Schon bald sollen erneuerbare Energien einen Großteil der deutschen Energieversorgung übernehmen – Photovoltaik und Windenergie werden zu tragenden Säulen der Stromversorgung. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat zudem gezeigt, dass ein beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien auch eine Frage der Sicherheit der Energieversorgung ist. Auch wenn der Handlungsdruck somit größer denn je ist: Konkrete Ausbauprojekte werden immer noch von unterschiedlichen Hürden verlangsamt oder gar ganz ausgebremst.
Das Akademienprojekt ESYS („Energiesysteme der Zukunft“), eine gemeinsame Initiative der Wissenschaftsakademien Acatech, Leopoldina und Akademienunion, legten in der Stellungnahme „Wie kann der Ausbau von Photovoltaik und Windenergie beschleunigt werden?“ Handlungsoptionen für einen raschen Ausbau vor. Vier Handlungsfelder sehen sie als richtungsweisend an: eine Transformation der Planungs- und Genehmigungsprozesse, stärkere und frühzeitigere Bürgerbeteiligung, mehr ausgewiesene Flächen und eine konsequente Ausrichtung des gesamten Energiesystems auf erneuerbare Energien.
Mehr Partizipation ermöglichen, Prozesse beschleunigen
Teuer, langsam und bürgerfern lauten übliche Kritikpunkte an der Energiewende. Zugleich ist die Wahrnehmung von Photovoltaik und Windenergie in der Bevölkerung überwiegend positiv, vor allem dort, wo bereits Anlagen realisiert wurden. Um dieses Spannungsfeld aufzulösen, schlagen die Fachleute unter anderem eine Transformation von Planungs- und Genehmigungsprozessen vor.
Die politisch festgelegten Ausbauziele in der formellen Planung zu verankern und über klare, einheitliche Naturschutzkriterien bundesweit Rechtssicherheit zu schaffen, könnte Prozesse beschleunigen und die Anzahl angestrengter Gutachten und Klagen verringern, so die interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe.
Zudem sehen die Fachleute eine gesetzlich festgelegte Bürgerbeteiligung als Chance, das gestalterische Potenzial der Bevölkerung zu aktivieren. Ellen Matthies, Co-Leiterin der Arbeitsgruppe und Leiterin des Lehrstuhls Umweltpsychologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, erläutert: „Aktuell sind Klagen meist der einzige Weg für Bürgerinnen und Bürger, sich in diese Prozesse einzubringen. Transparenz und eine frühzeitige Bürgerbeteiligung ermöglichen es hingegen, dass Menschen ihr unmittelbares Lebensumfeld aktiv mitgestalten und ein tiefes Verständnis der komplexen Anforderungen entwickeln können. Sich mit den Veränderungen positiv identifizieren zu können, darum geht es letztlich.“
Flächenverfügbarkeit steigern, zukunftsgerichtet agieren
Damit Flächenverfügbarkeit nicht zum Flaschenhals für den Ausbau wird, befürwortet die Arbeitsgruppe regulatorische und ökonomische Anpassungen. Ein gesetzlich verankertes Flächenziel für Windenergie kann sicherstellen, dass ausreichend Flächen ausgewiesen werden.
Denkbar wäre zudem eine Verpflichtung zum Ausbau auf geeigneten Dächern. Auch Anlagentypen, die eine Mehrfachnutzung von Flächen erlauben, können zu einer effizienten Raumnutzung beitragen, etwa Agri-Photovoltaikanlagen, die landwirtschaftlich genutzte Flächen überdachen, oder die Integration von Anlagen in Fassaden.
Eine weitere Hürde sehen die Expertinnen und Experten darin, dass das Energiesystem noch nicht optimal auf den schwankenden und steigenden Anteil von Wind- und Solarenergie ausgelegt ist. Andreas Bett, Co-Leiter der Arbeitsgruppe und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE, skizziert den Handlungsbedarf: „Es werden Speicher und eine angepasste Infrastruktur, aber auch neue ökonomische Rahmenbedingungen nötig sein, um umfänglich auf Strom aus regenerativen Energien umzusteigen. Auch die Kopplung der unterschiedlichen Sektoren des Energiesystems ist zu beachten. Hierfür müssen wir einen Paradigmenwechsel vollziehen, der das System konsequent von den Erneuerbaren aus denkt und auch internationale Kontexte stärker berücksichtigt.“