Um das komplexe Vorhaben voranzutreiben, nutzte Philipp Seitz von der THWS erstmals Machine Learning, einen Ansatz aus der Künstlichen-Intelligenz-Forschung. Die Grundidee war, bei der Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien poröse Kohlenstoffe durch poröse Silica zu ersetzen. Siliciumdioxid, auch Silica genannt, ist der Hauptbestandteil von Quarz-Sand, verfügt über eine hohe Ladekapazität und gilt als vielversprechender Werkstoff bei der Suche nach den leistungsfähigen Batterien der Zukunft.
Bisher war es nicht möglich gewesen, Silica mit den notwendigen, strukturellen Eigenschaften künstlich herzustellen. Gefragt war, Mikroporen von weniger als zwei Nanometern zu erhalten, die gleichzeitig ein möglichst großes Porenvolumen bieten sollten. Ein Nanometer entspricht 0,000001 mm – ein menschliches Haar ist im Vergleich dazu 500-mal dicker.
Zusammenarbeit mit CAE und Wacker Chemie
Während des Projekts wurde ein dreistufiger Arbeitsprozess verfolgt, bei dem Seitz mit dem Center for Applied Energy Research (CEA) in Würzburg sowie mit der Wacker Chemie zusammenarbeitete. Zunächst synthetisierte das CAE sogenannte Matrixmaterialien aus Siliciumdioxiden, dem Trägermaterial für die Ladung der Batterie. Im zweiten Schritt testete Wacker diese neuartige Batterie durch ständiges Laden und Entladen, bis zu deren Lebensende, was jeweils mehrere Wochen lang dauerte.
Während der Testzyklen entstanden aus elektrochemischen Messungen Datenreihen, die Philipp Seitz dann im dritten Schritt analysierte, um herauszufinden, welche Kombination von Syntheseparametern die beste Ladekapazität versprach. „Normalerweise gilt der Grundsatz, je mehr Daten, umso besser“, sagt Seitz. Doch das Vorhaben müsse auch zeitlich handhabbar sein. Daher könne man nicht an 20 Stellschrauben einzeln drehen, weil die Testphase jeweils mehr als eine Woche in Anspruch nahm – eine Million Möglichkeiten würde also mehr als eine Million an Testwochen bedeuten.
„Die Herausforderung war, mittels Künstlicher Intelligenz aus wenigen Daten möglichst viele Aussagen zu bekommen. Denn für einen Menschen ist es schwer, alle Parameter zu überblicken. Mit KI lässt sich statistisch eingrenzen, welche Parameter den größten Einfluss haben“, erläutert Philipp Seitz. Eine der Forschungsfragen sei beispielsweise gewesen, ob eine Porengröße von zwei oder drei Nanometern mehr Sinn mache. Das sei mit normaler, menschlicher Logik schwer zu erkennen.
KI beschleunigt Lernprozess
Philipp Seitz veranschaulicht das Vorgehen mit Hilfe einer kulinarischen Analogie: Beim Suppenkochen sei die genaue Luftfeuchtigkeit der Umgebung vernachlässigbar, diese könne aber durchaus Einfluss auf das Endergebnis eines speziellen Backrezeptes haben. „Mit der KI kann man vorhersagen, welche Parameter den größten Einfluss haben werden.“ Jede Messung bringe zusätzliche Informationen, mit denen die KI wiederum gefüttert wird. Mit manchen Ergebnissen hätte Seitz selbst nie gerechnet – so könne KI auch davor bewahren, mit zu großen Schritten in die falsche Richtung voranzugehen.
Das ursprünglich gesetzte Ziel des Projekts war es, eine Batterie herzustellen, die über die doppelte Ladekapazität einer herkömmlichen Batterie verfügt. Dieses Ziel haben die drei Projektpartner noch nicht erreicht. Aber Vizepräsident Prof. Dr. Jan Schmitt wertet das Vorgehen dennoch als Erfolg: „Zum ersten Mal wurde Machine Learning in diesen Prozess eingebunden und es konnten erfolgreich Vorhersagen gemacht werden. Das wird die Batterieentwicklung als Ganzes beschleunigen, weil wir mit dieser neuen Methode gezielter und schneller vorgehen können.“
Einsatz spezieller Röntgenstrahlen
Als besonderen Erfolg wertet Vizepräsident Prof. Dr. Schmitt, dass erstmals mit dem Einsatz spezieller Röntgenstrahlen – small angle X-ray scattering (SAXS) – das Trägermaterial während des Lade- und Entladevorgangs vermessen werden konnte. Damit lassen sich kleine Mikrorisse dokumentieren, die vermutlich für die Verschlechterung der Ladekapazität verantwortlich sind. Das dadurch gewonnene Verständnis hilft dabei, Gegenmaßnahmen zu entwickeln und die technischen Eigenschaften von Batterien langfristig zu verbessern.
Auch Philipp Seitz hat mit diesem Thema noch nicht abgeschlossen. In Kürze wird er seine Doktorarbeit an der THWS beginnen, um die Materialentwicklung mittels Machine Learning weiter voranzutreiben. Für ihn bleibt die Grundfrage dieselbe wie beim LeMO2n-Projekt: Wie kann man mit wenigen Daten Strukturen erkennen und Ergebnisse zielgerichtet verbessern?