Eigentlich wollte das internationale Team von Forschenden ein rätselhaftes chemisches Objekt nachweisen: ein sich in Lösung befindliches Dielektron. Dieses besteht aus zwei Elektronen. Im Gegensatz zu einem Atom besitzt es keinen Kern. Bisher konnten Wissenschaftler solche Objekte nicht direkt nachweisen.
Während die Forschenden unter der Leitung von ETH-Professorin Ruth Signorell solche Dielektronen untersuchten, entdeckten sie zufällig einen neuen Prozess, mit dem sich langsam bewegende Elektronen herstellen lassen. Damit lassen sich bestimmte chemische Reaktionen in Gang bringen.
Dielektronen sind nicht stabil. Sie zerfallen in weniger als einer billionstel Sekunde wieder in zwei Elektronen. Wie die Forschenden zeigen konnten, bleibt eines davon an Ort und Stelle, während sich das andere mit geringer Energie, also verhältnismässig langsam, entfernt. Speziell an der neuen Methode ist, dass die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Bewegungsenergie dieses Elektrons und somit seine Geschwindigkeit steuern können.
Dielektron besetzt Hohlraum
Doch der Reihe nach: Um die Dielektronen zu bilden, lösen die Forschenden Natrium in (flüssigem) Ammoniak und bestrahlen es mit UV-Licht. Die Bestrahlung führt dazu, dass sich ein Elektron von einem Ammoniak-Molekül zu einem Elektron eines Natrium-Atoms gesellt und damit ein Dielektron bildet.
Dieses besetzt kurzfristig einen winzigen Hohlraum in der Flüssigkeit. Nach dem Zerfall bewegt sich eines der Elektronen mit einer Geschwindigkeit, die von der Wellenlänge des zuvor benutzten UV-Lichts abhängt, wie die Forschenden zeigen konnten. „Die Energie der UV-Strahlung ist teilweise auf das Elektron übergegangen“, sagt Signorell.
Die Wissenschaftler der ETH Zürich führten diese Arbeit zusammen mit Forschenden der Universität Freiburg im Breisgau, des Soleil-Synchrotrons in der Nähe von Paris und der Universität Auburn in den USA durch.
Strahlenschäden untersuchen
Interessant sind solche Elektronen mit niedriger Bewegungsenergie aus mehreren Gründen: Einer davon ist, dass langsame Elektronen Strahlenschäden in menschlichem Gewebe verursachen. Bewegliche Elektronen können im Gewebe zum Beispiel aufgrund von Röntgenstrahlung oder radioaktiver Strahlung entstehen.
Sie können sich dann auch an DNA-Moleküle anlagern und dort chemische Reaktionen auslösen. Wenn sich solche langsamen Elektronen im Labor leichter erzeugen lassen, lassen sich die Mechanismen, die zu Strahlenschäden führen, besser untersuchen.
Doch nicht nur im Köper, sondern ganz generell werden viele chemische Reaktionen dadurch in Gang gebracht, dass eine Verbindung ein freies Elektron aufnimmt. Ein Beispiel dafür ist die synthetische Herstellung von Cortison und anderen Steroiden.
Wenn es nun möglich ist, mit UV-Licht relativ einfach langsame Elektronen direkt in einer Flüssigkeit herzustellen und zudem die Energie der Elektronen einzustellen, dann lassen sich solche Reaktionen künftig besser untersuchen. Und sie lassen sich vielleicht auch optimieren, indem Chemiker den Elektronen zum Beispiel mit UV-Licht etwas mehr Bewegungsenergie mitgeben.