Energiebeschaffung & -erzeugung Energie für Anatolien

17.03.2014

In der Türkei wachsen Wirtschaft und Bevölkerung – und damit wächst auch der Energiebedarf. Daher ist der türkische Energiemarkt auch für deutsche Unternehmen attraktiv.

Der türkische Energiemarkt wächst rasant. Der Bedarf an Elektrizität soll nach Prognosen der Regulierungsbehörde für den Energiemarkt (EPDK), jährlich um bis zu 7,5 Prozent steigen. „Mehrere türkische Konzerne und Joint Ventures mit ausländischen Partnern wollen in die Energieerzeugung und -verteilung investieren“, heißt es in einer Mitteilung von Germany Trade & Invest (GTAI). Das werde in den nächsten Jahren zu einer regen Nachfrage nach Planungs-, Beratungs- und Bauleistungen für neue Kraftwerke führen.

Ausländischen Energieunternehmen würde das vielfältige Liefer- und Kooperationschancen eröffnen. „Diese ergeben sich sowohl beim Bau von konventionellen Kraftwerken als auch bei der Errichtung von Anlagen, die Strom aus regenerativen Energieträgern wie Wind, Sonne, Wasserkraft und Erdwärme produzieren“, so die GTAI. Zudem glänzt die Türkei trotz der kürzlich gestiegenen politischen Risiken mit hohen Wachstumsraten. So schätzt die OECD, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den kommenden zwei Jahren jeweils um rund vier Prozent zulegen wird. Problematisch ist hingegen das hohe Leistungs­bilanzdefizit der Türkei. Es stieg von 48,5 Milliarden US-Dollar (6,2 Prozent des BIP) 2012 auf 65 Milliarden US-Dollar (8 Prozent des BIP) im vergangenen Jahr, berichtet die Investmentgesellschaft Franklin Templeton.

Auch um das Haushaltsdefizit auszugleichen wurden die Stromverteilnetze privatisiert. „Das Ziel der Türkei ist es, den staatlichen Anteil an der Stromerzeugung auf 30 Prozent zu senken“, sagt Atilla Türk, Geschäftsführer des Projektentwicklers Vexco und Leiter des Arbeitskreises Energie & Umwelt bei der Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer (TD-IHK) in Berlin. Momentan liege der staatliche Anteil noch bei 40 Prozent.

Im Zuge der Liberalisierung hat die Regulierungsbehörde EPDK die Mindestverbrauchsgrenze für 2014 von bisher 5000 auf 4500 kWh gesenkt. „Das sind in der Türkei etwa eine Million Haushalte, die ihren Stromlieferanten frei auswählen können“, erklärt Türk. Ab 2015 könnten sämtliche Kunden ihren Energieversorger frei wählen. Der Energieexperte schätzt die Eröffnung der Energiebörse Epiaş Ende 2014 für die weitere Entwicklung der Energiebranche als bedeutend ein. Sie werde für verlässlichere Preise sorgen. Die Epiaş hat bereits eine Kooperation mit der europäischen Energiebörse vereinbart. Der Standort der Börse ist noch unklar, die Entscheidung soll demnächst zwischen den Städten Istanbul und Ankara fallen.

Neuer Energiemix

Momentan werden 44 Prozent des Stroms durch Gaskraft erzeugt. Diesen Anteil möchte die türkische Regierung bis 2023 – zum hundertsten Jahrestag der Gründung der Türkei – auf 30 Prozent verringern. Dabei setzt das Land vor allem auf Kohle und Kernkraft. Die aktuelle Kraftwerkskapazität mit Kohle beträgt aktuell 12.500 MW, sie soll 2023 mit dem Bau neuer Kohlekraftwerke auf 30.000 MW steigen. Noch produziert das erdbebengefährdete Land keinen Atomstrom, das soll sich aber ändern. Vier Atomkraftwerke sind geplant. Die Standorte der ersten beiden Kraftwerke sind Sinop (Schwarzes Meer) und Mersin (südliche Mittelmeerregion). Über die Standorte der anderen Kraftwerke wird noch debattiert.

Anfang 2014 hat Siemens den Auftrag für ein schlüsselfertiges Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk in der Türkei erhalten. Mit der Gasturbine des Typs SGT5-8000H als wichtigste Komponente soll die Anlage über eine installierte Leistung von rund 600 MW verfügen und bis 2016 fertiggestellt werden. Auftraggeber ist Enerjisa, ein Gemeinschaftsunternehmen der Sabancı Holding und Eon. Das mit Erdgas betriebene Kraftwerk Bandırma II entsteht an der Südküste des Marmarameeres in der Nähe der Stadt Bandırma in der Provinz Balıkesir. Siemens baut die Anlage schlüsselfertig und hat einen Langzeitwartungsvertrag abgeschlossen. Nach dem Projekt in Samsun, das sich derzeit im Bau befindet, ist Bandırma Siemens zufolge das zweite Kraftwerk mit einer effizienten H-Klasse-Technologie.

Der IT-Dienstleister Procom engagiert sich auch auf dem türkischen Energiemarkt. „Für die neue Gas- und Dampfturbinen-Anlage des türkischen Unternehmens Yeni Elektrik haben wir eine Lösung entwickelt, die alle zentralen Geschäftsprozesse zur Kraftwerkseinsatzplanung und Vermarktung im türkischen Energiemarkt unterstützt und damit eine optimale Positionierung am Day-ahead-Markt ermöglicht“, sagt Procom-Geschäftsführer Andreas Nolden. Die eingesetzte IT-Plattform BoFiT würde Restriktionen aus Verpflichtungen im Regelenergiemarkt dabei ebenso berücksichtigen wie Vertragsparameter oder technische Restriktionen der Anlage.

Um die Abhängigkeit von Brennstoffimporten (Öl, Gas) weiter zu reduzieren, möchte die türkische Regierung ebenfalls auf erneuerbare Energien setzen und ihren Anteil bis 2023 auf 30 Prozent steigern. „Da jedoch erst 2011 ein Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeführt wurde, das Einspeisevergütungen für die einzelnen Energieträger festlegt, bestehen erst seit kurzem Bedingungen für einen wirtschaftlichen Betrieb“, sagt Katja Niebling vom Marktforschungsinstitut Trendresearch.

Neue Projekte der Wasserkraft

„Wasserkraft spielt in der Türkei eine sehr große Rolle“, erklärt Atilla Türk: Ein Viertel der Stromerzeugung komme aus Wasserkraft. So gesehen sei die Türkei ein „grasgrünes Land“. „Insgesamt 25 Flussgebiete und eine vielfältige Topografie bieten hier beste Voraussetzung für die Erzeugung von Strom aus Wasserkraft“, meint auch Artur Pfeiffer, Geschäftsführer von Voith Hydro in Ankara.

Eines der neuen Voith-Projekte ist das Kraftwerk Beyhan I am ostanatolischen Fluss Murat. Es ist das erste einer geplanten Reihe von vier Wasserkraftwerken an diesem Flussabschnitt. Voith Hydro liefert für Beyhan I drei Generatoren mit einer Leistung von jeweils 235 MVA, dazu Erreger- und Überwachungssysteme. „Dies ist der umfangreichste Auftrag, den Voith Hydro je für einen Privatkunden auf dem türkischen Markt ausgeführt hat“, so Pfeiffer.

Bei Windenergie auf einem guten Weg

„Im Bereich Windenergie ist die Türkei inzwischen sehr weit gekommen“, sagt Türk. Derzeit habe man 2700 MW an Kraftwerksleistung aufgebaut. Bis 2023 soll eine Kapazität von 20.000 MW erreicht werden. Es sind nicht zuletzt die deutschen Anbieter, die vom Ausbau der Windkraft in der Türkei profitieren. So haben im Februar 2014 EnBW und Borusan an den Windanlagenbauer Vestas den „größten Projektauftrag im türkischen Windenergiemarkt“ vergeben. Der Rahmenvertrag beinhaltet ein Windkraft-Portfolio von insgesamt 207 MW. „Die gebündelte Vergabe des Windkraft-Portfolios ist der bislang größte Onshore-Projektauftrag der EnBW und zugleich der bisher größte im gesamten türkischen Windenergiemarkt“, beschreibt Frank Mastiaux, Vorstandsvorsitzender der EnBW, das Geschäft.

Die Baumaßnahmen für das erste Projekt – die Erweiterung des Windparks Bandırma – werden schon bald beginnen. Insgesamt sollen sukzessive an fünf Standorten in der Türkei 67 Windkraftanlagen vom Typ Vestas V112 errichtet werden – jede Anlage mit einer Nabenhöhe von 84 Metern, einem Rotor­durchmesser von 112 Metern und rund 3 MW Leistung. Die erwartete Jahreserzeugung ab Ende 2015 betrage 721 Gigawattstunden – genug, um rund 200.000 Haushalte mit Strom aus Windkraft zu versorgen.

Ferner soll die Sonnenenergie weiter ausgebaut werden. „Mit dem Preisverfall bei den Solarpanels können die Investionen in den nächsten Jahren rentabler werden“, erklärt Türk. Der Einspeisetarif für Sonnenenergie liege in der Türkei bei 13,3 US-Cent je kWh. Das sei die höchste Förderung für eine Energiequelle. Der Photovoltaik-Hersteller Talesun mischt inzwischen auf dem türkischen Markt mit und arbeitet künftig mit Anadolu Enerji unter dem Namen Talesun Anadolu Solar Enerji zusammen. Ziel des Joint Ventures mit Sitz in Ankara ist die Planung und Umsetzung von Photovoltaik-Projekten in der Türkei.

„Für den Markteintritt in der Türkei sind Kooperationen mit Partnern vorteilhaft, da diese die bürokratischen Verfahren erleichtern und über Sprachbarrieren hinweghelfen“, rät Katja Niebling von Trendresearch. Ausländischen Investoren gibt Atilla Türk den Tipp, für ihre Projekte die Finanzierung aus Europa mitzubringen.

Verwandte Artikel