Dr. Michael Jürgens, Kuka Industrie 4.0: War‘s das schon?

Dr. Michael Jürgens, Head of KUKA AGV Solutions, ist verantwortlich für das Integrationsgeschäft fahrerloser Transportsysteme (FTS). Der promovierte Maschinenbauingenieur begeistert sich für die KI-gestützte Automatisierung und industrialisiert diese erfolgreich für seine Kunden. Weitere Stationen seiner Karrierelaufbahn waren in der Luftfahrt, bei Airbus und Lufthansa Technik.

Bild: Kuka
18.11.2021

Automatisierung ist ohne Digitalisierung nicht mehr denkbar. Software und Künstliche Intelligenz erhöhen die Leistungsfähigkeit digitalisierter industrieller Produktion. Konzepte zu KI-basierten Systemen stehen, Pilotapplikationen laufen, doch die Industrialisierung in der Fläche steht noch aus. Geht Industrie 4.0 die Luft aus?

Nein, ganz im Gegenteil. Industrie 4.0 und Digitalisierung sind Herausforderung und Chance zugleich und ebnen den Weg in eine innovativere und effizientere Zukunft. Es kündigt sich sogar schon der nächste bahnbrechende Innovationsschub an: Künstliche Intelligenz in vernetzten Produktionssystemen.

Die Technologiereife wächst schnell und damit eine Vielzahl an Pilotapplikationen und Demonstratoren: Objekterkennung, Materialfluss- und Produktionssteuerung und viele mehr. Allein die industrielle Anwendung KI-basierter Systeme in der Fläche steht aus. Künstliche Intelligenz wird zum „Gamechanger“ und zieht zunehmend in Werkshallen und das Produktionsmanagement ein und revolutioniert die fertigungsnahe Datenverarbeitung. Industrie 4.0 hat die Basis der Fabrik der Zukunft geschaffen, KI generiert nun den nötigen Mehrwert, um notwendige Handlungsableitungen realisieren zu können. Welche Frühindikatoren aus der Supply Chain und welche Muster im Produktionsprogramm müssen berücksichtigt werden, um Produktionszellen optimal auszulasten? Wie werden sie richtig interpretiert? Wie leitet sich daraus Materialflussplanung ab?

KI ermöglicht neue Anwendungen. So kann etwa der Nutzen von einfachen Komponenten wie Kameras und Sensoren durch KI-gestützte Software im Verbund um einige Größenordnungen erhöht werden. Riesige Datenmengen – dank Digitalisierung verfügbar – werden strukturiert, analysiert, ausgewertet. Es lassen sich beispielsweise Handlungsempfehlungen für vorbeugende Instandhaltung ableiten. Und indem Abweichungen erkannt werden, lässt sich die Prozessqualität absichern.

Auch neben dem maschinellen Lernen bieten Methoden der KI großes Potential. Wir greifen für unsere zentrale Materialflussplanung für fahrerlose Transportsysteme auf klassische KI-Algorithmen zurück: Unsere intelligente Leitsteuerung Kuka
AIVI navigiert fahrerlose Transportfahrzeuge ad-hoc auf Basis des Produktionsprogramms des Kunden. Das Prinzip lässt sich grob mit modernen Konzepten im Personentransport vergleichen: dem starren, öffentlichen Nahverkehr machen auftragsbezogene Systeme wie Fahrdienstanbieter Uber Konkurrenz.

Auf Basis der bekannten Rahmenbedingungen – erfasst dank Vernetzung – findet die KI die effizienteste Lösung des Problems. Da auch in der Produktion durch Nachfrageschwankungen die Rahmenbedingungen immer volatiler werden, ist die ereignisbasierte Planung ein wesentliches Mittel, um die Effizienz zu steigern. So wird Automatisierung für viele Anwendungsfälle erst möglich. Das Prinzip ist auch hier: Vernetzung der Systeme ist die Pflicht, messbare Effizienzgewinne die Kür. Für unsere Kunden erreichen wir dadurch eine höhere Auslastung des Produktions- und Materialflussequipments.

Die technologische Grundlage wird durch exponentiell wachsende Rechenleistung geschaffen: semantische Intelligenz kann so hinreichend schnell erkennen, dass beispielsweise ein Gabelstapler auf dem Fahrweg und eine Palette im angrenzenden Lagerbereich zusammenhängen. Anhand datenbasierter Wahrscheinlichkeit, dass der Gabelstapler zum Lagerbereich abbiegt, geben probabilistische Algorithmen dann die Ausweichbewegung des autonomen Transportfahrzeugs vor.

Bei allen nachvollziehbaren Vorteilen stellt sich die Frage: Wieso ist KI teils mit Skepsis behaftet und warum sind viele Potenziale noch nicht ausgeschöpft?

Einerseits ist der Anwenderfokus in Leuchtturmprojekten oft noch zu gering. Zudem fehlen Standards, also Spielregeln, die das Vertrauen von Betreibern in KI-basierte Systeme erhöhen und den Durchbruch befeuern. Spielregeln zur Nutzung komplexer, hochsprachenbasierter Systeme entstehen, in dem Schnittstellen zur Peripherie definiert werden.

Künstliche Intelligenz begegnet uns an unserem Arbeitsplatz (Suchanfragen), beim Online-Einkauf (Warenkorbvorschläge), beim Autofahren (Routenfindung) und vielem mehr. KI-gestützte Software, egal ob im Maschinenbau oder in der Automatisierung, wird indirekt Wohlstandstreiber sein. Sie kann durch die Automatisierung von Anwendungen, in denen in kurzer Zeit komplexe Sensorik und Motorik koordiniert werden muss, helfen, die Wertschöpfung menschlicher Arbeit zu erhöhen. Der Weg ist frei für die nächste industrielle Revolution.

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