E&E:
Seit einiger Zeit herrscht eine Knappheit an bestimmten Bauteilen, wie manchen Widerständen. Wie beeinflusst Sie das als Embedded-Board-Hersteller?
Stefanie Kölbl:
Natürlich registrieren wir das und haben damit auch etwas zu kämpfen. In einigen Fällen haben uns zum Beispiel Lieferanten Lieferzeiten von drei Jahren angeboten. Wirkliche Katastrophen sind bisher aber ausgeblieben. Wir hatten also keine Produktionsstillstände. Dabei hilft uns, dass wir in China gut aufgestellt sind. Durch unsere dortige Niederlassung haben wir Zugriff auf den asiatischen Markt. Außerdem haben wir intern einige Mechanismen eingeführt, als wir die Knappheit bemerkten.
Welche Mechanismen sind das?
Wir legen großen Wert auf eine Multihersteller-Strategie. Gerade bei passiven Komponenten achten wir bereits bei der Artikelanlage darauf, dass wir die Modelle von mehreren Herstellern freigeben. Wird ein Bauteil knapp, können wir auf eine Alternative wechseln. Bisher haben wir dadurch immer eine Ausweichmöglichkeit gefunden, die am Markt noch sehr gut verfügbar war.
Bei welchen Bauteilen bemerken Sie die Allokation besonders?
Bei den Passiven sind eigentlich fast alle Arten von Bauteilen betroffen. Das ist nicht auf eine bestimmte Kategorie begrenzt. Die Entwicklung hat alle erfasst: von 0815-Widerständen, über Kondensatoren bis hin zu speziellen, hochpreisigen Komponenten. Teilweise haben sich die Lieferzeiten um bis zu 500 Prozent erhöht. Nur bei ganz wenigen Bauteilen sind sie konstant geblieben.
Sie haben vorhin von Lieferzeiten von drei Jahren gesprochen. Um welche Bauteile handelt es sich dabei?
Dabei ging es um MLCC-Kondensatoren. Dort ist die Situation besonders extrem. Solche Lieferzeiten können wir unseren EMS-Kunden natürlich nicht anbieten.
Für viele Marktbeobachter gab es ab 2016 erste Anzeichen für eine Verschärfung der Liefersituation. Ab wann hat sich diese für Sie abgezeichnet?
Ende 2015, Anfang 2016 sind die ersten Lieferzeiten sprunghaft nach oben gegangen. In diesem Zeitraum hat es auch begonnen, dass einige Bestellungen nicht mehr fristgerecht angekommen sind. Das waren für uns die ersten Warnzeichen.
Welche Maßnahmen haben Sie daraufhin ergriffen?
Falls sich die Lieferzeiten stark nach hinten verschieben, dann greifen wir gerne auf unsere Kollegen in China zurück. Der asiatische ist der weltweit dominierende Markt. Deshalb ist es dort teilweise einfacher, an die Komponenten zu kommen als in Europa. Wenn wir in Europa ein Lieferproblem haben, hilft uns deshalb oft unsere chinesische Niederlassung aus.
Wieso kommen Sie dort leichter an bestimmte Bauteile?
Die dortigen Hersteller konzentrieren sich sehr stark auf den asiatischen Markt. Das ist auch verständlich. Nur ungefähr zehn Prozent der weltweit hergestellten Halbleiter landen in Europa. Und da ist Automotive mit eingerechnet. Das ist ein sehr kleiner Anteil. Circa 75 Prozent bleiben im asiatischen Markt. Deshalb schauen die Hersteller, dass sie diesen Markt als erstes abdecken. Dort agieren ihre wichtigen Kunden und sie vertreiben die großen Mengen.
Um angespannte Liefersituationen zu vermeiden, benötigt ein Unternehmen also nur eine asiatische Niederlassung?
*lacht* Das ist etwas zu einfach gedacht. Es ist ein Hilfsmittel. Der asiatische Markt ist nicht ganz einfach. Man muss dort besonders darauf achten, zuverlässige Lieferanten zu haben. Auch gefälschte Produkte sind dort ein großes Problem. Mit der nötigen Erfahrung lässt sich aber ein guter Benefit aus einer dortigen Niederlassung generieren.
Gefälschte Produkte sind durch die Verknappung nicht nur ein Problem in Asien, sondern auch immer stärker in Europa. Bemerken Sie das ebenfalls?
Das kann ich für uns nicht bestätigen. Vielleicht liegt das aber daran, dass wir generell versuchen, Notzukäufe über Broker zu vermeiden. Solche führen wir nur durch, wenn der Kunde darauf besteht. In solchen Fällen ziehen wir auch immer ein Testhaus mit hinzu oder nehmen selbst Prüfungen an den Komponenten vor. Dafür haben wir inzwischen eine sehr gute Ausstattung, unter anderem Röntgengeräte. Damit können wir feststellen, ob etwa die Bond-Drähte falsch gesetzt sind oder komplett fehlen. Diesen Prüfprozess durchlaufen alle Bauteile, die wir von Brokern erhalten.
Kommt es aufgrund der Lieferengpässe auch bei Ihnen zu Verzögerungen in der Auslieferung?
Bei unseren Eigenprodukten hatten wir bisher keine Probleme. Da sind wir gut durchgekommen. Bei einigen Kunden, die ganz spezifische Bauteile einsetzen und nur eine Single-Solve-Strategie verfolgen, hat sich manchmal die Auslieferung um ein paar Wochen verzögert. Das war aber auch schon der schlimmste Fall.
Wie ist die Reaktion auf Kundenseite in einem solchen Fall? Lässt sich diesen vermitteln, dass es beispielsweise nur aufgrund eines Widerstands zu einer Verzögerung kommt?
Zum Glück ist das Bewusstsein für die Situation bei unseren Kunden inzwischen schon sehr ausgeprägt. Es betrifft schließlich nicht nur TQ, sondern die gesamte Branche. Auch der Einkauf von OEMs weiß mittlerweile, dass es zu Verzögerungen kommen kann. Die Kunden kennen die Lage und haben deshalb auch Verständnis dafür.
Viele Distributoren raten ihren Kunden, statt der knappen Bauteile, solche von anderen Herstellern zu verwenden. Ist das so einfach möglich?
Das ist der optimale Ansatz. Genau diesen verfolgen wir bei TQ mit unserer Multihersteller-Strategie. Dafür müssen aber bereits in der Entwicklung die Komponenten von mehreren Herstellern in das Design aufgenommen und auch entsprechend zugelassen und qualifiziert werden. In diesem Fall ist ein Wechsel zwischen den verschiedenen Bauteilen unproblematisch. Ganz anders sieht es aus, wenn dieser erst im Nachhinein erfolgen soll. Dafür ist teilweise ein Redesign nötig. In der Medizintechnik oder der Luftfahrt ist das komplett uninteressant. Dort müsste für jede neue Komponente erneut das Zulassungsverfahren durchlaufen werden. Das kann bis zu zwei Jahre dauern. Der Rat der Distributoren ist an sich gut. Er funktioniert aber nur mit der entsprechenden Vorarbeit.
Haben Sie ebenfalls Komponenten von zusätzlichen Herstellern in Ihr Repertoire aufgenommen?
Das haben wir gemacht. Wie sich die Situationen weiterhin entwickelt und ob es mittelfristig wieder zu einer Entspannung kommt, ist schwer vorherzusehen. Deshalb sorgen wir für zusätzliche Ausweichmöglichkeiten bei kritischen Komponenten. Dadurch erhöht sich unsere Liefersicherheit.
Hilft ein gutes Obsoleszenzmanagement bei der Bewältigung der aktuellen Situation?
Auf jeden Fall. Wir sehen die Vorteile eines umfangreichen Obsoleszenzmanagements gerade bei unseren eigenen Produkten. Bei diesen legen wir die Bauteile genau passend aus. Nicht nur bezogen auf die technischen Spezifikationen, sondern auch auf die Lebenszeit. Und wir planen bereits bei der Entwicklung Alternativen ein. Deshalb müssen wir oft keinen reaktiven Ansatz nutzen, der meistens nur Notfallplan und deshalb auch sehr kostenintensiv ist. Durch diesen präventiven Ansatz lässt sich viel Geld sparen, der Aufwand ist viel geringer und die Versorgungssicherheit und Lieferfähigkeit können einfacher aufrechterhalten werden. Beim Obsoleszenzmanagement sind wir bei TQ wirklich sehr gut aufgestellt. Wir haben dafür einen eigenen Bereich geschaffen. Dieser ist nicht nur ein Teil des Einkaufs oder der Entwicklung, sondern eigenständig. Das war unserer Geschäftsleitung sehr wichtig.
Wie lange wird die Verknappung Ihrer Ansicht nach noch anhalten?
Das ist schwer abzusehen und eher ein Blick in die berühmte Glaskugel. Aktuell bemerken wir keine Entlastung. Wir erwarten auch definitiv keine in diesem Jahr. Die Situation verschärft sich zusätzlich durch die immer schnelleren Abkündigungen von Bauteilen. Weil diese dadurch kürzer verfügbar sind.
Woran liegt das?
Das hängt mit der starken Dominanz des Konsummarkts zusammen. Der reine Industriebereich macht um die 6,5 Prozent des weltweiten Markts aus. Er ist deshalb natürlich weniger interessant für die Hersteller als der Konsumbereich. Dieser benötigt keine so lange Verfügbarkeit der Komponenten. Im Industriebereich geht es bei zehn Jahren erst los.
Werden Bauteile aus dem Industriebereich abgekündigt, weil sie sich im Vergleich mit solchen aus dem Konsumbereich nicht mehr rentieren?
Natürlich. Die Hersteller müssen ihre Kapazitäten entsprechend verteilen. 2017 haben zum Beispiel Samsung und Apple gemeinsam alleine 20 Prozent der weltweiten Halbleiter bezogen. Die Top Ten lagen bei 40 Prozent. Da geht es um Stückzahlen von mehreren Millionen oder Milliarden. Das sind natürlich vollkommen andere Mengen als im Industriebereich. Natürlich konzentrieren sich die Hersteller stärker auf diese Kunden.
Sollten Entwickler deshalb stärker Komponenten für den Konsumbereich auch in der Industrie einsetzen?
Das geschieht bereits, verschärft die Abkündigungsproblematik allerdings noch zusätzlich. Die Komponenten sind zwar besser verfügbar, aber auch nach kurzer Zeit wieder abgekündigt. Entwicklungsingenieure müssen sich dieser Problematik gewahr sein. Sie sollten sich stärker in Richtung von Komponentenherstellern orientieren, die Long-Life-Programme anbieten, also Komponenten für zehn Jahre oder länger im Programm haben. Entwickler müssen Bauteile wesentlich bewusster auswählen als bisher.