Bis zum Jahr 2050 sollen erneuerbare Energien mindestens 80 Prozent der Stromerzeugung übernehmen. Um auch dann noch eine sichere Versorgung zu bezahlbaren Preisen zu gewährleisten, muss das gesamte Energiesystem schrittweise angepasst und umgebaut werden: Der wachsende Anteil fluktuierender Energiequellen erfordert ein schnell reagierendes, flexibles System. Ein Forschungsprojekt zeigt, welches Maß an Netzausbau, Speichern und neuen Regelungsmöglichkeiten dafür technisch nötig und wirtschaftlich sinnvoll ist.
In ihrer Forschungsarbeit stellen Wissenschaftler des Öko-Instituts dar, wie sich die Anforderungen an das Stromsystem mit steigendem Erneuerbaren-Anteil verändern. Sie modellieren die Kernstrukturen eines umfassenden Stromsystems für die Jahre 2020, 2030 und 2050. Dabei stützen sie sich auf verschiedene Szenarien zur Integration von erneuerbaren Energien im deutschen Stromsystem. Im Verlauf der Entwicklung der erneuerbaren Energien werden für den Ausgleich zwischen Erzeugung und Verbrauch zunehmend zeitliche und räumliche Flexibilitätsmechanismen gebraucht. Diese Ausgleichsfunktion können thermische Kraftwerke, Speicher sowie Maßnahmen des Lastmanagements übernehmen.
Die Forscher untersuchten mit Hilfe einer modellbasierten Szenarienanalyse, wie sich der Flexibilitätsbedarf bei wachsendem Anteil erneuerbarer Energien entwickelt, welchen Beitrag die verschiedenen Flexibilitätsoptionen bei einem steigenden Anteil erneuerbarer Energien leisten können und wie wirtschaftlich diese unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Kosten und Erlöse sein können. Damit die Stromversorgung funktioniert, müssen Erzeugung und Verbrauch immer übereinstimmen. Durch den wachsenden Anteil an erneuerbaren Energien (EE) wird es bei schwankendem Angebot aufwendiger, diesen Ausgleich herzustellen.
Unabhängig davon können auch schon früher Flexibilitätsoptionen notwendig werden, um Netzengpässe zu managen oder Systemdienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Dieser Aspekt wurde hier nicht untersucht. Während anfangs geringe Überschüsse und keine Defizite auftreten, und deshalb keine zusätzlichen Flexibilitätsoptionen benötigt werden, reichen im weiteren Verlauf der Umstellung die technisch verfügbaren Flexibilitätsmöglichkeiten aus, erst bei hohen EE-Anteilen wird es erforderlich, auch längere Defiziträume zu überbrücken, beispielsweise durch Power-to-Gas. Die Experten des Öko-Instituts erfassten, welche Flexibilitäts- und Speicheroptionen für ein Stromsystem auf dem Weg zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien bereits verfügbar sind und welche künftig zusätzlich benötigt werden. Anhand dieser Daten bewerteten sie mit einem im Institut entwickelten Energiesystemmodell die energiewirtschaftlichen, ökonomischen und treibhausgasbezogenen Effekte des Einsatzes von Kraftwerken, Speichern und anderen Flexibilitätsoptionen.
Dieses Strommarktmodell erweiterten sie um die Module „Stromimport/Stromexport“ und „Power-to-Gas“. So lassen sich alle Energieträger im künftigen System abbilden. Das erste Modul bezieht die Nachbarländer ein, es umfasst spezifische Last- und EE-Einspeiseprofile, einen stark aggregierten thermischen Kraftwerkspark und Pumpspeicher- sowie reine Speicherwasserkraftwerke. Das zweite Modul berücksichtigt sowohl Elektrolyse und Methanisierung, Einspeisung ins Erdgasnetz sowie Rückverstromung als auch Wasserstoffnachfrage in Industrie und Verkehrssektor. Dieses Strommarktmodell verknüpften sie für eine Kosten-Nutzen-Analyse mit einem erweiterten Investitionsmodell. Damit lässt sich einschätzen, wie wirtschaftlich sich einzelne mögliche Flexibilitätsoptionen umsetzen lassen – abhängig von Investitionskosten der jeweiligen Technologie, den Einsatzstunden sowie den korrespondierenden Marktpreisen im entsprechenden Szenario. Eine erste Orientierung bietet die in dargestellte Reihenfolge: mit Wärmespeichern für KWK-Anlagen lässt sich am leichtesten Geld verdienen, denn sie erfordern geringe spezifische Investitionen. Darauf folgen Lastmanagementoptionen bei Industrie und in Gewerbe, Handel, Dienstleistung. Zwar können Druckluft- und Pumpspeicher hohe Erlöse erzielen, doch aufgrund der hohen Baukosten fallen sie deutlich hinter die Spitzenreiter zurück. Auch in Haushalten sind die erforderlichen Investitionen zu hoch.
Mit dem Europäischen Netzmodell der Energynautics analysierten die Forscher die Rolle des internationalen Stromaustauschs und damit der Netze als räumliche Flexibilitätsoption. Sie gehen davon aus, dass diese Flexibilitätsoption vor den anderen zum Einsatz kommt. Damit lässt sich der innerdeutsche Flexibilitätsbedarf deutlich reduzieren, selbst dann, wenn auch die EU-Nachbarländer die erneuerbaren Energien ausbauen.