Colibri ist eine junge Organisationseinheit der DB Fahrzeuginstandhaltung. Knapp 40 Beschäftigte arbeiten daran, Vernetzungstechnologien voranzubringen und sind für Technik, Einbau und Umbau zuständig. Die Lösung trägt denselben Namen und ist eine Abkürzung für Coach Link for Broadband Information Exchange.
„Bereits 2015 begann der Einbau von WLAN in Zügen, damit Fahrgäste unterwegs im Internet surfen können – das hat sich schnell zu einem ‚must have‘ entwickelt. Damals entstand Colibri, um das Spektrum weiter stark in Richtung Diagnose und Sicherheit auszubauen“, berichtet Catharina Schick, Referentin Marketing und Vertrieb für das Produktspektrum Colibri IT am Fahrzeug bei der DB Fahrzeuginstandhaltung.
WiFi, IoT und Sensorik haben den Bahnverkehr verändert
Fahrgäste erwarten heute, dass sie ihre Smartphones, Tablets oder Laptops auch auf der Bahnreise durchgängig online nutzen können. Auch Entertainment-Systeme wie das ICE-Portal mit Filmen und E-Journals haben sich etabliert. Doch es gibt mittlerweile eine Vielzahl anderer Kommunikationsaufgaben rund um IoT (Internet of Things) im Zug. Dazu zählen etwa Reiseinformationssysteme oder die Fahrgastzählung, mit der sich die Auslastung eines Zuges anzeigen lässt. Aber auch Ortung, Echtzeitdiagnosen für Zugsysteme und Videosicherheit gehören dazu.
Colibri steht für eine Lösung aus einer Hand, die Verkehrsunternehmen und -verbünde vergleichsweise einfach in ihre Flotten integrieren können. Das Angebot zeichnet sich vor allem durch eine 24/7-Betriebsgarantie sowie Software-Support und -Wartung aus. Die Kunden können dabei aus dem modularen System genau die Funktionen wählen, die sie benötigen. Ende 2021 waren bereits in 16 Regionen über 1.700 Colibri-Systeme im Einsatz, bald soll die 2000er-Marke überschritten werden. Die Lösung kommt zunehmend auch in Bussen zum Einsatz.
Fundierte Hardware-Auswahl als Kernstück
„Colibri verwandelt einen einfachen Personenzug in einen smarten Zug “, sagt Catharina Schick. Kern der Lösung für digitale Intelligenz im Bahnverkehr ist heute ein Zentralrechner von Kontron. Um möglichst innovative Technologie im Zentralrechner anbieten zu können, wurden im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung vor zwei Jahren verschiedene Anbieter unter die Lupe genommen. „Kontron ist aus unserer Bewertungsmatrix als bester Anbieter hinsichtlich Technik und Preis hervorgegangen. Ausschlaggebend war die Performance des Gesamtsystems, hinsichtlich CPU, Arbeitsspeicher und Kommunikationsmodulen“, erinnert sich Thomas Derlig, Teamleiter Marktentwicklung für IT am Fahrzeug bei der DB Fahrzeuginstandhaltung.
Seit 2021 arbeitet Colibri jetzt mit dem Embedded- und IoT-Technologiespezialisten zusammen. Mittlerweile bietet Colibri seinen Kunden die Auswahl zwischen drei Zentralrechner-Varianten. Dazu zählen ein 5G-Rechner, ein 4G/LTE-Rechner und eine „Rail WLAN only“-Option: eine Light-Variante mit drei LTE-Modems. Vor allem die 5G-Variante zeigt die innovative Ausrichtung, die den Reisenden zukünftig weitere Vorteile bietet, die durch die Features der 5G-Technologie ermöglicht werden.
Langzeitverfügbarkeit und Sicherheit stehen im Fokus
Die Sicherheitsanforderungen für Hardware in Schienenfahrzeugen sind besonders hoch, gerade was den Brandschutz und die Robustheit betrifft. Daher erfüllen alle Zentralrechner des Herstellers die Norm EN 50155. Die High-Performance-PCs bieten Kommunikationsoptionen wie WiFi, Gigabit Ethernet, 4G/5G-LTE oder GPS und bis zu vier 5G-Modems für externe Kommunikation, sowie eine eSIM-Option für einen schnellen und einfachen Provider-Wechsel und optional zwei austauschbare SSD-Speichermedien etwa für die Auswertung von Videodaten. Zudem arbeiten die Rechner in einem erweiterten Temperaturbereich von -40 bis 85 °C.
Der Verzicht auf bewegliche Teile wie Lüfter erhöht die Ausfallsicherheit signifikant und verlängert die mittlere Betriebsdauer (MTBF) deutlich. Die Herausforderungen im Transportwesen unterliegen einem permanenten Wandel. Das gesamte Hardware-System-Konzept ist daher modular und skalierbar aufgebaut, sodass es an neue Aufgaben angepasst werden kann. „Ganz wichtig ist uns die Zusammenarbeit mit einem Technologiepartner, bei dem wir an und von der Weiterentwicklung des Produkts partizipieren, ebenso wie eine konstruktiv Zusammenarbeit und offene Kommunikation“, betont Derlig.
Komplexes Aufgabenspektrum für einen Zentralrechner
Das Colibri-System umfasst nicht nur die Anwendung in Zügen, sondern lässt sich auch in anderen Transportsystemen wie Bussen sowie in Fahrkartenautomaten und elektrischen Ladesäulen nutzen – Ziel ist die Unterstützung einer durchgängigen Mobilität auch jenseits des Zugs. Eine einheitliche digitale Lösung für so viele unterschiedliche Transportmittel, Ticketsysteme, Automaten und Terminals zu schaffen, ist eine Mammutaufgabe. Hinzu kommt, dass Kunden ihr System beliebig konfigurieren und somit möglichst flexibel bleiben sollen. Systemoffenheit und Herstellerunabhängigkeit spielen für die Colibri-Experten deshalb eine besonders wichtige Rolle. Dieser flexible Ansatz ermöglicht einerseits das Redesign älterer Fahrzeuge und andererseits die Entwicklung innovativer Systeme für Neufahrzeuge. Dieses Mindset galt natürlich auch für den Zentralrechner.
Hierbei setzt das Konzept der Systemplattform auf standardisierte Schnittstellen. Sie bieten ein hohes Maß an Flexibilität hinsichtlich der einsetzbaren Add-On-Cards verschiedener kabelgebundener aber auch kabelloser Interfaces und Prozessormodule. Seitens des unterstützten Betriebssystems ist die Systemlösung absolut Linux-konform. Das Open-Source-Betriebssystem sorgt für ein hohes Maß an Offenheit. Es müssen aber auch Standards eingebunden werden, die aus der Industrie kommen, gerade wenn es um die Einbeziehung technischer Komponenten im Zug geht. „Bei WLAN und der Kommunikation mit den Endgeräten gibt es übergreifende Standards, doch einige Anwendungsfälle bleiben proprietär. Hier müssen Schnittstellen und leistungsstarke Hardware die Lücken schließen“, erklärt Joshua Donath aus dem Team Produktmanagement IT am Fahrzeug.
Predictive Maintenance im Zug ist im Kommen
„Für die Schienenfahrzeugbetreiber werden Diagnosetechnologien immer wichtiger. Überall dort, wo die Übertragung und Analyse von Sensor- oder Systemdaten genutzt wird, profitiert die Instandhaltung erheblich“, erläutert Catharina Schick: „Dabei werden unterschiedlichste Daten aus der Betriebsführung gesammelt und für Big-Data-Analysen in Rechenzentren auf die Landseite übertragen, um auf dieser Basis Predictive Maintenance umzusetzen“.
Jede Hardware-Komponente, die im Fahrzeug und an Colibri angeschlossen ist, wird überwacht, darunter auch Switches, Access Points oder Videokameras. Aber auch diagnosefähige Systeme wie Türen, Energieversorgung, Heizung, Antrieb oder WC, Klimaanlage, WLAN oder Reiseinformation werden kontinuierlich überprüft. Im Fahrzeug selbst analysiert man Betriebszustände. Sobald Prozesswerte vordefinierte Bereiche verlassen, wird automatisch untersucht, ob Störungen zu erwarten sind. „Mit Colibri können Defekte frühzeitig und genau diagnostiziert, gegebenenfalls remote behoben oder den Werkstätten vorgemeldet werden. Das steigert die Verfügbarkeit der angeschlossenen Systeme erheblich“, nennt Derlig einen wichtigen Vorteil.
So können Ersatzteile rechtzeitig disponiert und die nötigen Instandhaltungs- oder Reparaturprozesse sowie der Personaleinsatz mit Blick auf die benötigten Skills vorab geplant werden. „Die Eisenbahnverkehrsunternehmen haben ein großes Interesse daran, dass sämtliche Services und Systeme schnell wieder zur Verfügung stehen“, berichtet der Teamleiter. Bei Colibri stehen verschiedene Support- Varianten von First- bis Third-Level zur Auswahl. Der Zentralrechner erlaubt die sichere Remote-Wartung. So können beispielsweise auch Updates jederzeit im Remote-Modus auf das betroffene Gerät aufgespielt werden. Reicht das nicht aus, finden mobile Teams Lösungen vor Ort.
Hohe Performance steht im Mittelpunkt
Der Bedarf an Bandbreite ist gerade bei WLAN und Entertainment immens. Wenn beispielsweise 200 Videostreams gleichzeitig unterstützt werden sollen, ist eine leistungsstarke Netzwerkverbindung gefragt. Für die nötige Performance sorgen Intel-Core-i7-Prozessoren, die einerseits außergewöhnlich leistungsstark sind und gleichzeitig eine optimierte Leistungsaufnahme bieten. Dies ist für die Kühlung des lüfterlosen Rechners besonders bei hohen Umgebungstemperaturen wichtig.
Der Zentralrechner stellt die Verbindung zu den Backend-Systemen auf der Landseite her und die Fahrgäste wählen sich zunächst über Access Points in das WIFI@DB ein. Die Zentralrechner sind mit mehreren Wireless-Modulen zum Beispiel für WLAN, LTE oder 5G und bis zu acht SIM-Karten ausgestattet. Sie greifen jeweils auf unterschiedliche Provider zu, um eine optimale Verbindung zu gewährleisten. Denn bei Bandbreitenbeschränkungen, wie beispielsweise im Tunnel, oder Lücken in der Mobilfunknetzabdeckung stößt die Funkkommunikation immer wieder an Grenzen.
Um die erforderliche Verfügbarkeit zu erreichen und Störfälle zu managen, wird deshalb nicht nur auf eine Funk-Übertragungsmethode gesetzt: Durch einen intelligenten Algorithmus wird fortlaufend überwacht, ob eine bessere Netzabdeckung durch einen anderen Provider vorliegt, um die Module sukzessive in ein anderes Netz einzubuchen. Dadurch wird eine stabile und unterbrechungsfreie Funkverbindung gewährleistet. Derzeit wird hier vor allem 4G genutzt. Perspektivisch soll es das schnellere 5G mit besserer Bandbreite sein. Die Kontron-Rechner sorgen auch dafür, dass alle WLAN-Clients im System aus Sicherheitsgründen vollständig vom restlichen Zugnetzwerk entkoppelt sind. Nach dem Bestätigen der AGB und Login erfolgt die Anmeldung auf Landseite und das Routing ins öffentliche Netz.
Schnelle Implementierung des Systems im Zug
Colibri verarbeitet enorme Datenmengen. Allein die Videodaten aus 72 Stunden Aufzeichnung summieren sich auf viele Gigabyte. Sie werden verschlüsselt an einen Netzwerkspeicher übertragen. Der Zentralrechner leistet das Management für das gesamte Netzwerk und sorgt dafür, dass die Verbindung stabil bleibt.
Die Implementierungszeit des Systems pro Fahrzeug ist überschaubar: Die Montage des Zentralrechners mit der Verkabelung zwischen Zug und Land dauert durchschnittlich eine halbe Stunde. Mit dem Verlegen der Leitungen kommen die Experten auf zwei bis drei Stunden Arbeitszeit. Zusätzlich können Sensorik in den Sitzen oder ein Sensor für die Fahrgastzählung über der Tür hinzukommen. Als Human-Machine-Interface dienen Displays mit Touchscreen für Personal und Fahrzeugführer, auf denen sich Diagnosen durchführen lassen.
Für die nahe Zukunft soll ganz klar der Fokus vor allem auf dem flächendeckenden Ausbau mit der 5G-Rechnervariante liegen, um die Kundenzufriedenheit im Zug zu erhöhen. „Wir freuen uns auf die Innovationen, die wir gemeinsam mit Kontron umsetzen können, wenn die nächsten noch leistungsfähigeren Chip-Generationen auf den Markt kommen. Im Rahmen unserer Entwicklungspartnerschaft treffen unsere Ideen dort immer auf offene Ohren“, fasst Teamleiter Derlig die Zukunftspläne der Deutschen Bahn zusammen.