Multisensorisches Hybridmaterial Elektronische Haut für den Einsatz in intelligenten Prothesen

Anna Maria Coclite von der TU Graz ist es mit ihrem Team gelungen, ein 3in1-Hybridmaterial für die nächste Generation smarter, künstlicher Haut herzustellen.

Bild: Lunghammer - TU Graz
18.05.2022

Die von Anna Maria Coclite entwickelte „Smartskin“ kommt menschlicher Haut sehr nahe: Sie nimmt Druck, Feuchtigkeit und Temperatur simultan wahr und produziert elektronische Signale. Sensiblere Roboter oder intelligentere Prothesen sind so denkbar.

Die Haut ist das größte Sinnesorgan und zugleich der Schutzmantel des Menschen. Sie „erfühlt“ mehrere Sinneseindrücke gleichzeitig und meldet Informationen zu Feuchtigkeit, Temperatur und Druck an das Gehirn. Für Anna Maria Coclite ist ein Material mit solchen multisensorischen Eigenschaften „eine Art ‚heiliger Gral‘ in der Technologie intelligenter künstlicher Materialien. Insbesondere die Robotik und intelligente Prothetik würden von einer besser integrierten, präzisieren Sensorik ähnlich der menschlichen Haut profitieren.“

Der ERC-Grant-Trägerin und Forscherin am Institut für Festkörperphysik der TU Graz ist es mittels neuartigem Verfahren gelungen, das Drei-in-Eins-Hybridmaterial „Smartskin“ für die nächste Generation von künstlicher und elektronischer Haut zu entwickeln.

Feinfühlig wie Fingerspitzen

Knapp sechs Jahre lang arbeitete das Team im Rahmen von Coclites ERC-Projekt „SmartCore“ an der Entwicklung von Smartskin. Mit 2.000 einzelnen Sensoren pro Quadratmillimeter ist das Hybridmaterial feinfühliger als menschliche Fingerspitzen. Jeder dieser Sensoren besteht aus einer einmaligen Materialkombination: einem intelligenten Polymer in Form eines Hydrogels im Inneren und aus einer Schale aus piezoelektrischem Zinkoxid.

Coclite erklärt: „Das Hydrogel kann Wasser absorbieren und dehnt sich dadurch bei Feuchtigkeits- und Temperaturänderungen aus. Dabei übt es einen Druck auf das piezoelektrische Zinkoxid aus, das auf diese und auf alle anderen mechanischen Belastungen mit einem elektrischen Signal reagiert.“

Das Ergebnis ist ein hauchdünnes Material, das mit extrem hoher räumlicher Auflösung simultan auf Krafteinwirkung, Feuchtigkeit und Temperatur reagiert und entsprechende elektronische Signale abgibt. „Die ersten Materialsamples sind 6 μm dünn, also 0,006 mm. Es ginge aber sogar noch dünner“, sagt Coclite. Zum Vergleich: Die menschliche Oberhaut, die Epidermis, ist 0,03 bis 2 mm dick. Die Haut des Menschen nimmt Dinge ab einer Größe von etwa einem Quadratmillimeter wahr. Die Smartskin hat eine tausendmal kleinere Auflösung und kann Objekte registrieren, die für die menschliche Haut zu klein sind (etwa Mikroorganismen).

Materialbearbeitung im Nanobereich

Die einzelnen Sensorschichten sind also sehr dünn und gleichzeitig flächendeckend mit Sensorelementen ausgestattet. Möglich war dies in einem weltweit einmaligen Verfahren, für das die Forschenden erstmals drei bekannte Methoden aus der physikalischen Chemie kombinierten: eine chemische Gasphasenabscheidung für das Hydrogelmaterial, eine Atomlagenabscheidung für das Zinkoxid und die Nanoprint-Lithographie für die Polymer-Schablone. Für die lithographische Aufbereitung der Polymer-Schablone zeichnete die Forschungsgruppe „Hybridelektronik und Strukturierung“ unter der Leitung von Barbara Stadlober verantwortlich.

Dem hautähnlichen Hybridmaterial eröffnen sich nun mehrere Anwendungsfelder: Im Gesundheitswesen beispielsweise könnte das Sensormaterial selbstständig Mikroorganismen erkennen und entsprechend melden. Denkbar sind auch Prothesen, die dem Träger oder der Trägerin Auskunft über Temperatur oder Feuchtigkeit geben, oder Roboter, die ihre Umwelt sensibler wahrnehmen können. Auf dem Weg in die Anwendung punktet Smartskin mit einem entscheidenden Vorteil: Die sensorischen Nanostäbchen – der „smarte Kern“ des Materials – werden mit einem dampfbasierten Herstellungsverfahren produziert. Dieses Verfahren ist in Produktionsanlagen etwa für integrierte Schaltkreise bereits gut etabliert. Die Herstellung der Smartskin kann damit leicht skaliert und in bestehende Produktionslinien implementiert werden.

Die Eigenschaften der Smartskin werden nun noch weiter optimiert: Coclite und ihr Team – hier insbesondere der Dissertant Taher Abu Ali – wollen den Temperaturbereich, auf den das Material reagiert, erweitern und die Flexibilität der künstlichen Haut verbessern.

Bildergalerie

  • Die Smartskin ist ein hauchdünnes Material, das mit extrem hoher räumlicher Auflösung simultan auf Krafteinwirkung, Feuchtigkeit und Temperatur reagiert und entsprechende elektronische Signale abgibt.

    Die Smartskin ist ein hauchdünnes Material, das mit extrem hoher räumlicher Auflösung simultan auf Krafteinwirkung, Feuchtigkeit und Temperatur reagiert und entsprechende elektronische Signale abgibt.

    Bild: Lunghammer - TU Graz

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel