Datenbasierte Wertschöpfungsketten gewinnen zunehmend an Bedeutung, weil in automatisierten industriellen Produktionsumgebungen immer mehr Daten gewonnen werden. Damit insbesondere mittelständische Unternehmen zukünftig mehr Nutzen aus diesen Daten generieren können, verbinden Fraunhofer und die TH OWL die wirtschaftswissenschaftliche Perspektive jetzt mit Know-how aus der intelligenten Automation. Beides fließt in den neuen Forschungsbereich am Innovation Campus in Lemgo.
„Für die wachsenden Datenmengen im Rahmen automatisierter und KI-unterstützter industrieller Produktion gibt es bisher kaum wirtschaftlich nachhaltige Verwendung“, sagt Prof. Jürgen Jasperneite, Direktor des Fraunhofer-Instituts in Lemgo. Am Fraunhofer entstand daher die Idee für den neuen Forschungszweig. „Die Fraunhofer-Gesellschaft hatte einen Wettbewerb für neue Forschungsgruppen ausgelobt, und wir sind eines von bundesweit zwei Instituten, die einen Zuschlag bekommen haben.“
In Prof. Dr. Tobias Schäfers vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der TH OWL fand Jasperneite einen Mitstreiter. „Ich beschäftige mich schon seit Jahren mit dem Wandel von produktzentrierten zu dienstleistungsbasierten Geschäftsmodellen“, erklärt Schäfers. „Dieses Thema jetzt auf Basis industrieller Daten gemeinsam mit den Expertinnen und Experten des Fraunhofer-Instituts in Lemgo noch eingehender beleuchten zu können, ist sehr spannend. Gerade in dieser Kombination verschiedener Blickwinkel liegt viel Potenzial, von dem auch mittelständische Unternehmen der Region profitieren können.“
Smart Economy für KMUs
Dass Techniker und Wirtschaftswissenschaftler am Innovation Campus Lemgo gemeinsam diese neuen Perspektiven schaffen, freut auch Dr. Oliver Niehörster. Er leitet bei Fraunhofer die Abteilung „Maschinelle Intelligenz“ und beschäftigt sich mit Data Science und KI in der Produktion. „Ich freue mich sehr, dass wir hier neben den technischen Themen nun auch gemeinsam mit der TH OWL eine betriebswirtschaftliche Sicht anbieten können, denn in dem Thema liegt ein großes Innovationspotenzial, und es ist hier noch sehr viel zu heben“, sagt Niehörster.
Jasperneite betont, dass mit Technologie bereits heute schon sehr viel erreicht werden könne; mit Automation und KI ließen sich etwa Geschäftsprozesse sehr gut optimieren. „Aber es gibt bis heute im Mittelstand keine wirklich klare Perspektive, was Unternehmen mit den Daten geschäftsmäßig machen können“, sagt der Direktor. Die Fragestellungen, mit denen er und sein Team am Fraunhofer-Institut in Lemgo zu tun haben, kommen aus der technologischen Richtung. „Mit der ergänzenden betriebswirtschaftlichen Sichtweise schließen wir eine Wissenslücke in ganz Deutschland.“
„Bei uns Wirtschaftswissenschaftlern ist es genau umgekehrt“, sagt dabei Schäfers. Es sei bereits viel aus der Technik heraus entwickelt worden. Auch gebe es zahlreiche Methoden zur Erschließung neuer Geschäftsfelder. „Aber aus einer technologischen Fragestellung entwickelt sich nicht automatisch ein Angebot, das auch aus Kundensicht sinnvoll ist und für das eine Zahlungsbereitschaft besteht.“
Auch Prof. Dr. Korbinian von Blanckenburg, Dekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften der TH OWL, freut sich über die Kooperation im Rahmen des neuen Forschungsbereichs, insbesondere dessen Fokus auf KMU: „Für viele dieser Unternehmen ist die digitale Transformation eine Investition mit erheblichem Risiko. Die zentrale Frage dabei: Lohnt sich das für mich?“ Das Ergebnis der Transformation in diesen Unternehmen seien dann häufig kundenindividuelle Einzelentwicklungen. „Die Skalierbarkeit und damit der wirtschaftlich nachhaltige Betrieb stehen bei KMU oft weniger im Fokus“, sagt von Blanckenburg. Hier könne der neue Forschungsbereich unterstützen und KMUs auf dem erfolgreichen Weg in die Smart Economy begleiten.
Vorteile in der Praxis
Wichtig ist den Technikern von Fraunhofer und den Wirtschaftswissenschaftlern der TH OWL ein wissenschaftlich fundiertes Vorgehen. Jasperneite: „Wir arbeiten individuell mit Partnerunternehmen, beispielsweise in Workshops, in denen wir zum Teil Menschen zueinander bringen, die im operativen Tagesgeschäft oft zu wenig gemeinsam eine strategische Perspektive einnehmen: Produktions- und Vertriebsleiter, Einkäufer und die Unternehmensführung. Im Grunde koppeln wir Technologie und Change Management aneinander. Dabei bieten wir in einem ersten Schritt gut erprobte Technologiebausteine an und finden dann in den Workshops heraus, was von den anfallenden Daten für wen im Unternehmen oder auf Kundenseite von Nutzen ist.“
Der neue Forschungsansatz kommt bei Praktikern gut an. Einer, der sicher ist, dass das für alle Unternehmen von großem Nutzen sein kann, ist Hans-Dieter Tenhaef. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Firma MIT – Moderne Industrietechnik und Vorstandssprecher des Netzwerks „OWL Maschinenbau“. „Wir liefern Systemarmaturen für die Industrie, bauen zum Teil individuelle Lösungen für Abfüll- und Dosiereinrichtungen“, sagt Tenhaef. „Und selbstverständlich fallen etwa bei Pumpenlöschanlagen ständig jede Menge Daten über Druck, Temperaturen und Weiteres an, die wir zwar für die Optimierung unserer Kundenlösungen einsetzen, aber derzeit nicht als Grundlage für eigene Geschäftsmodelle nutzen.“
Dabei ist ihm klar, dass er sich nach neuen Geschäftsfeldern umschauen muss. „Schwerpunktmäßig blasen wir PET-Flaschen auf und befüllen diese. Da weiß man ja auch nicht, ob das angesichts der Klima- und Nachhaltigkeitsdebatten in zwei, drei Jahren als Geschäftsmodell überhaupt noch funktioniert“, sagt Tenhaef.
Kundennutzen durch Daten
Für Schäfers liegt hier ein Kernproblem der modernen industriellen Produktion: „Derartige Daten könnten eine Grundlage für kundenindividuelle oder auch übergreifende Dienstleistungen darstellen, etwa im Bereich der Artung oder der Produktionsoptimierung. Dieses umzusetzen, erfordert aber neben der Technologie auch organisatorische Fragen, etwa bei der Gestaltung der Vertriebswege, und zum Teil völlig andere Preismodelle.“
Niehörster stimmt Schäfers zu: „Was könnte man mit den Daten alles machen, wenn die dafür notwendigen Kompetenzen in den Unternehmen vorhanden wären. Aber es fehlen oft Kompetenzen und Vertriebsstrukturen. Allerdings haben die Unternehmen, die mit uns zusammenarbeiten, schon längst erkannt, wie viel eine regelmäßige interdisziplinäre Kommunikation bewirken kann. Wir freuen uns darauf, durch unsere neue Forschungsgruppe zahlreiche Mittelständler dabei zu unterstützen, Kundennutzen durch Daten zu erzeugen.“