In vielen Ländern steigt das Bedürfnis nach einem CO2-neutralen und erneuerbaren Energiesystem. Auch die Schweiz strebt in ihrer „Energiestrategie 2050“ einen Zubau an regenerativen Energien mithilfe von Speichersystemen an, die effizient in die Netze integriert werden sollen. So ist im Faktenblatt zum Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien die Einrichtung einer Energiereserve (Speicherreserve) festgelegt, die „zur Absicherung der kurzfristigen Versorgungssicherheit gegen außerordentliche, nicht vorhersehbare Extremsituationen“ dienen soll.
Die Speicherreserve wird jährlich durch die nationale Netzgesellschaft Swissgrid ausgeschrieben und über die Netznutzungstarife finanziert. Alle Betreiber von Energiespeichern sowie flexible Verbraucher am Schweizer Stromnetz – hierzu zählen unter anderem Speicherwasserkraftwerke, Müllverbrennungsanlagen oder Batteriespeicher – können ein Angebot für die Reserve machen, sofern sie dafür technisch geeignet sind. „Damit können sie ihre Flexibilität dort anbieten, wo es dem System (Netz, Strommarkt, Eigenoptimierung) am meisten nützt“, heißt es in dem Faktenblatt.
Stabilisierung der Netzfrequenz
Zwei Speicherkraftwerke von ADS-Tec sind seit vergangenem Jahr in Betrieb: Anfang 2020 ging die größte Schweizer Indoor-Batterie mit einer Leistung von 1,35 MW und 1,5 MWh Gesamtbruttokapazität im Kanton Thurgau bei Arbon Energie in Arbon am Bodensee ans Netz. Das System wurde in einer ausgedienten Trafostation untergebracht, was den Bau eines Containers oder einer Betonstation ersparte.
In weniger als neun Monaten konnte das Vorhaben von der ersten Planung bis zur Inbetriebnahme realisiert werden. Auf lokaler Ebene dient die Batterie der Spannungshaltung und Netzstabilität. Darüber hinaus entstehen Vorteile bei der Lastspitzenkappung sowie der Vermarktung von Systemdienstleistungen.
Seit Ende März 2021 steht ein 7,5 m langer Batteriecontainer mit 1,25 MW Leistung und 1,35 MWh Kapazität in Graubünden bei Rhiienergie in Domat/Ems im Unterwerk Vial. Es handelt sich um den größten Speicher in der Region, und zusammen mit Arbon sind es die ersten überhaupt in der Schweiz.
Nach einer Realisierungszeit von nur zehn Monaten bestand die Anlage auf Anhieb sämtliche betriebsnotwendigen Tests. Damit rüstet sich Rhiienergie für den geplanten Smart-Grid-Ausbau und eine dezentrale Energiezukunft. Der Schweizer Energiekonzern Axpo sorgt mit der Bewirtschaftung und Vermarktung der Anlage dafür, dass die Batterie immer dort eingesetzt wird, wo sie gerade benötigt wird.
Beide Batteriekraftwerke stabilisieren die Verteilnetze, verdienen mit der Glättung von Lastspitzen Geld und erbringen mit Regelenergie wertvolle Netzdienste. „Je nach Frequenzabweichung nach unten oder nach oben wird entsprechend mit den Speichern die notwendige Leistung ins Netz eingebracht oder aufgenommen“, erklärt Thomas Speidel, CEO von ADS-Tec. „Aufgrund ihrer schnellen Reaktionszeiten sind die Batteriespeicher ideal geeignet, um beide Lastflüsse zu erfüllen.“
Einbindung in den Energiehandel
Die Leistungsfähigkeit der Batteriesysteme in Thurgau und Graubünden sorgt für hohe Effizienz. Mit einer Rate von 1 C könnte die Energie aus dem Speicher in einer Stunde komplett ent- und wieder geladen werden. Deutlich wird das in ersten Berechnungen von Rhiienergie: Allein durch die PV-Anlage eines benachbarten Firmengebäudes ist die Riesenbatterie an einem sonnigen Tag schon in vier Stunden wieder voll aufgeladen.
Beide Batteriekraftwerke sind eigenentwickelte Komplettsysteme mit Batteriemodulen, Wechselrichtern, Steuerung und Klimatisierung. Durch die hohe Integrationstiefe ist die Batterietechnologie besonders flexibel und kann dem Markt und Bedarf des Kunden angepasst werden. Das ermöglicht die Entwicklung von lukrativen Geschäftsmodellen, wie sie in Thurgau und Graubünden genutzt werden.
Die Speicherkraftwerke unterstützen Swissgrid mit Primär- und Sekundärregelenergie, stabilisieren die lokalen Netze und dienen der Vermeidung von Lastspitzen. Diese Systemdienstleistungen werden durch den ÜNB vergütet. Die Anbindung an den Regelpool der Centralschweizerischen Kraftwerke (CKW), der aus Erzeugungsanlagen, Verbrauchern und weiteren dezentralen Speichern besteht, bringt Arbon Energie finanzielle Vorteile und stellt eine wirtschaftlich attraktive Einbindung in den Energiehandel sicher.
Um die Batterie im optimalen Ladezustand zu halten, entwickelten die CKW einen Optimierungsalgorithmus, der nach Bedarf den Handlungsimpuls zum Glätten von Lastspitzen setzt. Bei Rhiienergie werden so durch Senken und Glätten von Lastspitzen nicht nur Kosten vermieden, sondern insgesamt das Netz entlastet und effizienter genutzt. Eine verminderte Netznutzung wiederum bedeutet geringere Netznutzungskosten. Rhiienergie möchte die Kosteneinsparungen dabei an seine Kunden weitergeben.
Weniger Lastspitzen am Bodensee
Der Großspeicher von Arbon Energie mit 1,35 MW Leistung und 1,5 MWh Kapazität sorgt für einen sicheren Betrieb der Verteil- und Übertragungsnetze. Auch hier profitiert der Betreiber von der hohen Leistungsfähigkeit der Batterie. Es hat sich gezeigt, dass im Bereich von Millisekunden eine Lastspitzenreduktion von bis zu sieben Prozent erreicht werden kann.
Gleichzeitig werden Erfahrungen für die Versorgung von privaten, gewerblichen und industriellen Kunden mit erneuerbarem Strom gesammelt. Arbon Energie denkt nach eigenen Angaben aus betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten bereits über eine Erweiterung der Batterie nach.
Es benötigt langjährige Erfahrung und Expertise, um Batteriekraftwerke effektiv in Versorgungsnetze zu integrieren und im Rahmen der regulatorischen Bestimmungen Geschäftsmodelle zu entwickeln. Gebremst wird der Einsatz von Großspeichern derzeit noch hauptsächlich durch die Doppelbelastung – der Betrachtung des Speichers als Verbraucher. Regulatorisch ist die Schweiz nur bedingt besser aufgestellt als Deutschland, da sich die Befreiungen von Doppelbelastungen derzeit nur auf Pumpspeicher fokussieren.
Was die Gesetzgebung und Regulatorik beider Länder anlangt, sieht ADS-Tec-CEO Speidel, der auch Präsident des Bundesverbands Energiespeicher Systeme (BVES) in Berlin ist, dringenden Anpassungsbedarf: „Flexibilität ist für die Energiewende entscheidend. Die Energiespeicherindustrie ist bereit, ihren systemischen Beitrag zu leisten und Verantwortung zu übernehmen. Was wir technisch erwiesenermaßen können, muss endlich auch rechtlich ermöglicht werden. Die Schweiz und Deutschland stehen regulatorisch immer noch auf der Bremse.“ In der Schweiz scheinen die Anreize jedoch größer zu sein als in Deutschland.