E&E:
Herr Dorfleitner, alternative Finanzierungsmethoden wie das Crowdlending werden immer beliebter. Bitte erklären Sie uns kurz das Konzept.
Gregor Dorfleitner:
Der Begriff Crowdlending besagt, dass eine Crowd, also eine Menge von mehreren Menschen, typischerweise kleinere Beträge gibt und so einen größeren Betrag finanziert, der dann als Kredit für eine Privatperson oder ein Unternehmen ausgereicht wird. In der Wissenschaft sprechen wir jedoch häufiger von Marketplace Lending. Das heißt: Wir haben einen Marktplatz, auf dem der Kredit in kleinere Teile zerlegt wird, welche anschließend finanziert werden. Es kann dementsprechend vorkommen, dass sich nur zwei oder drei Investoren an einem Kredit beteiligen. Es muss also nicht mehr unbedingt eine „Crowd“ sein.
Wer sind denn eigentlich die Investoren?
Zum einen reicht es von Leuten, die früher in ein Sparbuch investiert haben. Das heißt, es gibt die Privatanleger, die Spaß am Anlagegeschäft haben und versuchen, einen höheren Zins zu bekommen. Sie investieren vielleicht 5.000 bis 10.000 Euro und verteilen das geschickt. Aber es gibt auf der anderen Seite auch die professionellen Anleger. In den USA finden sich sogar schon Hedgefonds unter den Investoren.
Und die Kreditnehmer?
Hier sind es natürlich ebenfalls viele Privatleute, die beispielsweise eine Urlaubsreise, eine Umschuldung, eine Umschulung oder auch eine kleine Unternehmensgründung mit Hilfe von Crowdlending finanzieren. Daneben gibt es die gestandenen Unternehmen, die sich aber meistens auf den Plattformen tummeln, die sich speziell an Unternehmen richten. Das reicht bis hin zu kleinen, typischerweise nicht börsennotierten Aktiengesellschaften, GmbHs und kleinen mittelständischen Unternehmen. Es sind allerdings vor allem die kleineren Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern und einem Umsatz von unter einer Million Euro, die auf Crowdlending setzen.
Aus welchen Gründen nutzen die Leute überhaupt Crowdlending?
Vorteile gibt es für beide Seiten. Einmal für die Unternehmen, die sich damit finanzieren, und ebenso für die Investoren. Im Grunde funktioniert das Konzept folgendermaßen: Klassischerweise übernimmt die Bank die Aufgabe der Finanzintermediation. Sie sammelt das Geld ein, zahlt dafür Zinsen – gut, im Moment keine mehr (lacht) – und reicht auf der anderen Seite das Darlehen aus. Wenn sich die beiden, also Anleger und die Kapitalnachfrager, ohne Vermittlung der Bank treffen können, dann würden sie beide bessere Konditionen bekommen. Das ist der eigentliche Grund, weshalb Crowdlending entstanden ist.
Bitte erläutern Sie uns das etwas genauer.
Für die Anleger besteht der Vorteil darin, dass sie tatsächlich bessere Zinsen bekommen können. Allerdings besteht ein gewisses Ausfallrisiko. Das kann trotzdem ein Vorteil sein, denn so eine Assetklasse hat es vorher gar nicht gegeben. Ich kann beispielsweise acht oder neun Prozent Zinsen erhalten bei einer Ausfallwahrscheinlichkeit von zwei oder drei Prozent. Die Anleger können sich außerdem sehr gut diversifizieren, indem sie die Anlagesumme in kleine Teile zerlegen und anschließend auf verschiedene Projekte verteilen. Zudem fallen kaum Gebühren für die Investitionen an.
Was sind die Vorzüge für Kreditnehmer?
Aus Sicht der Kapitalnachfrager ist ganz klar ein Vorteil, dass die Konditionen günstiger sein können als bei der Bank. Manche Unternehmen würden von der Bank vielleicht gar kein Geld bekommen; über Crowdlending dagegen schon. Warum macht die Bank das manchmal nicht? Naja, weil die Eigenkapitalanforderungen bei bestimmten Risikoklassen zu hoch sind und es daher für eine Bank nicht attraktiv ist. Das habe ich beim Crowdlending aber nicht.
Wieso nicht?
Banken finanzieren Kredite typischerweise mit Fremdkapital, während die Anleger beim Crowdlending ihr Eigenkapital anlegen. Die Bank wird reguliert, weil es weitreichende Konsequenzen hätte, wenn sie ausfällt. Beim Crowdlending wird das Kreditrisiko hingegen auf die vielen Anleger verteilt. Daher ist ein Ausfall weniger problematisch. Für Unternehmen kann ein solcher Kredit dann natürlich relativ teuer werden. Das ist trotzdem die bessere Option, wenn man ansonsten gar keinen Kredit bei der Bank bekommt.
Der Zinssatz kann aber trotzdem besser ausfallen als bei der Bank?
Natürlich. Viele Plattformen arbeiten auch mit einer Art Auktionsmechanismus. Man kann in diesem Falle selbst festlegen, was man zu akzeptieren bereit wäre. Beispielsweise, ich zahle bis zu sieben Prozent Zinsen – gerne auch weniger, wenn die Anleger weniger verlangen. Mehr aber zahle ich nicht und dann kommt der Deal eventuell nicht zustande.
Gibt es noch weitere Nachteile für Unternehmen?
Deutsche Unternehmen setzen oft auf Diskretion, die dann natürlich nicht mehr in diesem Maße gegeben ist. Man wird sozusagen öffentlich abrufbar und muss bestimmte Zahlen offenlegen. Anleger können außerdem sehen, wenn es einem Unternehmen unter Umständen nicht so gut geht, weil der Zinssatz recht hoch ausfällt. Das kann auch der Reputation schaden.
Wie sieht es auf Seiten der Anleger aus?
Investoren haben nur den Nachteil, dass sie nie genau wissen, mit wem sie es auf der Gegenseite zu tun haben. Eine Bank durchleuchtet so ein Unternehmen natürlich viel genauer und kann das Risiko besser abschätzen. Es besteht auch ein potenzielles Betrugsrisiko. Denn es kann sein, dass sich auf einer Plattform jemand tummelt, der nach einer erfolgten Transaktion nicht mehr greifbar ist.
Wie hoch ist denn das Ausfallrisiko auf Crowdlending-Plattformen?
Wir haben eine Untersuchung mit Smava und Auxmoney durchgeführt, die sich beide allerdings weniger an Unternehmen als an Privatpersonen richten. Dort konnten wir Ausfallraten von ungefähr zehn Prozent beobachten. Das heißt aber übrigens nicht, dass die Investoren, oder Kreditgeber, einen Totalausfall erleiden. Es bedeutet, einige Raten werden noch gezahlt und spätere nicht mehr. Und zweitens, wenn die Investoren einen entsprechend hohen Zins bekommen, ist das nicht automatisch ein Problem, solange man entsprechend streut.
Auf welchen Zeitraum beziehen sich diese zehn Prozent Risiko?
Das waren die Daten von Anbeginn dieser Plattformen – im einen Fall März 2008, im anderen Februar 2007 – bis September 2013. Man darf heute nicht mehr von solchen Werten ausgehen. Das ist eher als eine historische Zahl aus den Anfangstagen zu sehen. Die Plattformen unternehmen heute natürlich einiges, um Ausfälle zu vermeiden.
Wie hoch ist das Ausfallrisiko bei Unternehmenskrediten?
In einem anderen Projekt, in dem wir nur Kredite an Unternehmen untersuchen, haben wir einen Datensatz von 414 Krediten. Darunter sind fünf Kredite, die ausgefallen sind, also ein bisschen mehr als ein Prozent. Das lässt sich aber nicht verallgemeinern.
Das heißt?
Es hängt natürlich von der Plattform ab, wie genau sie die Unternehmen prüft. Grundsätzlich wäre es auch gerade der Reiz, ein paar riskantere Anlagemöglichkeiten im Angebot zu haben, wenn ein Investor dann den entsprechenden Zins verlangen darf und er durch geschicktes Diversifizieren sein Risiko reduziert. Wenn man zum Beispiel eine Ausfallwahrscheinlichkeit von einem Prozent hat, aber zwei Prozent mehr Zins verlangen darf und das gut streut, macht man trotzdem ein Geschäft.
Also im Endeffekt ist das Vorgehen vergleichbar mit dem Aktiengeschäft?
Ja, genau. Verglichen mit Aktien ist es sogar weniger riskant, wenn man sich entsprechend informiert.
Wie sieht der rechtliche Rahmen beim Crowdlending aktuell aus?
Natürlich greifen die grundsätzlichen Gesetze für den Finanzmarkt, aber es gibt keine spezielle Regulierung für das Crowdlending. In der Regel ist es so: Obwohl man sagt, es seien Kredite ohne Bank, ist im Endeffekt immer irgendwo eine Bank eingeschaltet. Für das Kreditgeschäft ist faktisch eine Banklizenz notwendig. Das läuft dann aber so ab, dass eine Plattform selbst eine Banklizenz erwirbt oder mit einer Bank kooperiert. Für die Auszahlungen und die Formalia wird dann eine Bank eingeschaltet. Aber diese Bank geht nicht in das Kreditrisiko, was sie normalerweise macht, wenn sie Kreditgeschäfte betreibt. Sie reicht das Kreditrisiko weiter an die Plattform, die es wiederum auf die Anleger verteilt.
Das heißt, die Bank fungiert letztlich nur als Mittler, oder?
Genau, und insofern besteht für die Bank auch kein Risiko. Eine Regulierung haben wir aus zwei Gründen: einmal, um Banken vor eigenen Dummheiten zu schützen und sie – und damit das Finanzsystem – stabiler zu machen; zweitens gibt es eine Regulierung zum Schutz der Anleger. Um Banken muss man sich in diesem Kontext keine Sorgen machen. Für den Anleger könnte eine stärkere Regulierung durchaus Sinn machen. Die Frage ist aber, ob das wirklich notwendig ist.
Was könnte ohne spezielle Regulierung passieren?
Eine Gefahr ist zum Beispiel, wenn automatisiert in alles Mögliche investiert wird. In den USA gibt es zum Beispiel auch schon Crowdlending-Kredite, die verbrieft und als Wertpapier aufgelegt werden. So etwas Ähnliches haben wir bereits in der Finanzkrise mit den Subprime-Krediten erlebt, mit den sogenannten toxischen Wertpapieren. Aktuell ist das aber in Deutschland aus meiner Sicht noch nicht besorgniserregend. Dennoch ist es eine Entwicklung, die man beobachten muss und in die man irgendwann vielleicht auch regulierend eingreifen sollte.
Das heißt, eine Gefahr besteht darin, dass die Kredite nicht mehr genau geprüft werden?
Genau. Eine Gefahr besteht insbesondere darin, wenn Investoren „schlechte Kredite“ finanzieren, weil sie ja wissen, dass das Kreditrisiko gleich weitergereicht wird. Der Investor nimmt also den Kredit, prüft ihn nicht mehr genau und verkauft ihn gleich weiter in eine Wertpapierstruktur. Für Deutschland ist das im Moment reine Theorie. In den USA sieht die Lage aber anders aus. Dort werden schon zweistellige Milliardenbeträge über Crowdlending finanziert, wovon ein Teil bereits verbrieft wird.
Wie relevant ist im Vergleich dazu der deutsche Crowdlending-Markt? Von welchen Summen sprechen wir?
Bei Crowdlending sprechen wir aktuell von ein paar hundert Millionen Euro an eingesammeltem Kapital. Für 2016 haben wir das Volumen auf circa 220 Millionen geschätzt. Das ist natürlich nicht viel angesichts der gesamten Kredite, die in Deutschland ausgereicht werden. Aber noch vor zwei oder drei Jahren lag diese Zahl bei 50 Millionen. Das ist natürlich eine deutliche Steigerung.
Wie würden Sie die Entwicklung beschreiben?
Crowdlending hat sich, analog zu anderen Ländern, auch in Deutschland vergleichsweise rasant entwickelt. Man muss aber auch sagen, dass die Entwicklung von ganz unten kommt, von Peanutsbeträgen. Selbst wenn Sie hier über 100 Prozent Wachstum im Jahr haben, stehen wir immer noch bei einem vergleichsweise geringen Anteil am Gesamtmarkt.
Sind solche Beträge wie in den USA auch in Deutschland denkbar?
Wir haben in unserer Studie auch Zukunftsszenarien für die Entwicklung des Crowdlending in Deutschland aufgestellt. In einem realistischen Szenario haben wir bis 2035 den Anstieg des Volumens auf 11 Milliarden Euro geschätzt.
Sie haben auch ein optimistisches Szenario mit einem Anstieg des Volumens auf 90 Milliarden Euro beschrieben. Was müsste hierfür erfüllt werden?
Es müsste wenige Betrugsfälle und eine kluge Regulierung geben. Wir können auch deswegen die Zukunft nicht vorhersagen, weil sie davon abhängt, was die Politik möglicherweise an Gesetzen erlässt. Man kann Crowdlending auch komplett abwürgen, indem man es totreguliert. Hier müsste die Politik also soweit klug eingreifen, dass sowohl die Anleger als auch die Nachfrager zunehmend Spaß daran haben und keine größeren Katastrophen auftreten.
Wird Crowdlending in diesem Fall zu einer Konkurrenz für die Banken?
Wenn es in diese hohen Volumina geht, ist es für die Banken irgendwann schon ein Problem. Im Moment ist es so, dass nur Geschäfte abgewickelt werden, die die Banken sowieso nicht wollen. Wenn die Umsätze aber weiter steigen, drängen die Banken vielleicht auch in diesen Bereich und werden künftig eigene Plattformen betreiben.
Wir haben also eher einen Markt, der für Banken uninteressant ist?
Ja, so stellt es sich im Moment dar. Ich würde aber nicht sagen, dass es so bleiben muss. Ein weiterer Punkt ist: Ein Fintech ist ein Start-Up-Unternehmen, das sehr wendig ist und schnell etwas umsetzen kann. Das geht bei vielen Banken nicht so leicht. Sie sind eher schwerfällig, auch was zum Beispiel IT-Prozesse betrifft. Grundsätzlich aber könnte man Crowdlending natürlich auch im Bankensektor verankern. Es muss nicht zwingend eine Konkurrenzsituation bleiben – mit Banken auf der einen und Fintechs auf der anderen Seite. Bereits jetzt beobachten wir schon viele Kooperationen der beiden Bereiche.