Besonders spannend macht das Thema Elektronikdistribution im Moment, die Tatsache, dass auffällig viel Bewegung und Veränderung im Markt ist. Aufkäufe und Zusammenschlüsse sind an der Tagesordnung. In vielen inhabergeführten Unternehmen wurde die Nachfolge in den letzten Jahren angetreten, ist noch im Gange oder steht demnächst bevor. Warum häufen sich diese Wechsel im Moment so stark? Ganz einfach: Viele der Distributoren wurden in den späten 60-er- und 70-er-Jahren des letzten Jahrhunderts gegründet. Die Gründer waren oft Ingenieure und nicht selten entstanden die Firmen aus Projekten. Bedenkt man nun, dass wenige dieser Gründer zu jener Zeit jünger als 30 Jahre gewesen sein werden, leuchtet ein dass sich nun viele in den verdienten Ruhestand zurückziehen. Im Ergebnis erzeugen diese geballten Führungswechsel auf jeden Fall einen Impuls in der Branche. Neue Ideen werden umgesetzt; zur meistens stark technisch geprägten Sicht der ersten Generation kommt oft eine nun stärker auch von beispielsweise marktwirtschaftlichen oder Marketingaspekten beeinflusste Sichtweise hinzu.
Was bringt die Zukunft?
Nur wo genau liegt die Zukunft der Distribution? Um die Trends dieser für Entwicklung wie Produktion in der Elektronikindustrie wichtige Branche besser einordnen zu könne, haben wir die Meinung von Insidern eingeholt, die Firmen repräsentieren, die so divers sind wie der Markt an sich. Herausgekommen ist ein spannendes Stimmungsbild, das, trotz aller noch so unterschiedlichen Ansätze der Wettbewerber, auch allgemeine Trends erkennen lässt.
Mehr online aber nicht ausschließlich
Die allermeisten Distributoren wickeln einen Großteil Ihres Geschäfts online ab, bei weiter steigender Tendenz. Entsprechend innovativ wird dieses Segment weiterentwickelt. Remco Tolsma, Country Manager bei RS Deutschland, will seinen Kunden den einfachsten und schnellsten Weg zum gesuchten Produkt bieten. Kontinuierliche Investitionen in eComerce-Kompetenz sieht er für RS als selbstverständlich an. Markus Dobbelfeld, Marketing Officer der Distrelec Gruppe, denkt bereits konsequent in Multichannel. Für ihn werden traditionelle Kanäle nicht überflüssig, sondern durch immer neue ergänzt. „Zwar können Kunden durch die Verbreitung mobiler Endgeräten jederzeit und an jedem Ort in einen Kaufprozess einsteigen. Ihre vertrauten Einkaufsgewohnheiten geben sie dennoch nicht einfach auf. Es gibt immer noch zahlreiche Kunden die per Telefon oder Fax bestellen.“ „Der moderne Konsument ist multioptional und nutzt parallel neue und etablierte Kanäle.“ fasst Dobbelfeld den flexiblen Ansatz zusammen. Dr. Marc Schacherer, Regional Sales Director Central Europe bei Farnell element14, sieht multimedialen Mehrwert im Kommen. Sein Ziel für 2015 ist es, „den Kunden mit Formaten wie etwa 360°-Bildern, Webinaren, Alternativen, Tests, Anwenderkommentare, FAQs und Video optimal über Produkte zu informieren.“ Doch nicht jeder sieht seine Zukunft im Onlineshop: Sven Krumpel, Geschäftsführer von Codico, sieht Onlineshops für sein Unternehmen als Design-In Distributor auch zukünftig nicht als Wettbewerb. „Online bedeutet für uns Standard – der Einsatz von Online Shops kann bei Commodity Produkten in Frage kommen. Unserem Angebot entspricht dieses Geschäftsmodell aber schlicht und einfach nicht. Der Gedanke, Produkte ohne professionelle Beratung anzubieten, widerspricht dem Design-In Gedanken unseres Unternehmens“, fasst Krumpel seine serviceorientierte Strategie zusammen. Und trotz aller elektronischer Möglichkeiten ist selbst der gedruckte Katalog noch nicht tot. Auf unsere Frage nach dem Fossil der Bestellmöglichkeiten gaben gerade Broadliner an, Katalog und Fax würden nach wie vor genutzt, auch wenn es die Anbieter teilweise selbst wundert.
Kontakt zum Kunden
Der Kontakt zum Kunden ist ohnehin ein Punkt, der die Branche bewegt. Die kleineren Spezialdistributoren sehen hier natürlicher Weise ihren originären Vorteil. So sieht Renate Olschewski-Prochnow, Geschäftsführerin und Mehrheitsgesellschafterin von Repro Elektronik, langjährige Kundenbeziehungen als Markenzeichen des Familienunternehmens. „Mitarbeiter sind bei uns oft schon 10 Jahre und länger im Unternehmen. Linien laufen seit 30 bis 60 Jahren. Da können wir einfach persönlicher und gleichzeitig mit extrem hoher Anwendungstiefe beraten“, weiß Olschewski-Prochnow zu berichten. „Der menschliche Wert ist unheimlich tragfähig“, bringt sie ihre durch 40 Jahre in der Branche geprägte Sicht auf den Punkt. Broadliner, die einen Großteil ihres Geschäfts über den Webshop abwickeln, scheinen erst einmal weniger nah am Kunden zu sein. Fragt man nach, erfährt man jedoch, dass auch die Großen mit dem breiten Portfolio nicht die vollelektronische Kundenbeziehung suche. „Eine umfassende Online-Präsenz kann zwar den direkten Kontakt zwischen Distributor und Kunden verringern, Conrad Business Supplies schätzt aber den Wert und die Bedeutung sowohl des Kundenservices, als auch des Außendienstteams mit seinen zahlreichen qualifizierten Mitarbeitern. Diese Teams Teams werden wir weiter ausbauen.“ Ordnet Stefan Fuchs, General Manager Germany bei Conrad Business Supplies, die Priorität des Themas ein. Auch Martin Bielesch, Vice President Sales EMA bei Arrow, sieht eine Online-Präsenz zwar als unabdingbar, merkt aber an, man befinde sich, bei aller Fokussierung auf Online immer noch in einem „People Business“. Die Anforderungen der Kunden will er weiterhin mit einer starken Präsenz von Spezialisten vor Ort bedienen. Markus Dobbelfeld von Distrelec sieht die Europäischen Wurzeln des Unternehmens als Kommunikationsvorteil. So falle es leicht, europäische Kunden zu verstehen und optimal zu unterstützen. Graham Maggs, Director of Marketing bei Mouser Europa, sieht das ganz ähnlich: „Leute kaufen von Leuten, und wir bei Mouser sind überzeugt, dass es unabdingbar ist, Leute zu haben, die nicht nur die Sprache der Kunden sprechen – sie müssen auch deren Lebensweise und Kultur verstehen. Unserer Meinung nach kann man dies nur über Vor-Ort-Niederlassungen erreichen“. Selbst Onlineverfechter Tolsma sieht den digitalen Shop nicht als alleiniges Kommunikationswerkzeug. Gerade die Kombination mit weltweit 2.500 Kundendienst- und Vertriebsmitarbeitern stellt für ihn, unter dem Motto „eCommerce mit Human Touch“, einen Wettbewerbsvorteil von RS dar.
Horizontal oder vertikal?
Neben allen technischen Entwicklungen beschäftigt eine systematische Frage schon seit Jahren die Branche: Deckt ein horizontaler oder ein vertikaler Ansatz die Wünsche der Kunden besser ab? Bei dieser Frage scheiden sich erwartungsgemäß die Geister. Conrad setzt auf einen schnellen und kontinuierlichen Ausbau des Angebots, das schon jetzt etwa 600.000 Produkte, inklusive Eigenmarken umfasst. Für Stefan Fuchs steht auch weiterhin Conrads Geschäft und Distributionsstärke als One-Stop-Shop für Kunden in Europa im Fokus. Sven Krumpel auf der anderen Seite sieht für Codico in der Spezialisierung die Zukunft. „Wir wollen fokussiert bleiben und werden uns weiterhin in Spezialbereichen professionalisieren, in welchen wir einen möglichst hohen Beitrag in der Entwicklungskette bieten können“, führt der Geschäftsführer des Unternehmens in Privatbesitz aus. Martin Bielesch von Arrow empfindet die Diskussion mehr und mehr als inhaltslos. „Fakt ist, dass wir diese Abgrenzungen schon lange nicht mehr leben. Auch beim klassischen Broadliner werden Spezialisierungen über Vertikalisierungen und den Aufbau von Expertenteams vorgenommen. Beispiele sind LED Lighting, Automotive oder Aerospace/Defense.“ Naheliegend scheint, dass sich zwischen dem klassischen Broadliner und dem serviceorientierten Spezialisten eine immer größere Vielfalt an verschiedenen Lösungsanbietern etablieren wird. Den ganz großen der Branche gelingt es eventuell sogar, mehrere dieser verschiedenen Spielarten der Distribution unter einem Dach zu vereinen.