Laut der amerikanischen Sicherheitsbehörde US Chemical Safety Board kamen zwischen 1995 und 2010 in den USA bei Zwischenfällen mit Feuer und Explosionen am Arbeitsplatz 119 Menschen um, 718 weitere wurden verletzt. Ein beachtlicher Teil dieser Unfälle fand in Betrieben der Lebensmittelindustrie statt. Die Behörde nennt hauptsächlich zwei Problemherde: Flammausbreitung innerhalb der Förder-, Prozess- und Speichereinrichtungen sowie Explosionen außerhalb der Produktionsanlagen durch hohe Staubkonzentrationen. Schon scheinbar harmlose Ereignisse, wie beispielsweise Zugluft, können dazu führen, dass eine Staubschicht aufgewirbelt wird und die Partikel zusammen mit dem vorhandenen Sauerstoff ein zündfähiges Gemisch bilden. Statische Entladungen, heiße Oberflächen oder Funken von elektrischen Geräten können dann bereits genügen, um eine verheerende Explosion auszulösen.
Bei der Zuckerverarbeitung wird Explosionsschutz in dem Moment ein Thema, wenn die Korngröße des Zuckers kleiner als 0,5 mm ist. Denn dann befindet man sich im Bereich der potenziell explosiven Stäube. Drei Faktoren sind notwendig, damit die Voraussetzungen für einen Brand oder eine Explosion erfüllt sind: Brennstoff, Sauerstoff und eine Zündquelle. „Immer dann, wenn eine explosionsfähige Atmosphäre auftreten kann, kommen die Atex-Richtlinien zum Einsatz“, erklärt Peter Plüss, Technischer Leiter von Gericke. Dabei geht man immer davon aus, dass das Verhältnis von Brennstoff und Sauerstoff die kritische Grenze überschritten hat. Man hat es demzufolge immer mit einem explosionsfähigen Gemisch zu tun. Alle konstruktiven Bestrebungen laufen darauf hinaus, keine potenziellen Zündquellen in den Prozess von außen hinein zu bringen oder im Innern der Anlage wirksam werden zu lassen.
Wärmebildung und Funken verhindern
Im Anlageninnern sollen zu starke Wärmebildung und Funkenschlag verhindert werden. Doch der Funkenschlag spielt bei der Zuckerverarbeitung meistens eine untergeordnete Rolle. Solange alle Anlagenteile aus Stahl gefertigt sind und die Umfangsgeschwindigkeiten von rotierenden Teilen unter 1m/sec bleibt, ist diese Gefahr minimal. Dafür muss man umso mehr der Wärmebildung Rechnung tragen. So können beispielsweise Zuckerschichten zwischen rotierendem Werkzeug und Gehäusewand aufgebaut werden. Die entstehende Reibung kann zu einem Temperaturanstieg führen.
So ist bereits beim Design der Anlage darauf zu achten, dass Zündquellen nicht in den Produktionsprozess gelangen können. Beispielsweise kann mittels einer vorgelagerten Siebmaschine verhindert werden, dass Fremdkörper oder zu große Produktpartikel in einen Prozess hineingeraten. Damit in einem eventuellen Schadenfall nicht Teile der Siebmaschine selbst in den Prozess gelangen können, müssen die Bauteile wie beispielsweise Siebkörbe aus magnetisierbarem Material gefertigt sein. So kann ein Magnetabscheider eventuelle Fragmente abfangen. Sind mehrere Unternehmen am Bau einer Anlage beteiligt, ist ein gutes Zusammenspiel gefragt. So muss der Lieferant eines nachgelagerten Prozessschritts wissen, welche potenziellen Zündquellen in seinen Anlagenteil gelangen können. Erhält er falsche oder ungenügende Angaben, ist der Explosionsschutz unter Umständen nicht mehr gewährleistet.
Datenermittlung als Grundlage
Die explosionstechnischen Kenndaten des zu verarbeitenden Produkts bilden die Grundlage für die Auslegung einer Produktionsanlage nach Atex-Kriterien. Doch oftmals fehlen dem Betreiber die nötigen Unterlagen zur genauen Ermittlung dieser Daten. „Bei Bedarf helfen wir unseren Kunden, die richtigen Daten zu ermitteln“, erklärt Peter Plüss und verweist dabei auf die große Erfahrung von Gericke mit der Atex-Thematik. „Heute liefern wir rund 90 Prozent aller Komponenten und 70 Prozent unserer Anlagen in Atex-Ausführung.“ Plüss hebt aber auch hervor, dass letztlich die Verantwortung über die Anlagensicherheit beim Anlagenbetreiber liegt.
In vielen Köpfen ist Atex immer noch ein Synonym für teure Anlagen. Man verbindet damit Sonderanfertigungen, komplizierte Einzelabnahmen und einen ungeheuren Papierkrieg. Seit der flächendeckenden Einführung von Atex sind jedoch die Kosten für den Explosionsschutz deutlich zurückgegangen. Dies hängt hauptsächlich damit zusammen, dass häufig gefertigte Anlagenteile heute meist typengeprüft sind und somit die teure Einzelabnahme wegfällt. In der schüttgutverarbeitenden Industrie werden heute jedoch auch schon viele Maschinen standardmäßig nach Atex-Richtlinien gefertigt – womit der Kaufpreis derselbe ist, egal ob das Gerät in oder außerhalb einer Atex-Zone steht.