Verspargelung der Landschaft, Lärm oder Gefährdung von Vögeln – die Windenergie steht seit jeher in der Kritik. Seit einiger Zeit auch, weil sie die Flugsicherheit gefährde. Das Thema ist ein Politikum geworden. In einem Grundsatzurteil entschied das Bundesverwaltungsgericht 2016, dass die Planungen für einen Windpark bei Hannover gestoppt werden müssen, weil die Rotorblätter auf Radarschirmen der Flugsicherheit blinde Flecken erzeugen. Mehrere Gigawatt an geplanter Windleistung, so der Bundesverband Windenergie, seien blockiert.
Neue Auflagen der Bundeswehr
Nicht nur im zivilen, sondern auch im militärischen Bereich drohten wegen gestörter Radarbilder Probleme bei der Genehmigung neuer Windkraftanlagen. Bis vor rund zwei Jahren hatte das Bundesverteidigungsministerium regelmäßig Pläne für den Bau neuer Windräder durchgewunken. Dann aber kamen neue Vorgaben. „Das bedeutete für Betreiber von Windparks und Investoren natürlich eine immense Unsicherheit“, erläutert Nils Romotzki, Mitgründer und Mitinhaber von S&R Elektrotechnik.
Die Firma installiert unter anderem in Windparks Fernwirktechnik für das Management des produzierten Stroms. Zum Beispiel ein System, mit dem sich ein ganzer Windpark nach Bedarf vom Netz nehmen lässt, etwa dann, wenn an der Leipziger Strombörse ein Überangebot an Windstrom besteht. Als die Bundeswehr die Vorgaben für das Aufstellen neuer Turbinen änderte, war die Firma einmal mehr gefragt. „Die Bundeswehr wollte, dass sich die Anlagen bei Bedarf abschalten lassen, damit sie das Radar nicht beeinträchtigen. Dies aber nicht sektorenweise, wie wir es schon für die optimierte Stromvermarktung realisiert hatten, sondern es muss sich jedes Windrad einzeln stoppen lassen können“, erläutert Nils Romotzkis Kompagnon Meik Schmidt.
Hohe Flexibilität
Im Auftrag von Windparkbetreibern erdachten Nils Romotzki und Meik Schmidt in nur wenigen Wochen ein passendes System. „Wir haben reichlich telefoniert und erkundet, was machbar ist“, berichtet Nils Romotzki. Klar war: Jedes Windrad muss mit einer eigenen Steuerung ausgerüstet werden. Hilfreich ist, dass Windenergieanlagen per sé mit einem externen Stopp ausgestattet sein müssen. „Die Steuerung muss demnach nur den Befehl weitergeben, den Stoppkontakt auszulösen, der übrigens physisch geschaltet wird“, erläutert Meik Schmidt. Ausgelöst wird der Stopp-Befehl von den Fluglotsen eines Fliegerhorsts der Bundeswehr.
So weit, so einfach. Im Detail galt es jedoch, einige Herausforderungen zu meistern. So mussten die S&R-Experten vor allem unterschiedliche Kommunikationsprotokolle berücksichtigen. Nach zahlreichen Gesprächen stand schließlich das Layout des Systems. „Zentrale Elemente sind die Controller PFC100 und PFC200 von Wago. Denn sie beherrschen alle erdenklichen Datenstandards, etwa für die Verbindung zu unterschiedlichen SCADA-Systemen oder die Datenübertragung über Glasfaser“, erläutert Meik Schmidt.
In jedem Windrad ist ein PFC100 (750-8101) installiert, der den Stoppbefehl an die Schaltung im Windrad weiterreicht und den Zustand der Anlage im Blick hat. Über die in Windparks standardmäßig verlegten Glasfaserkabel sind die einzelnen Controller mit einem zentralen PFC200 (750-8202) gekoppelt, der als Master-Controller fungiert. Dieser ist über ein spezielles Netzwerkprotokoll mit dem SCADA-System des Windparks und zugleich mit den Fluglotsen der Bundeswehr verbunden. Für eine schnelle und reibungslose Konfiguration des Systems sorgt die Engineering-Software e!Cockpit von Wago.
Höchste Sicherheit gefragt
Genannt haben die Norddeutschen ihr neues System „Bedarfsgerechte Steuerung zur Vermeidung von Störungen des Rundsuchradars der Militärflugplätze“. Testgebiet ist der Windpark Nenndorf bei Aurich. Ganz in der Nähe liegt der Fliegerhorst Wittmundhafen.
Von dem Stützpunkt aus sichert das taktische Luftwaffengeschwader 71 „Richthofen“ mit Eurofightern den gesamten norddeutschen Luftraum. „Mit unserem System können nun die Fluglotsen im Tower des Fliegerhorsts die Windanlagen ganz nach Bedarf abschalten“, erläutert Nils Romotzki. Auf einem Touchscreen-Monitor sind die einzelnen Windräder sowie ganze Windparks grafisch dargestellt, das Stoppen der Anlagen geschieht quasi per Fingertipp auf den Touchscreen. „Innerhalb von 60 Sekunden dürfen sich die Rotoren nicht mehr bewegen. In der Regel sind es weniger als 30 Sekunden“, erläutert Meik Schmidt.
Das ganze System ist hoch gesichert. Im Glasfasernetz des Windparks laufen die Informationen über eigene Fasern, ein zusätzliches sogenanntes Managed-Switch-System erhöht die Ausfallsicherheit. Derartige Systeme haben die Aufgabe, Netzwerke zu kontrollieren und zu verwalten. Die Switches stammen ebenfalls von Wago. Für die Datenübertragung zum Fliegerhorst sind zwei gesonderte DSL-Leitungen geschaltet. Wo kein DSL verfügbar ist, kann das System LTE- oder Satellitenverbindungen nutzen.
Die Datenübertragung ist mit HTTPS-Protokoll, SSL/TSL-Verschlüsselung und einem VPN-Tunnel geschützt. Zudem sorgt Wago mit dem USV-Managementmodul 787-870 und dem Diodenredundanzmodul 787-783 für eine unterbrechungsfreie Stromversorgung. Gerade in dieser Anwendung hat die Verfügbarkeit der Technik Priorität, denn Kommunikationsfehler oder gar Ausfälle können die Flugsicherheit gefährden.
Vorbildlicher Support
„Der PFC100 ist mit der Aufgabe nicht ausgelastet, trotz verschiedener Protokolle, VPN-Funktionalität und SPS-Programm“, sagt Nils Romotzki. Somit sind wir für weitere zusätzliche Aufgaben bestens gerüstet. Der Controller sei genau die richtige Wahl. „Wir hatten natürlich auch andere Anbieter im Blick. Mit Wago aber sind wir sehr glücklich. Nicht nur sind die Steuerungen flexibel und leicht zu konfigurieren, wir haben außerdem einen sehr guten Support erhalten“, sagt Meik Schmidt.
Nach Abnahme des Verteidigungsministeriums hat S&R bisher insgesamt rund 50 Systeme installiert. „Nach dem Testlauf in Wittmundhafen sollen weitere Fliegerhorste mit dem System ausgerüstet werden“, sagt Nils Romotzki. Im militärischen Bereich sind Windräder dann kein Störfaktor mehr.