Seit Anfang der 1990-er Jahre verzeichnete der Handel mit gefälschten Waren ein acht Mal höheres Wachstum als der legale Warenhandel; die Electronic Component Industry Association (ECIA) schätzt, dass zwischen 5 und 25 Prozent der insgesamt verfügbaren elektronischen Bauteile Fälschungen sind. Die ECIA geht davon aus, dass diese Produktfälschungen die Elektronikbranche jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar kosten.
In der Regel handelt es sich bei den gefälschten Waren nicht um billige Kopien, sondern um fehlerhafte, ungeeignete oder funktionsuntüchtige Komponenten, die in ihrem Aussehen hochwertige Bauteile imitieren. Gelangen diese Teile in die Lieferkette, ist das Risiko groß, dass Geräte, in denen sie eingebaut werden, nicht ihren Aufgaben gewachsen sind. Dies bereitet jedem Hersteller Sorge – und für die Hersteller von Industrieanlagen und kritischen Systemen können sogar gefährliche Situationen entstehen. Gefälschte Stromschutzschalter wurden bereits in Atomkraftwerken ausfindig gemacht: Kaum funktionstüchtige Bauteile, die wahrscheinlich im Falle einer Überlast gar nicht richtig auslösen würden.
So kommen die Fälschungen in Umlauf
Es gibt mehrere Wege, wie die Fälscher versuchen, ihre Produkte als funktionsfähige Komponenten in Umlauf zu bringen. Einige relativ einfache, in riesigen Stückzahlen verbaute Komponenten werden so gefälscht, dass sie sogar ähnlich wie ihre Vorbilder funktionieren; sie bieten jedoch nicht die Garantien, die von den rechtmäßigen Herstellern gewährt werden. Diese Bauteile lassen sich durch Funktionstests nur schwer als Fälschungen entlarven, da sie wahrscheinlich ein ähnliches Verhalten zeigen wie die echten Bauteile. Solche Fälschungen lassen sich durch chemische Tests aufdecken, wenn die Hersteller für die wichtigsten Prozesse in ihren Werken geringfügig abweichende Stoffzusammensetzungen verwenden, und durch Abweichungen bei den Gehäusen, in denen das echte Produkt angeboten wird.
Doch viele Fälscher versuchen erst gar nicht, funktionsfähige Bauteile herzustellen. Stattdessen nutzen sie Schwachstellen aus, die sich in der Lieferkette offenbaren. Hersteller kennzeichnen ihre Produkte normalerweise mit Logos und ID-Codes, doch einem Kunden ist oftmals gar nicht klar, ob die vorgefundene Kennzeichnung auf einem Teil dieses als echtes Produkt ausweist – oder ob es sich um eine clevere Fälschung handelt.
Eine häufige Vorgehensweise ist das so genannte Overmarking. Dabei wird ein billigeres Bauelement, das nur zum Einsatz in Systemen geeignet ist, die im Standardtemperaturbereich arbeiten, umverpackt und als ein Element ausgewiesen, das angeblich viel extremeren Temperaturen standhalten kann. Diese Komponenten werden dann mit sehr hoher Gewinnspanne verkauft. Vor allem Hersteller kritischer Systeme sind dieser Fälschungsgefahr ausgesetzt. Denn die hochwertigen Teile, die speziell für sicherheitskritische Systeme und Ausrüstung für extreme Umgebungsbedingungen entwickelt wurden, versprechen den Fälschern die höchsten Gewinne.
Problem Black-Topping und Overbuilding
Eine andere von den Fälschern genutzte Technik ist es, in der Testphase ausgesonderte Produkte aufzuspüren, die man nicht ordnungsgemäß zerstört hat. Oder sie verwenden Produkte, die beim Recycling aus Elektronikschrott gewonnen werden. Diese Teile verpacken die Fälscher dann neu, um ihnen ein neues Aussehen zu verpassen. Oder sie werden einfach schwarz überlackiert, um sämtliche alten Markierungen und Datumscodes zu entfernen und anschließend neu aufzudrucken. Einfache Versuche dieser als Black-Topping bezeichneten Vorgehensweise kann man durch chemische Tests aufdecken oder einfach, indem man an der Oberfläche des Bauteils reibt – die neue Druckfarbe lässt sich einfach abrubbeln. Die echten Markierungen sind oftmals in die Oberfläche des Gehäuses eingeätzt und lassen sich daher viel schwerer entfernen.
Eine weitere, vor allem in den letzten Jahren neu hinzugekommene, Technik ist das Overbuilding durch Auftragshersteller. Sie stellen zu viele Produkte her und dann, die überzähligen auf dem grauen Markt abzustoßen. Obwohl es sich dabei nicht um Fälschungen im dem Sinne handelt, wie es bei den überlackierten oder nachgeahmten Produkten der Fall ist, bieten sie nicht denselben Support und dieselben Garantieleistungen wie echte Teile und setzen die Kunden einem größeren Lieferkettenrisiko aus.
Vor allem Unternehmen, die den industriellen oder medizinischen Sektor beliefern, werden oft zum Angriffsziel der Produktfälscher: Sie müssen einen langfristigen Support für ihre Systeme bieten und sind daher stärker mit der Abkündigung von Komponenten konfrontiert. Denn die Produktionszyklen vieler Komponenten – vor allem solcher, die auf Halbleitertechnik beruhen – haben sich dramatisch verkürzt.
Viele Geräte werden in erster Linie für den Einsatz in den Endverbrauchermärkten konzipiert, wo es vor allem um ein hohes Entwicklungstempo, niedrige Preise und immer bessere Leistungseigenschaften geht. So versuchen IC-Hersteller von den Fortschritten in der Prozesstechnik zu profitieren, die typischerweise in einem Zweijahresrhythmus auftreten.
Vorsichtig sein bei Ersatzbauteilen
Im Gegensatz dazu können Hersteller industrieller oder medizinischer Systeme nicht so flexibel sein, weil sie für jede Neuentwicklung erst Zulassungen einholen müssen und oftmals an langfristige Support-Vereinbarungen für ihre Systeme gebunden sind. Die Möglichkeit, Ersatzbauteile für diese Produkte zu finden, wird im Lauf der Zeit und angesichts von Änderungen der Gesetzeslage immer schwieriger, etwa durch das Verbot bestimmter Materialien wie Blei. Dadurch steigt das Risiko, dass Fälschungen in die Lieferkette gelangen können. Als Hersteller in der vergangenen Zeit einige ihrer bleihaltigen Bauteile nicht mehr fertigten, weil sich wegen der geringen Absatzmengen Neuentwicklungen mit bleifreien Lösungen nicht mehr lohnten, standen die Produktfälscher schon bereit. Sie nahmen einfach ähnliche bleifreie Produkte und versahen sie mit den Codes, wie sie die bleihaltigen Bauteile hatten. Selbst wenn die Teile ordnungsgemäß funktionierten, erhöhte sich durch ihre Nutzung jedoch das Risiko von Ausfällen im Lötprozess.
Maßnahmen gegen Produktpiraterie
Es gibt keine generelle Lösung für das Problem der Produktfälschung, aber die Kunden können sich davor schützen. Hersteller beschäftigen sich inzwischen intensiv mit Maßnahmen zum Schutz vor Produktpiraterie, etwa der Verwendung von Gehäusemarkierungen, die sich nur sehr schwer kopieren lassen. Ein Beispiel hierfür ist die Lasermarkierung, bei der in die Gehäuseoberfläche ein eindeutiges Muster graviert wird. Geräte, die diese per Laser aufgebrachten Codes lesen können, gewährleisten dann, dass ausschließlich echte Bauteile eine optische Inspektion passieren können. Allerdings befinden sich diese Bemühungen noch im Anfangsstadium und können so nicht zum Schutz der Mehrzahl von Bauteilen in einer Stückliste beitragen.
Auch mithilfe einer direkten Analyse der Bauteile lässt sich deren Herkunft ermitteln. Doch viele dieser Techniken sind mit destruktiven Testmethoden verknüpft und lassen sich nur teuer umsetzen, da sie den Zugang auf Ausrüstung wie Röntgengeräte und Massenspektrometer voraussetzen. Und selbst wenn dieser Zugang gegeben ist, kann man die eingehenden Waren immer nur stichprobenartig überprüfen. Hundertprozentig sicherstellen, dass man keine gefälschten Teile verwendet, kann man nur, indem man sämtliche Teile testet, ehe sie in Systeme eingebaut werden.
Auch die Kenntnis der Techniken, die von den Fälschern genutzt werden, um ihre Produkte zu markieren, kann eine nützliche Waffe im Kampf gegen Fälschungen sein. Die Hersteller sind heute viel achtsamer, wenn es darum geht, wie sie ihre Produkte mit Warenzeichen und anderen der Identifizierung dienenden Markierungen versehen. Die Fälscher übersehen solche Feinheiten oftmals – und hoffen dasselbe von ihren Opfern. In Datenbanken, die Lieferkettenorganisationen in den letzten Jahren eingerichtet haben, können Benutzer wertvolle Informationen dazu finden, auf welche Fälschungen sie achten müssen. Allerdings steht und fällt diese Strategie mit einer kontinuierlichen Wachsamkeit seitens der Benutzer.
Die effektivste Strategie besteht in einer engen Zusammenarbeit mit Lieferkettenpartnern, die sich aktiv dafür einsetzen, dass sie Zugang zu echten Bauteilen haben. Viele gefälschte Komponenten gelangen über den grauen Markt in die Lieferkette. Indem sie ihre Waren als Lagerüberbestände oder als von OEMs zurückgegebene Teile deklarieren, können Fälscher ihre Produkte in konventionelle Vertriebskanäle einschleusen. Dagegen arbeiten Vertragslieferanten direkt mit den Herstellern zusammen und können für die von ihnen gelieferten Bauteile eine vollständige Prüfkette nachweisen, einschließlich detaillierter Angaben zu Datumscodes und anderen Beweismerkmalen.
Um den Kampf gegen Produktpiraterie zu unterstützen, hat die ECIA mehrere Initiativen ins Leben gerufen, beispielsweise den Advocacy and Industry Promotion Council, dem auch Digi-Key angehört. Diese Initiativen sollen das Bewusstsein für die Probleme stärken, die mit gefälschten Teilen einhergehen.
Die ECIA unterstützt auch die Initiativen der Gesetzgeber gegen das zunehmende Auftreten gefälschter Komponenten und unterstützt die Rolle von Vertragslieferanten durch Services wie ECIAauthorized.com.