Konkrete Anwendung für neuartige Technik Mit Quantencomputer komplexe chemische Prozesse entschlüsseln

Künftige Quantencomputer werden den Reaktionsmechanismus des Enzyms Nitrogenase berechnen können. Im Bild das aktive Zentrum des Enzyms und eine für die Berechnung zentrale mathematische Formel.

Bild: ETH Zürich
03.08.2017

Erstmals gibt es in der Chemie eine handfeste Anwendung für Quantencomputer: Sie sollen komplexe chemische Reaktionen berechnen, an denen heutige Supercomputer scheitern.

Nichts Geringeres als eine technologische Revolution erwarten Fachleute von Quantencomputern: Sie sollen bald schon Probleme lösen können, die wegen ihrer hohen Komplexität außerhalb der Reichweite klassischer Supercomputer liegen. Die Datenverschlüsselung und -entschlüsselung sowie die Lösung spezieller Probleme in der Physik, Quantenchemie und Materialforschung sind oft genannte Anwendungsgebiete.

Quantencomputer in der Chemie nutzen

Wenn es um konkrete Fragen geht, deren Beantwortung Quantencomputer voraussetzen, blieben Experten bisher jedoch meist vage. Forschende von der ETH Zürich und von Microsoft Research präsentieren nun in der Fachzeitschrift PNAS erstmals eine ganz konkrete Anwendung: die Berechnung einer komplexen chemischen Reaktion. Damit veranschaulichen die Wissenschaftler, dass von Quantencomputern tatsächlich wissenschaftlich relevante Beiträge zu erwarten sind.

Geheimnis einer chemischen Reaktion entschlüsseln

Als Anschauungsbeispiel verwendeten die Forscher in ihrer Studie eine besonders komplexe Reaktion aus der Biochemie: Bestimmte Mikroorganismen können dank eines speziellen Enzyms, einer Nitrogenase, die in der Luft vorkommenden Stickstoffmoleküle spalten und daraus chemische Verbindungen mit nur einem Stickstoff-Atom herstellen. Wie genau die Nitrogenase-Reaktion abläuft, ist jedoch unbekannt.

Mit heutigen Computern lässt sich das Verhalten einfacher Moleküle recht genau berechnen. Für die Nitrogenase beziehungsweise deren aktives Zentrum sei dies jedoch praktisch nicht möglich, da das Molekül zu komplex sei, erklärt Reiher.

Die Grenzen heutiger Supercomputer

Komplexität heißt in diesem Fall, wie viele Elektronen innerhalb des Moleküls über verhältnismäßig lange Strecken miteinander wechselwirken. Je mehr Elektronen die Wissenschaftler berücksichtigen müssen, desto umfangreicher werden die Berechnungen.

„Mit bestehenden Methoden und klassischen Supercomputern kann man Moleküle bis höchstens rund 50 stark wechselwirkenden Elektronen berechnen“, erklärt Markus Reiher, Professor für Theoretische Chemie an der ETH Zürich. Beim aktiven Zentrum der Nitrogenase müsse man jedoch deutlich mehr solcher Elektronen berücksichtigen. Weil sich auf einem klassischen Computer der Aufwand für jedes zusätzliche Elektron verdoppelt, bräuchte es dafür unrealistisch hohe Rechenkapazitäten.

Neuartige Computer-Architektur beschleunigt Berechnung

Wie die ETH-Forschenden nun zeigten, werden hypothetische Quantencomputer mit nur 100 bis 200 Quanten-Bits (Qubits) komplexe Teilprobleme innerhalb von einigen Tagen berechnen können, dank derer der Reaktionsmechanismus der Nitrogenase schrittweise bestimmt werden könnte. Dass Quantencomputer solche herausfordernden Aufgaben überhaupt lösen können, liegt unter anderem daran, dass sie grundsätzlich anders aufgebaut sind als klassische Computer. Quantencomputer benötigen pro zusätzlich zu berechnendes Elektron nicht doppelt so viele Bits, sondern einfach ein zusätzliches Qubit.

Hat der Supercomputer ausgedient

Wann es solche Quantencomputer geben wird, ist allerdings ungewiss. Derzeitige experimentelle Quantencomputer besitzen erst um die 20 rudimentäre Qubits. Bis zu einem Quantencomputer, bei dem mehr als hundert qualitativ hochstehende Qubits für Rechenoperationen zur Verfügung stehen, wird es noch mindestens fünf, vermutlich jedoch eher zehn Jahre dauern, schätzt Reiher.

Weil Quantencomputer nicht alle Aufgaben lösen können, werden sie klassische Computer dereinst nicht verdrängen, sondern ergänzen, wie die Forscher betonen. „Die Zukunft wird geprägt sein von einem Zusammenspiel von klassischen Computern und Quantencomputern“, sagt Matthias Troyer.

Normaler Rechner arbeitet Quantencomputer zu

Im Fall der Nitrogenase-Reaktion wird es so sein, dass Quantencomputer berechnen, wie die Elektronen in einer bestimmen Molekülstruktur verteilt sind. Welche Strukturen besonders interessant sind und daher berechnet werden sollen, wird hingegen weiterhin ein klassischer Computer dem Quantencomputer mitteilen müssen. „Den Quantencomputer muss man sich eher wie einen Co-Prozessor vorstellen, der einem klassischen Computer bestimmte Aufgaben abnehmen und ihn so beschleunigen kann“, sagt Markus Reiher.

Um den Mechanismus der Nitrogenase-Reaktion aufzuklären, reicht es außerdem nicht, die Elektronenverteilung in einer einzigen Molekülstruktur zu bestimmen. Vielmehr muss diese Verteilung in tausenden von Strukturen bestimmt werden. Jede Berechnung dauert mehrere Tage. „Damit Quantencomputer für diese Art von Problemen von Nutzen sind, müssen sie dereinst in Massen zur Verfügung stehen. So können die Berechnungen auf mehreren Rechnern gleichzeitig laufen“, sagt Troyer.

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