„Ich müsste eigentlich wahnsinnig dünn sein“, sagt Concetta Rinaldi und lacht. Schließlich legt die Leiterin des Montageteams von MSC Technologies im Manufacturing jeden Tag mindestens acht Kilometer zurück. Die Wege in der Halle der Freiburger Niederlassung, in der Displays und Embedded-
Systeme entstehen, sind lang – und die 59-Jährige läuft sie jeden Tag zweimal komplett ab. „Auf den Beinen bin ich top!“, erklärt Rinaldi. „Wenn ich am Wochenende mit meinen Enkeln rausgehe, sind die erstaunt, wie fit die Oma ist.“
Sind alle 64 Mitarbeiter da?
Die Fitness der Freiburgerin ist ein angenehmer Nebeneffekt. In erster Linie sollen die ausgedehnten Runden ihr einen Überblick über den Ist-Zustand in der Produktion verschaffen. Gibt es Krankmeldungen? Sind alle 64 Mitarbeiter mit Aufgaben versorgt? Treten unerwartete Probleme auf? Funktioniert die Fertigung an den Kanban-Inseln, an denen einzelne, regelmäßig nachgefragte Modelle montiert werden? In der zweiten Runde, die jeden Nachmittag ansteht, geht es um Ergebnisse. Rinaldi prüft, ob die Thermoaggregate für Lkw, die Bildschirme, die bei medizinischen Operationen zum Einsatz kommen, oder die Computersteuerungen in Landmaschinen korrekt montiert wurden.
E-Mails und Pläne bearbeitet die 59-Jährige meist nach 16 Uhr, wenn ihre Mitarbeiter in den Feierabend gegangen sind. Davor ist sie den ganzen Tag über im Gespräch. Freundlich, aber bestimmt holt sie die nötigen Informationen ein und ordnet sie in Feedbackgesprächen mit den Gruppenleitern ein. Die Zahlen müssen schließlich stimmen. „Wir sind ein Unternehmen, das Gewinn machen muss“ sagt Rinaldi. Trotzdem hält sie wenig davon, unnötig Druck aufzubauen. Lieber bemüht sie sich um einen Ausgleich zwischen den Budget-Vorgaben und der Lebenswelt ihrer Mitarbeiter.
„Bei uns arbeiten zum Beispiel viele Mütter“, erklärt Rinaldi. „Wenn der Sohn in der Schule Schwierigkeiten hat, fällt es schwer, sich zu konzentrieren. Da ist es an mir, zu sagen: Heute bekommst du eine leichte Aufgabe.“ Genauso dürfen Männer, die einmal nicht die volle Leistung bringen können, mit Verständnis rechnen. Wo jeweils der Schuh drückt, aber auch wo derzeit noch unentdeckte Potenziale liegen, findet die Teamleiterin in den Personalentwicklungs-
gesprächen heraus, die sie regelmäßig führt.
Dass Teams in der früheren Männerdomäne Elektronik mittlerweile meis-
tens gemischt sind, ist für sie ganz normal. Die vielen Frauen, die in der Montage tätig waren und sind, haben über die Jahre eben mit ihrer Arbeit überzeugt. „Als ich als SMD-Operator in der Leiterplattenfertigung angefangen habe, war das noch anders“, sagt Concetta Rinaldi. „Da dachten viele: Ja ja, Frauen und Technik – selbst wenn es nicht schwer war, mit der Bestückungsmaschine umzugehen.“ Doch das war auch im Jahr 1988.
In den folgenden 29 Jahren hat sich Rinaldi, die mit 15 Jahren mit ihren Eltern aus Sizilien nach Deutschland einwanderte, Stück für Stück nach oben gearbeitet.
Von Sizilien nach Freiburg
Eine formale Berufsausbildung brachte sie nicht mit, aber dafür einen enormen Wissendurst. In unterschiedlichen Fortbildungen lernte sie die Leiterplatten, die damals am Unternehmensstandort gefertigt wurden, in- und auswendig kennen, beschäftigte sich mit Schaltplänen, entwickelte Programme, probierte neue Techniken aus. Während der Standort mehrfach den Besitzer wechselte – von Hellige über PPG und Marquette zu GE Medical Systems und MSC – wurde Rinaldi erst Teamleiterin in der SMD-Abteilung. Später verantwortete sie die Qualitätskontrolle und die Handbestückung der Boards und übernahm schließlich die Gesamtprüfung der Leiterplattenfertigung.
Als der US-amerikanische Technologiekonzern Avnet das Unternehmen 2014 kaufte, brachte das einen weiteren Umbruch mit sich: Die Leiterplattenfertigung wurde wegen der größeren dortigen Produktionskapazitäten nach Stutensee in der Nähe von Karlsruhe verlegt, während in Freiburg seitdem komplette Embedded-Systeme und Displays montiert werden. Und Rinaldi stieg zum Teamleader der gesamten Montage auf. „Im Rennen um diesen Posten waren Leute, die einen Meisterabschluss haben, und ich habe mich gegen sie durchgesetzt, ohne je den Meister gemacht zu haben. Als einzige Frau – yes!“, sagt sie und klingt dabei sichtlich stolz. „Ich liebe meinen Job!“
Gemeinsamer Ehrgeiz
Gönnen alle ihr den Erfolg? „Je höher man aufsteigt, desto größer wird die Gefahr, dass der eine oder andere das nicht gut findet“, gibt Rinaldi zu. Klar habe es ab und zu Neider gegeben, aber die gelte es eben zu überzeugen. „Ich sehe in meinem Team niemanden, der meine Kompetenz anzweifeln würde“, sagt die Freiburgerin. „Die alten Hasen stehen genauso hinter mir wie die Jungen.“ Auch wenn einige der alten Hasen bereits seit 35 Jahren in der Firma sind: „Wenn wir ein gemeinsames Projekt bekommen, packt uns zusammen der Ehrgeiz, das auch zu schaffen. Das macht mich stolz“, erzählt Rinaldi.
Einfach loslegen oder lieber fragen?
Manchmal wünscht sie sich allerdings, dass ihre Mitarbeiter das Thema Qualitätssicherung noch etwas bewusster angehen, zum Beispiel Fehler melden oder den Schaden reparieren und ihre Arbeitsmaterialien pfleglicher behandeln. Auch der Umbau von der früheren Leiterplattenfertigung hin zur Montage geht für ihren Geschmack zu langsam voran. Wenn Teile der Montagehalle noch Baustellen sind, oder vollgestellt mit „Altlasten“, packt die Italo-Freiburgerin schon mal die Ungeduld.
Gelegentlich muss sie sich bremsen, nicht einfach loszulegen. „Ich neige dazu, zu viel Euphorie an den Tag zu legen“, erklärt sie. „Aber es gibt eben Entscheidungen, die man nicht selber treffen darf. Da ist dann mein Vorgesetzter gefragt. Das sind die Momente, wo ich etwas ins Stottern gerate.“ Da hilft es, dass Rinaldi und Produktionsleiter Michael Disch eine lange gemeinsame Berufsgeschichte verbindet: Disch gehört seit 22 Jahren zum MSC-Team. „Ich kann mich noch gut erinnern, wie er damals angefangen hat und dann quasi hochgeschossen ist“, erklärt die Teamleiterin. „Heute sind wir gut befreundet, auch wenn der Respekt zum Vorgesetzten natürlich da ist.“ In Teamrunden freundschaftlich zusammenarbeiten zu können, mache vieles leichter.
Italienische Verhältnisse
In dem Haus, das Rinaldi mit zwei ihrer Geschwister bewohnt, geht es turbulent und typisch italienisch zu. „Ich habe fünf Geschwister, alle leben hier, sind verheiratet und haben Kinder, Neffen, Nichten, Schwägerinnen“, sagt die Italo-Freiburgerin lachend. Selbst ist sie mittlerweile „glücklich geschieden“ und hat zwei Kinder großgezogen. Tochter Cristina arbeitet ebenfalls in der Montage bei MSC, hat dort eine Ausbildung zur Fertigungsmechanikerin gemacht. Und natürlich fordern auch die drei Enkelkinder ihre Oma.
Wenn sie doch mal eine ruhige Minute braucht, liest Rinaldi gern querbeet – von Fachzeitschriften über Biografien bis hin zu Dan Browns „Inferno“ oder anderen Spiegel-Bestsellern. Oder sie fliegt nach Rom oder Sizilien, wo sie die Landschaft bewundert oder den Rest ihrer Verwandtschaft trifft. Bei dem Drive, den die Teamleiterin in allem an den Tag legt, wäre es kein Wunder, wenn sie die acht Kilometer pro Tag locker auch in ihrer Freizeit schafft.