An Künstlicher Intelligenz (KI) kommt man dieses Jahr nicht vorbei. „2019 werden bei KI die Weichen im Embedded-Markt gestellt“, sagt Raphael Binder, Leiter des Produktmanagements von Syslogic. Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. Praktisch alle Befragten sehen KI als eine der prägendsten Entwicklungen für die Embedded-Branche. Das ist wenig überraschend, war KI doch bereits im letzten Jahr einer der meistbeachteten Trends. Die Marktforschungsunternehmen übertrumpften sich gegenseitig mit Vorhersagen über das gewaltige Wachstumspotenzial von KI. Tractica sagte etwa bis 2025 einen weltweiten Umsatz mit KI von 90 Milliarden US-Dollar voraus. Was angesichts der 13 Billionen US-Dollar, von denen McKinsey bis 2030 ausgeht, wie Peanuts wirkt.
Angesichts der unterschiedlichen Zahlen ist eine gewisse Skepsis angebracht. Belastbarere Hinweise liefern konkrete KI-Projekte, mit denen sich die Embedded-Akteure beschäftigen. Advantech setzt bereits Deep-Learning zur Bild- und Audio-Analyse ein. „Wir haben mit unseren Partnern schon einige Solution Ready Platforms (SRP) realisiert, angefangen von cloudbasierter Verkehrsüberwachung bis hin zu intelligenten Gebäudeautomatisierungssystemen“, berichtet Klaus Martin, Director BDM und PSM bei Advantech Europe.
Auf KI spezialisierte Hardware
Viele Embedded-Hersteller bieten außerdem auf KI zugeschnittene Hardware an. Josef Fromberger, Leiter des Embedded-Bereichs bei TQ-Systems, erklärt dazu: „Wir bieten die Möglichkeit, in unsere COMBox- und MBox-Embedded-PC-Serien für KI optimierte Vision Processing Units oder FPGA-basierte Erweiterungen zu integrieren. Damit lassen sich KI-Anwendungen im industriellen Umfeld sehr performant und verlustleistungsoptimiert realisieren.“ Aber nicht nur bei Kundenprojekten, sondern auch in der eigenen Entwicklung kommt KI bereits zum Einsatz. „Wir nutzen maschinelles Lernen bei der Entwicklung von Checkern für Open-Source-Bibliotheken und APIs“, sagt Mark Hermeling, Senior Director bei Grammatech.
Großes Potenzial für KI-Projekte sehen die Befragten vor allem in intelligenter Bildverarbeitung. Eine starke Nachfrage erwarten sie etwa bei automatisierter Analyse von Bildmaterial, Objekterkennung und Machine-Vision-Anwendungen. „Die höchsten Zuwachsraten im KI-Bereich sehen wir bei der Erfassung und Verarbeitung visueller Daten, vor allem für die Objekterkennung und die Analyse bewegter und unbewegter Bilder“, bringt es Bernd Hantsche, Bereichsleiter Embedded & Wireless bei Rutronik, stellvertretend für die Branche auf den Punkt. Eine wichtige Rolle spielt das zum Beispiel bei der Gesichtserkennung im Smart Home. Dadurch sind etwa Funktionen wie automatische Lichtsteuerung oder Einbruchserkennung möglich. Für die Industrie ist das unter anderem in der Robotik interessant. Eine wichtige Rolle wird KI außerdem für Predictive Maintenance, also vorausschauende Wartung und Instandsetzung, spielen. „Automatisch gesteuerte und gewartete Maschinen und Anlagen werden immer schneller Einzug halten. Dafür leisten auch KI-Konzepte einen wichtigen Beitrag“, meint Norbert Hauser, Vice President Marketing bei Kontron.
Einige technische Hürden gilt es beim Einsatz von KI allerdings noch zu überwinden. Für Florian Freund, Director Engineering DACH bei Arrow, besteht ein Problem darin, wie sich KI-Anwendungen trotz ihres hohen Leistungshungers sinnvoll in Embedded-Systeme integrieren lassen: „Die große Herausforderung sehe ich darin, die aus der High-Performance-Computing-Welt kommenden Ansätze und Lösungen auf Embedded-Systemen mit limitierten Ressourcen umzusetzen.“ Auch beim Testen von KI-Systemen gibt es ihm zufolge noch offene Fragen. Neben diesen technischen Schwierigkeiten stehen laut Vanessa Kluge, Produktmanagerin bei ICP, auch noch mehrere ungeklärte rechtliche Aspekte im Raum. „Bis KI-Anwendungen flächendeckend zum Einsatz kommen, wird noch einige Zeit vergehen, da noch diverse rechtliche Fragen geklärt werden müssen“, meint sie.
KI ist aber nicht das einzige Thema, das die Branche umtreibt. Auch das Internet of Things (IoT) und die immer stärkere Vernetzung stehen weit oben auf der Agenda. „Ein wesentlicher Treiber für die zunehmende Vernetzung ist TSN“, sagt Florian Freund von Arrow. TSN, kurz für Time-Sensitive Networking, ist ein Ethernet-Standard, der Echtzeitübertragungen von Daten ermöglicht. Industrie 4.0 und in Zukunft auch autonome Fahrzeuge sind auf geringe Latenzen und Datenübermittlung in Echtzeit angewiesen. Große Erwartungen ruhen auch auf dem neuen Mobilfunkstandard 5G. Durch Geschwindigkeiten von bis zu 20 Gbit/s soll er die mobile Datenübermittlung deutlich beschleunigen und die Übertragung von viel größeren Datenmengen gestatten. Für Gareth Noyes, Senior Vice President von Wind River, besitzt er deshalb das Potenzial, die Embedded-Branche deutlich zu prägen: „5G mit geringer Latenz und Network-Slicing bietet die Möglichkeit, ganz neu zu definieren, wo im System Rechenvorgänge ablaufen und Daten gespeichert werden. Das könnte sich auf Embedded-Anwendungen nachhaltig auswirken.“ Eng verbunden mit der Vernetzung ist auch Security. „Der Bedarf an Konnektivität ist ungebrochen. Damit die Daten sicher sind, wird Security im Embedded-Bereich eine zentrale Rolle spielen“, bringt es Mark Hermeling von Grammatech auf den Punkt.
Herrscht bei der Bedeutung von KI, Vernetzung und Security starke Einigkeit in der Branche, ändert sich das Bild bei den Themen RISC-V und Android. Bei beiden gibt es einige Vertreter, die in ihnen großes Potenzial sehen. Mark Patrick, Technical Marketing Manager EMEA bei Mouser, hebt etwa die Lizenzfreiheit und die gute Softwareunterstützung von RISC-V hervor. „RISC-V ist kostenlos, Open Source und lizenzfrei für jeden Zweck nutzbar. Der Befehlssatz wird darüber hinaus von einem umfangreichen Teil an Software unterstützt“, erklärt er. Android punktet vor allem bei Anwendungen, die eine ähnliche Bedienung wie Mobilgeräte besitzen und auf viele Apps setzen. „In der Industrie sehen wir Android noch nicht. Anders sieht es bei Applikationen aus, die stärker auf die vom Mobiltelefon bekannte Nutzeroberfläche und die multimedialen Fähigkeiten von Android setzen, etwa im Medizin- oder Automotivebereich“, sagt Karsten Kopka, Business Development Manager bei Hy-Line.
Bei dem überwiegenden Teil der Branche besitzen aber weder RISC-V noch Anroid einen hohen Stellenwert. Gut bringt das Norbert Hauser von Kontron auf den Punkt: „RISC-V ist noch nicht reif für die Embedded-Industrie, sondern eher etwas für die Maker-Szene. Diese Situation hatten wir ursprünglich auch beim Raspberry Pi. Mittlerweile bieten wir Produkte mit ihm an. Ein ähnlicher Trend könnte sich auch bei RISC-V entwickeln.“ Vielleicht ist die Zeit also nur noch nicht reif.