So geht Obsoleszenz-Management Sicherung der Langzeitverfügbarkeit von Bauteilen und Vorbeugung vor Allokationen

Als Obsoleszenz wird der Wechsel oder drohende Wechsel von Verfügbarkeit zur Nicht-Verfügbarkeit durch den Originalhersteller bezeichnet.

Bild: TQ; iStock, tunart
28.10.2024

Die Lebens- und Verfügbarkeitsdauer elektronischer Komponenten nimmt permanent ab und beträgt nur noch wenige Jahre. Dagegen misst die Lebensdauer industrieller Applikationen – beispielsweise in der Luft- & Raumfahrt – mehrere Jahrzehnte. Hier ist eine signifikante Diskrepanz zwischen Komponenten- und Produktlebensdauer zu verzeichnen, die durch ein aktives Obsoleszenz Management überwunden werden soll. Gerade auch während der Allokation profitieren OEMs von einem langfristigen Ansatz.

Obsoleszenz begegnet uns auch als Verbraucher im täglichen Leben, so dass – angefangen mit dem Phoebuskartell – in den vergangenen Jahren viele Fälle in den Medien diskutiert wurden. Was von privaten Haushalten als lästig empfunden wird, ist mit deutlich schwereren Auswirkungen für die Industrie verbunden. Hierbei ist weniger die geplante Obsoleszenz, als die Abkündigung aufgrund von neuen Technologien und Nachfolgeprodukten relevant. Da sich auch die Hersteller von Elektronikkomponenten auf die Anforderungen der dominierenden Hauptkunden konzentrieren, erfolgt dementsprechend eine Ausrichtung der Lebensdauer an der Consumer-Elektronik, die die höchsten Marktanteile des weltweiten Halbleiterkonsums aufweist. Allein die beiden größten Smartphone-Hersteller bezogen 2023 kumuliert nahezu 20 Prozent der weltweiten Halbleiterprodukte, die zehn größten Abnehmer realisierten insgesamt mehr als 40 Prozent. Besondere Markttreiber sind aktuell die Megatrends 5G, Data Storage und IoT, wodurch diese wichtige Impulse für die Anforderungen an Komponenten definieren.

Erschwerend kam 2020 eine Allokation in bisher ungekanntem Ausmaß hinzu, durch die weitere Bauteile nicht mehr verfügbar waren. Lieferzeiten von 52 bis 180 Wochen anstatt von 10 bis 20 Wochen waren dabei keine Besonderheit mehr, sondern leider bittere Realität. Und dabei stellen nicht immer nur aktive Komponenten Auslöser für Produktionsstopps dar, auch passive Bauteile mutierten vermehrt zum Bottleneck. Die Allokation wirkt dabei auch in vielen Fällen als Obsoleszenz-Treiber, da die knappen Kapazitäten und Ressourcen auf die margenträchtigsten Produkte konzentriert und dadurch auch komplette Produktfamilien abgekündigt werden. Damit wirkt die Allokation als kurzzeitige Obsoleszenz.

Die verschiedenen Varianten der Obsoleszenz

Als Obsoleszenz wird der Wechsel oder drohende Wechsel von Verfügbarkeit zur Nicht-Verfügbarkeit durch den Originalhersteller bezeichnet. Häufig wird auch der Begriff Diminishing Manufacturing Sources and Material Shortages (DMSMS) anstatt Obsoleszenz verwendet. Dieser betont die fehlende Verfügbarkeit von Komponenten und Technologien. Obsoleszenz ist unvermeidbar, und lediglich die Risiken der Auswirkungen lassen sich reduzieren (DIN EN 62402:2007).

Obsoleszenz kann neben der geplanten Obsoleszenz in verschiedenen Formen auftreten. Dazu zählen die logistische, funktionale, technologische und die Bestands-Obsoleszenz. Die logistische Obsoleszenz beschreibt hierbei den Verlust der Beschaffungsfähigkeit und umschreibt damit auch die aktuelle Allokationsphase. Dadurch wird ersichtlich, dass sich die Obsoleszenz nicht immer auf einen dauerhaften Zustand beziehen muss. Auch eine kurzzeitige Obsoleszenz ist damit möglich.

Bei der funktionalen Obsoleszenz wird die Verfügbarkeit aufrechterhalten, das Produkt wird aber modifizierten Anforderungen nicht mehr gerecht. Folglich ist die Funktion des Produktes veraltet, so dass eine Produktanpassung erforderlich ist. Im Rahmen der technologischen Obsoleszenz erfolgt eine Abkündigung aufgrund der Einführung von Nachfolgeprodukten mit neuen Technologien, wodurch die Produktion sowie der Support für die Vorgängerversionen eingestellt werden. Die Bestands-Obsoleszenz beschreibt das Gegenteil, indem gelagerte Produkte obsolet sind, allerdings aufgrund einer Modifikation beziehungsweise eines Redesigns auch nicht mehr benötigt werden.

Als Sonderform kann die Allokation betrachtet werden, da hier die Auswirkungen identisch sind, die Obsoleszenz aber lediglich einen kurzzeitigen Charakter aufweist und die Lieferzeiten mit der Zeit wieder rückläufig und damit die Bauteile auch wieder verfügbar sein sollen. Die Obsoleszenz beschränkt sich nicht nur auf elektronische und mechanische Komponenten, sondern auch Software, Prozesse, Materialien, Standards und Human Skills können betroffen sein und so die Produzierbarkeit und Servicemöglichkeit erheblich einschränken.

Auswirkungen der Obsoleszenz

Obsoleszenz wirkt sich auf die Produktsicherheit, die Lebenszykluskosten, die Umwelt sowie auf die Unternehmensreputation aus. Besonders gravierend sind die Auswirkungen der Obsoleszenz auf Applikationen mit kostenintensiven Qualifizierungs- und Zertifizierungsmaßnahmen, für die ein Komponentenwechsel mit großem Aufwand verbunden ist.

Durch Änderungen und Abkündigungen von Komponenten können sich die Entwicklungszeit sowie die -kosten von Produkten signifikant erhöhen. Des Weiteren zählen die kürzeren Produktlebenszyklen von Komponenten zu den größten Herausforderungen im Produktentstehungsprozess und verschärfen das Spannungsfeld zwischen Qualität, Kosten und Zeit. In Verbindung mit der erwarteten Steigerung der Produktvernetzung und -komplexität neuer Produkte lässt sich daraus eindeutig schließen, dass Abkündigungen von einzelnen Elementen weitreichenden Folgen für die Produkte und Gesamtsysteme haben.

Die sinkende Lebens- und Nutzungsdauer von Elektronikgeräten ist auch mit erheblichen Umweltfolgen verbunden. In den vergangenen Jahren hat die Menge an E-Waste signifikant zugenommen, wobei Produkt-Obsoleszenz aufgrund der beschleunigten Innovationszyklen und den sinkenden Produktpreisen einen signifikanten Auslöser darstellt.

Obsoleszenz Management als Lösung

Die Risiken dieser Auswirkungen sollen dementsprechend durch ein Obsoleszenz Management (OM) reduziert werden. Hierzu gibt es verschiedene Möglichkeiten, die sich in den reaktiven und proaktiven Bereich unterteilen lassen. Das reaktive OM tritt erst im Fall einer Abkündigung ein, wohingegen im Rahmen des proaktiven OMs bereits frühzeitig Maßnahmen definiert werden, um die Systemerhaltung optimal planen und gestalten zu können. Zu beachten ist hier allerdings, inwiefern sich die Kosten der proaktiven und reaktiven OM-Aktivitäten differenzieren.

Im Rahmen verschiedener Studien zeigt sich, dass mittels eines proaktiven Ansatzes und einer frühzeitigen Maßnahmen-Definition eine deutliche Kostenersparnis im Vergleich zu den reaktiven Maßnahmen realisiert werden kann.

Da in der Entwicklungsphase von Elektronikprodukten circa 70 bis 80 Prozent der Produktkosten festgelegt werden, ist es wichtig, bereits in dieser frühen Phase das OM zu berücksichtigen, um nachhaltig und kostenoptimal agieren zu können.

OM-Modelle während des Produktlebenszyklus

Es gibt verschiedene Maßnahmen und Aktivitäten, die im Rahmen des OMs umzusetzen sind. Hierbei werden Lebenszyklus-Modelle, die OM zu verschiedenen Zeiten im Produktlebenszyklus, sowie Design Refresh-Modelle, die das Vorgehen im Rahmen einer Überarbeitung des Produktes demonstrieren, gleichermaßen betrachtet.

Forecast-Methoden

Forecast-Methoden ermitteln die erwartete Lebensdauer von Komponenten mittels mathematischer Modelle und stellen den Verlauf des Produktlebenszyklus als Gauß-Kurve dar. Im Rahmen des Forecasts der erwarteten Lebensdauer von Komponenten sind die Betrachtung der technischen Parameter, der Strategie des Herstellers sowie der historischen Daten erforderlich. Diese Methoden können bereits im Rahmen der Entwicklungsphase, sowie begleitend im weiteren Verlauf des Produktlebenszyklus eingesetzt werden. Für die Allokation bietet diese Methode keine Unterstützung, da lediglich die Lebensdauer, aber nicht die Beschaffbarkeit betrachtet wird.

Risikobewertung

Bei der Risikobewertung werden alle Komponenten einer Stückliste detailliert betrachtet und deren Komplexität hinsichtlich des Gesamtsystems eingeschätzt. Auf dieser Basis werden im Weiteren die Auswirkungen auf das Endprodukt sowie die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Abkündigung bewertet.

Im ersten Schritt erfolgen die Festlegung der Lebensdauer und Servicezeit des Produktes sowie mögliche Redesign-Zeitpunkte. Anschließend werden die erforderlichen Ressourcen für den Umgang mit Obsoleszenz eingeplant, die Humankapital, Tools und Budget beinhalten. Nachfolgend werden die Komponenten der Stückliste in Obsoleszenz-relevante und -irrelevante Gruppen untergliedert und einer Risikoanalyse unterzogen. Im Rahmen der Risikobewertung sollten die Jahre bis zur erwarteten Abkündigung, die Anzahl der bestehenden Lieferanten mit entsprechendem Lagerbestand sowie möglicher Alternativen anderer Herstellern berücksichtigt werden. Zusätzlich fließt die Kritikalität der Komponente bzgl. Sicherheit sowie die Lebensdauer des Gesamtsystems in die Beurteilung ein.

Im fünften Schritt wird durch Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit der Obsoleszenz und der Kritikalität eine Risikomatrix entwickelt, durch die eine Priorisierung und Lösungsdefinition möglich ist. Eine Untergliederung erfolgt hierbei nach geringem, mittlerem, hohem und sehr hohem Obsoleszenz-Risiko.

Die definierten Maßnahmen sind anschließend zu fixieren und zu implementieren. Abschließend erfolgt eine periodische Überprüfung der Einstufung und ggf. eine Aktualisierung. Eine exakte Einordnung in den Produktlebenszyklus wird nicht vorgenommen, allerdings ist hierbei die Entwicklungs- und Serienfertigungsphase mit einer permanenten Risikoermittlung und -überwachung zu empfehlen.

Die Risikobewertung empfiehlt sich insbesondere während der Allokation, da hier regelmäßig die auf dem Markt verfügbaren Lager- und Lieferbestände analysiert werden. Daraus kann ein Trend abgeleitet und gefährdete Komponenten identifiziert werden. Durch eine kontinuierliche Anpassung der Lieferzeiten im ERP-System kann auch die rechtzeitige Beschaffung gewährleitstet werden, indem Bestellanforderungen pünktlich versendet werden können.

Design-Strategien

Um eine Verlängerung der Lebensdauer von Elektronik realisieren zu können, wurden verschiedene Design-Strategien für die Entwicklungsphase definiert. Diese beinhalten eine Materialeffizienz, das heißt eine Auswahl von Ressourcen und Materialien zur Erfüllung der produktspezifischen Anforderungen, sowie eine Reparaturfähigkeit, um bei Ausfällen einen punktuellen Austausch anstelle des Wegwerfens des ganzen Produktes vornehmen zu können.

Zusätzlich ist es wichtig, die funktonale, ästhetische und emotionale Haltbarkeit der Produkte zu berücksichtigen. Ebenso kann mittels Remanufacturing ein bestehendes Produkt durch Einsatz innovativer, neuer Komponenten aktualisiert und mit neuen Funktionen ausgestattet werden. Im Rahmen des Refurbishment erfolgt ein Austausch von Komponenten, so dass sich ein Ausfall frühzeitig vermeiden lässt. Um zusätzlich den Aspekt der Nachhaltigkeit zu integrieren, ist eine Recycling-Möglichkeit des Produktes zu berücksichtigen. Diese ist aufgrund der steigenden Anforderungen umweltbezogener Regulatorien zunehmend gefordert.

Aufgrund der langen Lebens- und Feldzeiten industrieller Anwendungen ist in den meisten Lebenszyklen ein Redesign, das heißt ein Design Refresh, zu integrieren, um die Funktionalität zu aktualisieren und der Obsoleszenz entgegenzuwirken. Hierbei ist insbesondere zu bestimmen, wann ein Redesign durchzuführen ist und welche abgekündigten Komponenten –Hard- und Software gleichermaßen – zu ersetzen sind. Zusätzlich werden aber auch bereits abkündigungsgefährdete Komponenten ausgetauscht, um den nächsten Redesign-Zeitpunkt möglichst weit in die Zukunft zu verschieben.

Bis der Redesign-Zeitpunkt erreicht ist, können kurzfristige Lösungen, wie ein Last Time Buy der abgekündigten Bauteile mit anschließender Lagerung angewendet werden, um die Zeit zu überbrücken. Erst im Rahmen des Redesigns werden diese dann durch Alternativen ersetzt und bei Bedarf das Layout und die Funktionalität angepasst. Auch eine eventuell erforderliche Requalifizierung und Zulassung, wie beispielsweise in der Medizintechnik und Luft- & Raumfahrt erforderlich, ist hierbei erneut durchzuführen.

Auch die Design-Strategien können maßgeblich zur Abmilderung der Allokation beitragen, indem bereits in der Entwicklungsphase die passenden Komponenten ausgewählt werden, die gut verfügbar sind. Zusätzlich ist auf die Second-Source-Strategie zu setzen, sodass bereits mehrere Alternativen qualifiziert und als 1:1-Ersatz im Falle der Nichtverfügbarkeit einer Komponente eingesetzt werden können. Dazu kann u.a. auch zählen, 3D-druckbare Teile einzusetzen, um so die benötigten Teile auch inhouse fertigen zu können.

Risikomatrix der Ausfallwahrscheinlichkeit

Neben der proaktiven Risikobewertung ist auch eine Bewertung während der Instandhaltung und während der Serienfertigung erforderlich, um im Falle technischer Ausfällen die Verfügbarkeit von entsprechenden Ersatzteilen gewährleisten zu können. Hierfür muss OM in das Risikomanagement des Unternehmens einfließen und im Rahmen einer Failure Modes, Effects und Criticality Analysis (FMECA) bewertet werden. Bei diesem Prozess werden die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Obsoleszenz des Originalteils sowie die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls ermittelt.

Im besten Fall würde die Ausfallwahrscheinlichkeit gegen Null gehen und keine Obsoleszenz vorliegen. Dieser Fall wäre der Idealzustand, der in der Praxis allerdings eher unwahrscheinlich ist. Gut lösbar sind Fälle, in denen zwar ein höheres Ausfallrisiko besteht, für die die Komponenten allerdings trotzdem noch verfügbar sind. Hierbei handelt es sich um das klassische Ersatzteil-Geschäft, um Ausfallzeiten zu reduzieren.

Dieses Modell ist zur Minderung des Allokationsrisikos geeignet, indem die Eintrittswahrscheinlichkeit der Nichtverfügbar bewertet wird. Allerdings müssen für die Sonderform der Allokation andere Faktoren zur Bewertung herangezogen werden als für die „normale“ Obsoleszenz, aber dies kann zum Beispiel durch die Analyse aus der bereits vorgestellten Risikobewertung abgeleitet werden.

Prognosemodell

Durch eine Prognose der erwarteten technologischen Obsoleszenz von Komponenten sowie einer Planung des Produktlebenszyklus sollen mögliche Zeitpunkte eines Redesigns vorab bestimmt werden. Hierbei werden die vorherigen Methoden zusammengeführt. Folglich findet eine Vereinigung von OM und der Technologie-Planung statt, so dass eine Optimierung der Produktkosten während des Lebenszyklus frühzeitig möglich ist.

Dieses Modell kann während der Serienfertigung, aber auch während der Service-Zeiten angewendet werden, da man somit die erwarteten Abkündigungsdaten vorab einschätzen kann. Allerdings ist es auch denkbar, einen Prognose-Ansatz in die Entwicklungsphase einzubeziehen, um bereits hier eine entsprechende Auswahl der Komponenten treffen zu können. Nachdem hierbei alle bereits vorgestellten Modelle Einfluss finden, ist auch das Prognosemodell ein geeignetes Instrument, um die Auswirkungen der Obsoleszenz zu mindern.

Obsoleszenz als Lösung während der Allokation

Die vorgestellten Modelle können in unterschiedlichen Phasen des Lebenszyklus angewendet werden, der in Entwicklung (ETW), Serienfertigung (SF) und After-Sales Service (AS) untergliedert wird. Außerdem hat die Analyse der diversen Modelle gezeigt, dass nicht alle Modelle gleichermaßen als Unterstützung für die Allokation als Sonderform der Obsoleszenz zu betrachten sind. Zusammenfassend wird aber deutlich, dass die Mehrzahl der Obsoleszenz Management Modelle auch zur Minderung des Allokations-Risikos geeignet sind, wodurch auch die Definition der Allokation als Sonderform der Obsoleszenz bestärkt wird.

Bildergalerie

  • Elektronik-Platine aus dem 3D-Drucker

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  • OM-Services im Detail

    OM-Services im Detail

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  • Lager bei TQ

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  • Layout-Entwicklung

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