Kein Brot mehr da, keine Butter, keine Wurst? Und nach Feierabend keine Lust, noch zum Supermarkt zu fahren? Blitzlieferdienste versprechen Abhilfe. Sie liefern Lebensmittel innerhalb weniger Minuten oder fertige Gerichte aus dem Restaurant. Bestellt wird online.
Das ist bequem für die Nutzer, meist Single-Haushalte, Berufstätige und andere Stadtbewohner, die kleinere Notkäufe tätigen. Doch wie nachhaltig wirtschaften die Lieferdienste? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Studie von Navid Armeli, Dr. Sebastian Campagna und Alexander Sekanina vom I.M.U. zusammen mit dem Experten für Bilanzanalyse Dr. Markus Sendel-Müller.
Die Forscher haben die wirtschaftliche Situation von fünf Lebensmittellieferdiensten anhand von Kennzahlen aus den Jahresabschlüssen über einen Zeitraum von sechs Jahren untersucht. Unter Berücksichtigung der Ertragslage, der Liquidität und der Finanzierung haben sie beleuchtet, ob die Geschäftsmodelle dauerhaft wirtschaftlich betrieben werden können.
Zu den untersuchten Unternehmen zählen Just eat Takeaway, Delivery Hero, Hello Fresh, JD.com und Meituan Maicai. Andere Anbieter wie Getir oder Flink konnten nicht einbezogen werden. Diese Unternehmen veröffentlichten Finanzdaten nicht regelmäßig, da sie anders als börsennotierte Firmen nicht unter die Berichtspflichten des Kapitalmarkts fallen.
Branche des Quick-Commerce
Blitzlieferdienste gehören zur Branche des Quick-Commerce (oder: Q-Commerce) und sind Teil der sogenannten Plattformökonomie. Sie bieten eine digitale Plattform, die Angebot und Nachfrage zusammenbringt. Für Verbraucher ist es heute selbstverständlich, Produkte online zu bestellen, Apps zur Auswahl zu nutzen und sich Lebensmittel und Fertiggerichte liefern zu lassen.
Im Gegensatz zu konventionellen Lebensmittelhändlern verfügen die Schnelllieferdienste nicht über Verkaufsflächen, sondern über kleine Lager, die sie an strategisch günstigen Standorten in Ballungsräumen anmieten. Entsprechend klein ist das Warensortiment, insbesondere im Vergleich zum stationären Lebensmittelhandel. Die Waren werden von sogenannten Ridern, die meist mit Fahrrad oder Motorroller unterwegs sind, bis an die Haustür geliefert.
Neben Festangestellten arbeiten Rider häufig als (Schein-)Selbstständige für die Plattformen, was ihnen zwar Flexibilität bietet, aber hinsichtlich ihrer sozialen Absicherung problematisch ist. Für ihre Tätigkeit benötigen sie keine klassische Berufsausbildung.
Dies erklärt, warum viele trotz geringer Bezahlung und schlechter Absicherung bereit sind, diesen Job zu machen, und warum sie es schwer haben, bessere Bedingungen durchzusetzen. „Maßgeblich für die Arbeitsbedingungen in der Plattformökonomie ist der wirtschaftliche Erfolg der einzelnen Unternehmen.Lediglich ertrags- und liquiditätsstarke Unternehmen können ihren Mitarbeitenden langfristig eine wirtschaftliche Perspektive bieten“, schreiben die Forscher. „Unsere Analyse zeigt jedoch, dass in den untersuchten Unternehmen die beschriebenen Erfolgsperspektiven bis dato fehlen oder zumindest als gering einzustufen sind.“
Risikokapital finanzierte das Wachstum
Die Branche ist zwar in den letzten Jahren stark gewachsen. Dieses Wachstum sei jedoch zu einem erheblichen Teil durch Risikokapitalgeber finanziert und nicht in Profite umgemünzt worden, so die Forscher. Insofern sei davon auszugehen, dass ein Großteil der Unternehmen ihre Dienstleistungen unterhalb des Deckungsbeitrages anbietet, was dauerhaft zu einem ruinösen Wettbewerb führt.
Die I.M.U.-Analyse zeigt, dass die Lieferdienste bei keiner der untersuchten Rentabilitätskennziffern mit einer Vergleichsgruppe etablierter und börsennotierter Unternehmen aus dem Bereich Handel, Konsum und Nahrungsmittel mithalten können. Lediglich in den Corona-Jahren hat sich ihr Rückstand – zum Beispiel beim Gewinn vor Steuern und Zinsen – vorübergehend verringert, danach sind sie aber wieder deutlich hinter die Vergleichsgruppe zurückgefallen.
Diese Entwicklung deute auf einen Corona-bedingten „Strohfeuereffekt“ hin, schreiben Armeli, Campagna, Sekanina und Sendel-Müller. Das hätten auch die Kapitalgeber erkannt. Sie seien seit 2022 bei der Bereitstellung von Risikokapital zurückhaltender geworden, was den Druck auf die Branche, die Profitabilität zu steigern, weiter erhöhe.
Ein Beispiel für die Entwicklung von 2017 bis 2022 ist das Unternehmen Delivery Hero mit Sitz in Berlin. Die anfänglich geringen Umsätze bei gleichzeitigen Verlusten sind für ein Start-up zunächst zu erwarten. Insbesondere in der Zeit der Corona-Pandemie stiegen die Umsätze des Lieferdienstes rasant an, was jedoch bis Ende 2022 nicht zu einer Verringerung der Verluste führte.
Im Gegenteil: Mit steigendem Umsatz wuchsen auch die roten Zahlen. Erst im ersten Halbjahr 2023 reduzierte sich der Verlust deutlich – allerdings lag das Minus immer noch bei 832 Millionen Euro. Ein typisches Phänomen schnell wachsender Unternehmen, bei denen zunächst nur der Umsatz zählt, während Gewinnmargen und Kosten weniger Beachtung finden.
Es sei davon auszugehen, dass bei Unternehmen wie Gorillas, Flink, Delivery Hero und anderen der durchschnittliche Warenkorbwert pro Bestellung zwischen 15 und 25 Euro liegt, heißt es in der Studie. Ein positiver Deckungsbeitrag sei nach Einschätzung von Fachleuten jedoch erst ab etwa 30 Euro möglich. Bisher sei es keinem Anbieter gelungen, mit dem operativen Geschäft Gewinne zu erwirtschaften.
Nur wenige werden überleben
Eine Konsolidierung des Marktes scheint unausweichlich und ist bereits im Gange. So wurde der deutsche Branchenprimus Gorillas nur rund zwei Jahre nach seiner Gründung bereits vom türkischen Wettbewerber Getir übernommen. Zeitweise stand im Raum, dass Getir auch Flink übernehmen könnte. Statt dessen baute das Handelsunternehmen Rewe seine Beteiligung an Flink aus.
Mittlerweile schrumpfe die Deutschlandpräsenz Getirs massiv. Es sei zu erwarten, dass nur wenige der heutigen Anbieter überleben werden, so die Forscher. Der Markt werde sich voraussichtlich auf ein bis zwei große Unternehmen und einige Nischenanbieter konzentrieren.
Zudem sei ein weiterer Trend zu beobachten: Anbieter wie Knuspr und Picnic investierten massiv in Automatisierung, um mittelfristig die Kosten zu senken. In Zukunft könnten Bestellungen vollautomatisch zusammengestellt und zu den Lieferfahrzeugen gebracht werden.
Ein Problem ist und bleibt vorerst, die Auslieferung der Waren zu den Endkunden, die „letzte Meile“, unter den gegebenen Bedingungen kostendeckend zu gestalten. Schlechte Aussichten also für die Beschäftigten. Sie müssen damit rechnen, dass Niedriglöhne ein wesentlicher Bestandteil der bisherigen Geschäftsmodelle in der Branche bleiben.
Die Ergebnisse der Studie verdeutlichten, „wie wichtig eine flächendeckende Debatte über die Situation und Perspektive der Beschäftigten in neuen Geschäftsmodellen ist. Eine erfolgreiche Transformation benötigt sowohl ideelle als auch materielle Teilhabe der Beschäftigten“, schreiben die Forscher. „Dafür braucht es ertragsstarke Unternehmen und eine sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit. Nicht jedes digitalisierte Geschäftsmodell wird diesem Standard gerecht werden können.“