust hat Siemens ein Netzwerk mitbegründet, in dem wir mit Spezialisten an der Bewältigung der globalen Cyberbedrohung arbeiten. Zur Absicherung unserer Systeme setzen wir auf ein Defense-in-Depth-Konzept, das verschiedene, von der Betriebs- bis zur Feldebene aufeinander abgestimmte Maßnahmen beinhaltet. Unsere Produkte verwenden ausschließlich von Siemens signierte Firmware, IP-Adressfilter, Passwortschutz und mechanische Verriegelungslösungen. Externe Security-Experten screenen sie zudem laufend nach Schwachstellen. Wird eine Lücke festgestellt, erhalten Anwender umgehend Patches und Sicherheitsupdates.
Für welche externen Angriffe sind Niederspannungs-Energieverteilungen im Vergleich zu anderen Komponenten besonders anfällig?
Malware-Angriffe auf die Stromverteilung in Gebäuden, Infrastrukturen und Industrien sind bislang noch weniger im Fokus als Attacken auf Stromnetze. Die potenziellen Folgen aber sind mindestens so vielfältig und brisant: Sie reichen vom Diebstahl sensibler Energie- oder Anlagendaten über die mutwillige Unterbrechung der Stromversorgung in Produktionsanlagen oder Infrastruktureinrichtungen bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen, etwa dann, wenn wichtige Schutzgeräte kompromittiert werden.
Wohin geht der Weg der Stromversorgung? Wie sollte dieser bis 2030 aussehen? Und welche Rolle spielt die Integration von Erneuerbaren und Lastmanagement für die Stromversorgung?
In den kommenden Jahren wird es meiner Meinung nach vor allem um die genannten Themen – Resilienz, Intelligenz und Cybersicherheit – gehen. Nachhaltigkeit, und damit die Integration erneuerbarer Energien in die Verteilnetze, sowie die Erhöhung der betrieblichen Energieeffizienz, bleibt daneben eine zentrale Aufgabe im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel.