Verfahrenstechnik Tiefkalt, aber sicher

Bild: RS
23.01.2015

Die Schifffahrt soll sauberer werden. Ab 2015 beziehungsweise 2020 gelten verschärfte Abgasvorschriften für die Ostsee und weitere Meeresregionen. Als schadstoffarmer Schiffstreibstoff bietet sich dabei Flüssigerdgas (LNG) an. Zwei Unternehmen haben zusammen eine flexible Lösung zur Umstellung auf den Treibstoff entwickelt.

Seehäfen sind Tore zu Märkten in aller Welt. Daran hat sich auch im Zeitalter der Luftfahrt wenig geändert. Im Gegenteil, die Güterströme wachsen stetig und die Küstengewässer bleiben die Hauptverkehrsadern der Weltwirtschaft. Die Vermeidung umweltschädlicher Abgase wird in der Schifffahrt daher zunehmend zum Thema. Und hier herrscht Nachholbedarf. Denn noch immer verbrennen Schiffsmotoren ungefiltert gewaltige Mengen schadstoffreichen Schweröls. Schwefelgelbe Abgasschwaden über dem Hafenbecken trüben vielerorts das Bild vom Tor zur Welt. Atmosphäre, Meer und Bewohner von Küstenstädten werden vom Ausstoß schädlicher Schiffsabgase zunehmend belastet. Die internationale Schifffahrtsorganisation IMO und die EU haben daher die Abgasnormen für die Schifffahrt drastisch verschärft. Ab 2015 gelten im sensiblen Ökosystem Ostsee neue Grenzwerte, ab 2020 auch in vielen weiteren Meeresregionen.

Es kann und wird also nicht weitergehen wie bisher. Zur Erfüllung der neuen Normen ist die Schifffahrt auf schadstoffärmere Treibstoffe angewiesen. Hoffnungen setzt die Branche auch auf Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, LNG).

Schwefelschwaden ade

Allerdings können Schiffe nicht einfach LNG statt Schweröl verfeuern. Das bei Zimmertemperatur gasförmige LNG muss bei einer Temperatur von –165 °C gelagert und transportiert werden. Für seinen Einsatz als Schiffstreibstoff ist ein spezielles Versorgungssystem nötig, um eine sichere Handhabung und Lagerung des tiefkalten, umweltschädlichen Fluids zu gewährleisten.

Das Hamburger Unternehmen Marine Service (MS), ein Experte für maritime LNG-Transport- und Lagersysteme, hat im Jahr 2010 dazu ein neuartiges Konzept realisiert. Ein Tankcontainer bildete die Basis hierfür. Maßgeblich war jedoch nicht nur der Container selbst, sondern insbesondere seine Schnittstelle zu den Treibstoff- und Verladeleitungen. Darum holte Marine Service die Norderstedter Kupplungsspezialisten von RS zur Entwicklung und Integration eines neuen Transfersystems an Bord.

Treibstoff unter Hochdruck

Das Modell musste vielfältigen Anforderungen gerecht werden. Ob Wellengang, Wind oder Verladeprobleme – bei der Handhabung von LNG gibt es keinerlei Toleranz für Leckagen. Zudem mussten schnelle Kupplungsvorgänge und ein hoher Mediendurchfluss gegeben sein. Denn Schiffsmotoren brauchen eine kontinuierliche Treibstoffversorgung und zugleich sollten Verladezeiten möglichst kurz gehalten werden, um die Kosten des Schiffsbetreibers zu reduzieren. Schon in konventionellen Temperaturbereichen wäre das eine fertigungstechnische Herausforderung.

Im Fall von LNG kommt jedoch hinzu, dass sich bei Temperaturen zwischen –165 und –200 °C die physikalischen Eigenschaften der meisten Materialien verändern. Dichtungen, die um den Gefrierpunkt herum hervorragende Leistung zeigen, härten aus und verlieren ihre Wirkung. Jeder Wassertropfen im System gefriert sofort. Schon geringste Mengen Kondenswasser reichen aus, und das Gewinde friert fest. Für die sichere Handhabung des kryogenen LNG und ein zuverlässiges, vereisungsresistentes Kuppeln, Öffnen und Schließen des Strömungsquerschnitts entwickelte RS die TCC-Serie. Materialien und Konstruktion dieses Kupplungssystems sind speziell auf den Tieftemperaturbereich bis –200 °C zugeschnitten. Zusammen mit einer intelligenten Schlauchleitung wurde daraus ein sicheres Transfersystem für kryogene Medien.

Kuppeln extrem

In seinem Mittelpunkt steht die TCC-Trockenkupplung. Sie verbindet den LNG-Tankcontainer im Verladeprozess mit dem Treibstoffbunker und im Schiffsbetrieb mit dem festen Rohrleitungssystem zum Schiffsmotor. Als Prozesskupplung wird sie Teil der Treibstoffversorgung, für eine Woche kontinuierlich durchflossen von tiefkaltem LNG. Diese Anwendung stellt extreme thermische und mechanische Anforderungen an Konstruktion und Material. Um diesen gerecht zu werden, setzte RS spezielle Tieftemperaturwerkstoffe und Verfahren zur Oberflächenveredelung ein.

Für einen reibungslosen und wirtschaftlichen Praxiseinsatz durfte das Kupplungssystem keine lange Einarbeitung erfordern. Denn das Personal in den Häfen rund um die Welt, die die Schiff betanken, ist schließlich sehr unterschiedlich ausgebildet.

Eine ergonomische, intuitiv nutzbare Kupplungsgestalt mit strömungsoptimierter und vereisungsfreier Konstruktion erfüllte diese Bedingung. Um für die Beanspruchungen langer Schiffsreisen gewappnet zu sein, wurde die TCC-Serie zudem auf ein Wartungsintervall von zweieinhalb Jahren ausgerichtet. Dem Schiffbetreiber gibt dies die Sicherheit, Wartungsarbeiten am LNG-Versorgungssystem im typischen Branchenintervall von Experten durchführen lassen zu können.

Ein unvermeidbarer Risikofaktor jedes Transfersystems ist der Verlade- und Betankungsprozess. Wird zum Beispiel der LNG-Tankcontainer vom Kran angehoben, während er mit dem Schiff oder Treibstoffbunker verbunden ist, treten mechanische Belastungen auf, die keine Schlauchleitung auf Dauer aushalten kann.

Damit die Leitung oder Kupplung nicht reißen, sodass unkontrolliert Medien austreten, integrierte RS eine Nottrennfunktion in die TCC-Kupplung. Bevor die mechanische Beanspruchung zu Schäden führt, trennt sich die Kupplung an definierter Stelle. Sofort verschließen Rückschlagventile den Strömungsquerschnitt, wodurch der Medienaustritt verhindert wird. Mensch, Umwelt und Transfersystem werden geschützt.

Das Transfersystem besteht eben nicht allein aus dem Kupplungssystem. Ebenso wichtig ist die Schlauchleitung. Zur Absicherung gegen Leckagen und für eine optimale Isolation verwendete RS einen doppelwandigen, vakuumisolierten Metallschlauch. Ein ständig überwachtes Vakuum zwischen äußerer Schlauchhülle und mediumführenden Innenschlauch ist für die Isolierung zuständig. Bei einer Beschädigung fällt das Vakuum zusammen, ein Alarm wird ausgelöst und der Austritt des Fluids kann aufgrund des doppelwandigen Aufbaus abgewendet werden.

LNG gilt als Schiffstreibstoff der Zukunft. Aus der Kooperation von Marine Service und RS ist ein flexibles LNG-Versorgungssystem entstanden, mit dem Schiffe sicher und kostengünstig nachgerüstet werden können.. Abgesehen davon bietet das neuartige PC-Kupplungssystem auch die Basis für neue Lösungen für Prozesse, in denen kryogene Medien wie die technischen Gase Sauerstoff, Stickstoff und Argon verladen oder transportiert werden müssen.

Bildergalerie

  • In diesen Tankcontainern von Marine Service wird LNG transportiert.

    In diesen Tankcontainern von Marine Service wird LNG transportiert.

    Bild: RS

  • Die Kupplung aus der Serie TCC hat einen Toleranzbereich von –200 °C bis +60 °C.

    Die Kupplung aus der Serie TCC hat einen Toleranzbereich von –200 °C bis +60 °C.

    Bild: RS

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