Vitesco Technologies, ein internationaler Anbieter von modernen Antriebstechnologien und Lösungen für die E-Mobilität, treibt die Hybridisierung von Zweirädern voran: Auf der EICMA 2022 präsentierte das Unternehmen die nächste Entwicklungsstufe seines Hybridkonzepts für Motorräder, dessen zusätzlicher Elektroantrieb die CO2-Emissionen deutlich reduziert. Doch das ist nicht alles: Diese Entwicklungsstufe sorgt darüber hinaus für mehr Fahrspaß und ermöglicht neue Fahrfunktionen, die den Komfort und die Sicherheit steigern. Dazu gehören zum Beispiel das rein elektrische Anfahren ohne Kupplungsbetätigung und ein elektrischer Rückwärtsgang. Das System ist konzipiert für Motorräder mit mehr als 125 ccm Hubraum und umfasst einen 48-Volt-Elektromotor, ein automatisiertes Schaltgetriebe und als „Schaltzentrale“ ein PDCU-Steuergerät (Powertrain Domain Control Unit), den so genannten Master Controller.
Die erste Entwicklungsstufe des Hybridkonzepts stellte Vitesco Technologies im vergangenen Jahr auf der EICMA vor. „Für mittelgroße und große Motorräder mit Verbrennungsmotor erwarten wir, dass die künftigen Abgasgrenzwerte durch eine Hybridisierung in Kombination mit einem automatisierten Schaltgetriebe zu erreichen sind. Deshalb lag unser Entwicklungsfokus zunächst voll auf der CO2-Reduzierung“, sagt Torsten Bellon, Leiter der Produktlinie 2-Wheeler & Powersports von Vitesco Technologies.
„In den vergangenen zwölf Monaten haben wir die aus dem PKW-Bereich stammende Technologie dann weiter an die motorradspezifischen Anforderungen angepasst und dabei viele zusätzliche Funktionen entwickelt, die erst durch einen“ elektrifizierten Antriebsstrang ermöglicht werden. Während der Entwicklungsarbeit wurde immer deutlicher, dass unser Hybridkonzept ganz neue Möglichkeiten eröffnet, das Motorradfahren dynamischer, komfortabler und sicherer zu machen. Diese Möglichkeiten haben wir genutzt und können daher nun für die Hersteller ein leicht zu realisierendes, kostengünstiges und sehr effektives System präsentieren.“
Leistungsstark, effizient und kostengünstig
Die E-Maschine des Hybridkonzepts ist ein serienmäßiger riemengetriebener Startergenerator aus dem PKW-Bereich, wo Vitesco Technologies die 48-Volt-Hybridisierung schon seit 2016 einsetzt. Der ebenfalls aus dem PKW-Bereich stammende Master Controller ist für die bei Hybridsystemen besonders anspruchsvolle Regelstrategie zuständig. Er steuert den 48-Volt-Antrieb, kommuniziert mit der Motorsteuerung M4C des Verbrennungsmotors und entscheidet, wann elektrisch gefahren wird, wann „klassisch“ und wann mit einer Kombination der Antriebsarten. Das automatisierte „intelligente Getriebe“ (Smart Transmission) ist mit einer Zentrifugalkupplung und einem intelligenten Aktuator ausgestattet. Während der Fahrt kann der Master Controller dadurch den Gangwechsel eigenständig und ohne Kupplungsbetätigung zu einem im Hinblick auf den Kraftstoffverbrauch optimalen Zeitpunkt durchführen.
Der 12 kW starke E-Motor und die herausnehmbare 1,5 kWh-Batterie ermöglichen es, mit dem Hybridkonzept rein elektrisch bis zu 30 km weit und bis zu 60 km/h schnell zu fahren. Der Verbrennungsmotor des Hybridkonzepts leistet 32 kW, die Spitzengeschwindigkeit beträgt 160 Stundenkilometer. In dieser Konfiguration reduziert das Hybridkonzept die CO2-Emission des Motorrads um bis zu 75 Prozent im aktuellen WMTC (World Motorcycle Test Cycle). Das System steigert das Gewicht nur um rund 20 kg.
Mit 170 kg ist das Hybridkonzept daher leichter als ein leistungsmäßig vergleichbares vollelektrisches Motorrad – und zudem deutlich günstiger. Denn anders als im PKW-Bereich, wo eine Hybridisierung zum Teil mit erheblichen Kosten verbunden ist, lässt sich dieses Motorradsystem von Vitesco Technologies bereits für durchschnittliche Mehrkosten von unter 1.000 Euro realisieren.
Automobiltechnologien und tiefes Motorrad-Verständnis
Vitesco Technologies hat bei der Entwicklung von Motorradlösungen den großen Vorteil, auf hauseigene Automotive-Produkte zugreifen zu können. Doch erst das über zwei Jahrzehnte gewachsene Zweirad-Know-how des Unternehmens ermöglicht es, die Technologien und Komponenten optimal für den Einsatz im Motorrad abzustimmen. Dieses Know-how ist unter anderem erforderlich, um die Algorithmen zu entwickeln, die nicht eins zu eins aus dem PKW-Bereich übernommen werden können.
„Unsere Entwicklungsteams wissen sehr genau, worauf es beim Motorradfahren ankommt und haben immer die unterschiedlichen Nutzergruppen im Blick“, sagt Christophe Genin, Leiter des Hybrid-konzepts. „Zum Beispiel ist für Fahranfänger, die aufs Motorrad umsteigen, die Bedienung der Kupplung die größte Herausforderung. Das war einer der Beweggründe, die Funktionalität des elektrischen Anfahrens zu entwickeln. Dadurch sind bei bis zu 20 km/h das Kuppeln und die Gefahr des so genannten „Abwürgens“ kein Thema mehr.
Das erhöht vor allem im Stop-and-go-Verkehr sowohl den Komfort als auch die Sicherheit.“ Möglich wird das elektrische Anfahren durch den E-Motor und das intelligente Getriebe. „Aber wie bei allen neuen Funktionen unseres Hybrid-Motorrads war auch hier die Entwicklung der entsprechenden Regelstrategie für den Master Controller von zentraler Bedeutung“, sagt Genin.
Eindrucksvoller E-Schub, bequemes Manövrieren und mehr
Der Dreh am Gasgriff führt ebenfalls zu Aha-Erlebnissen. Zum einen spricht der Antrieb dank der sofort verfügbaren E-Power agiler an. Zum anderen sorgt der Elektromotor gerade im unteren Drehzahlbereich für eine beeindruckende Kraftentfaltung: Durch den zusätzlichen „E-Boost“ erreicht das Drehmoment hier bis zu 60 Nm (maximales Drehmoment ohne E-Unterstützung: 37 Nm bei 7.000 Umdrehungen). Das mittelgroße Hybrid-Motorrad (Hubraum: 401 ccm) kann daher mehr Schub generieren als ein konventionelles mit 1.000-ccm-Motor. Und aufgrund des leistungsfähigen Elektroantriebs steht der Schub nicht nur für wenige Sekunden, sondern über Minuten zur Verfügung.
Auch beim Manövrieren setzt das Hybridkonzept neue Maßstäbe. Denn neben dem rein elektrischen Anfahren ermöglicht der E-Antrieb auch das Rückwärtsfahren. Vor allem in engen oder nach vorn abschüssigen Parklücken ist diese Komfortfunktion äußerst hilfreich. Darüber hinaus bietet das Hybridkonzept eine Reihe weiterer Vorteile. So kann die E-Maschine die bei Gangwechseln auftretende kurze Drehmoment-Unterbrechung kompensieren, um beim Hoch- und Runterschalten das Raddrehmoment möglichst konstant zu halten.
Die Generatorfunktion des Elektromotors, mit der die Batterie geladen wird, kann als zusätzliche Motorbremse genutzt werden, so dass die mechanische Hinterradbremse nur noch bei starker Verzögerung eingesetzt werden muss. Außerdem lässt sich das Energiemanagement des Hybridkonzepts mit der Navigation verknüpfen und kann so dafür sorgen, dass die Batterie zum Beispiel vor der Einfahrt in eine Stadt oder vor einer längeren Bergauffahrt vollgeladen ist (sog. „predictive ride“ Funktion). Und zugleich bietet ein Hybridmotorrad große Flexibilität in der Routenplanung: Die Konzeptstudie von Vitesco Technologies hat mit rund 260 km eine größere Reichweite als ein vergleichbares E-Motorrad – und kann an jeder Tankstelle kurzfristig betankt werden.