Großen Grund zur Klage hat die „bunte Industrie“ eigentlich nicht. Mit 2,5 Mio. t Farben und Lacken aller Kategorien (von Wandfarbe über Autolack bis hin zu Innenbeschichtung von Ölpipelines) erwirtschafteten die 25.000 Mitarbeiter in den rund 250 deutschen Farben- und Lackfabriken acht Mrd. Euro. „Der ökonomische Ausblick auf das Jahr 2015 bleibt mit Unsicherheiten behaftet“, sagt Klaus Meffert, Präsident des Verbandes der Lack- und Farbenindustrie (VdL). Die Wirtschaftsexperten des VdL gingen allerdings von einem leichten Wachstum der Produktionsmengen und einem ebenfalls leicht steigenden Inlandsgeschäft aus. „Das globale Wachstum von Lacken und Farben wird sich im Vergleich zu den letzten Jahren weiter verlangsamen auf nur noch 2,1 Prozent. Hier wirken sich vor allem die negativen Entwicklungen in Russland und der Ukraine, aber auch die deutliche Wachstumsabschwächung in China aus“, prognostiziert der Informationsdienst des deutschen Lackinstituts.
Produktion weiterhin ein deutsches Thema
Der Import ist mit 763 Mio. Euro gegenüber 2,5 Mrd. an Exporten verhältnismäßig gering. Es lohnt sich auch, nicht nur Speziallacke für die Industrie, sondern auch einfachere Produkte – etwa Wandfarbe – in Deutschland herzustellen. „In Deutschland ist man Weltmeister im Rationalisieren und Optimieren von Produktionsverfahren, sodass etwa die Chinesen wegen der hohen Transportkosten kaum Chancen haben, uns da aus dem Geschäft zu drängen“, sagt Michael Bross, Pressesprecher des VdL. Dennoch, der Trend zur Spezialisierung und zum hochwertigen Produkt ist in Deutschland ungebrochen, schon um beim Export erfolgreich zu bleiben und auch im Inland den Anschluss nicht zu verlieren.
Die größte Innovation und Hoffnungsträger der Branche ist die Nanotechnologie. Basis der Beschichtungen sind Partikel mit einer Länge von unter 100 nm. Zum Vergleich: Die meisten Bakterien sind zwischen 700 und 1000 nm lang. Gerade in diesem Bereich weht den Produzenten allerdings der Wind der Bürokratie ins Gesicht. Denn die Europäische Union definiert jeden Stoff, der Nanopartikel enthält als Nanoprodukt, das künftig in einem Nanoregister registriert werden soll. Doch in jedem Lack, jeder Farbe und diversen anderen Stoffen sind von Natur aus solche Partikel, ohne dass sie künstlich hinzugefügt werden. „Wenn man einen kiloschweren Basaltstein und ein nanometergroßes Basaltstaubkorn zusammenfügt, hat man nach EU-Recht ein fünfzig-prozentiges Nanoprodukt“, sagt Michael Bross. Der VdL sieht im Register keinen Wert, denn nach EU-Recht müsse auf jedes Produkt der Hinweis auf Nanopartikel aufgebracht werden. Der Verbraucher könne nicht erkennen, ob es natürlich vorkommende oder extra zugefügte Partikel seien. Hinzu komme der nicht zu bewältigende Aufwand, allein 600.000 aktuelle Rezepturen, von denen jährlich ein Drittel geändert wird, zu registrieren.
EU-Chemikalienpolitik als Herausforderung
Gegen eine mögliche Gesundheitsgefährdung durch Nanopartikel im Lack hat die Industrie schon 2010 Vorkehrungen getroffen. Bei der Verarbeitung von Nanolacken und selbst beim Schleifen ist eine Gefährdung ausgeschlossen, da die Nanopartikel fest in die Bindematrix eingebunden sind, wie eine Studie der TU Dresden zeigte. Um aber auch den Hersteller und dessen Mitarbeiter nicht zu gefährden, achtet die Industrie auf Arbeitsschutz. Der VdL empfiehlt seinen Mitgliedsunternehmen beispielsweise, nanohaltige Stoffe grundsätzlich nur in dispergierter Form als Flüssigkeit oder Paste einzukaufen, um Einatmen zu vermeiden.
Ein weiteres Problem, mit dem die Branche zu kämpfen hat, ist das „Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“ kurz REACH genannt. Seit 2007 müssen alle chemischen Stoffe, die in Größenordnungen über einer Tonne in die EU eingeführt werden, einen Registrierungsprozess durchlaufen. Das ist zwar bei Standardrohstoffen, die in Massen ins Land kommen, kein Problem, wohl aber bei solchen für Spezialprodukte, wo sich für den Hersteller die Registrierung schlicht nicht rechnet. Da der Endkunde seinen Lack mit bestimmten Eigenschaften wünscht, müssen die Produzenten die Rezepte ändern, was wiederum Kosten und Aufwand verursacht.
Das Anwendungsgebiet der Nanotechnlogie ist dabei äußerst vielseitig. Von Lacken, die Bakerien abhalten sollen oder Korrosionsschutz bei Schiffen unterstützen, über besonders kratzerabweisende Farbbehandlungen bis hin zu solchen, die Flüssigkeiten abperlen lassen und beispielsweise in der Automobilindustrie zum Einsatz kommen. Die am weitesten verbreiteten zugefügten Nanoteilchen bei Farben und Lacken sind Silikate, Eisen und Silber. Nanosilikate machen Farben und Lacke wasserabweisend und vor allem kratzfest. Wenige Atome große Silikate sind heute ein wichtiger Bestandteil von Autoklarlack, die so Mikrokratzer etwa von Waschanlagen verhindern.
Silberpartikel sind in Farben in Krankenhäusern sowie in Beschichtungen medizinischer Geräte enthalten. Die biozide Wirkung hilft dabei, das Verkeimungsrisiko zu mindern. Eisen im Lack schützt Hölzer vor ultravilotter Strahlung und Verfärbung. Titandioxidpartikel setzen die Hersteller in Wand- und Fassadenfarben ein, um organische Schadstoffe in der Umgebungsluft zu beseitigen.
Zukunftskonzept für Automobillacke
Bei Automobilen hat der Lack auch eine optische Funktion, die man durch Nanotechnik aufwerten kann. So ist beispielsweise der Effektlack XSpark von BASF bei der IAA in Frankfurt als einziger Lack geehrt worden. Feine Glaspartikel im Lackfilm reflektieren das Licht fast ohne Streuung und bewirken somit ein ausgeprägtes Funkeln. Die gleichmäßige Lichtbrechung auf der Oberfläche erzeugt eine optische Tiefe über das gesamte Fahrzeug hinweg. Man geht davon aus, dass der Anteil der Nanolacke immer weiter steigt. Die Forschung sucht nach immer neuen Möglichkeiten, aus dem Anstrich noch mehr herauszuholen. So forscht man an schaltbaren Lacken, wärmeisolierenden Wandfarben oder Lacken zur Solarstromerzeugung. Ein wirtschaftlich äußerst wichtiges Forschungsprojekt ist die Entwicklung neuer Schiffslacke mit einer Oberfläche, an der Muscheln und Algen kaum Chancen haben, sich anzusiedeln.
Jahrzehntelang war Tributylzinn (TBT) das Mittel der Wahl, Muschel und Seepocken vom Schiffsrumpf fernzuhalten. Doch das erwies sich als äußerst umwelt- und gesundheitsschädlich, da es selbst in kleinsten Mengen den Hormonhaushalt sowohl von Meeresorganismen als auch über den Speisefisch denjenigen des Menschen angreift. Deshalb ist es weltweit inzwischen verboten. Heute gebräuchlich sind kupferbasierte Lacke, die zwar nicht so giftig sind wie TBT, aber immer umweltschädlich genug.
Hier entwickelt die Hochschule Bremen unter der Führung von Prof. Antonia Kesel mit diversen Kooperationspartnern wie dem Fraunhofer-Institut IFAM einen entsprechenden Lack. Ähnlich der Haifischhaut soll der neue Lack durch eine entsprechende Oberflächenstruktur Seepocke und Co. vom Rumpf fernhalten. Nachdem die Erfahrungen mit Freizeitbooten im Pinselanstrich positiv sind, steht nun die Großschifffahrt im Fokus. Die technischen Herausforderungen sind anspruchsvoll, denn die granulathaltigen Anstriche im Mikrobereich müssen durch die bestehenden Spritzdüsen passen, einfach anzuwenden sein und das Endprodukt darf nicht teurer sein als kupferbasierte Beschichtung. Schließlich stehen Umweltschutz und Nachhaltigkeit auf der Prioritätenlisten von Werftbesitzern besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern nicht gerade ganz oben.
„Der Markt funktioniert über das Geld“, sagt auch Antonia Kesel ganz klar. Nur durch Produkte, die keine finanziellen oder technischen Schwierigkeiten machen und global einsetzbar ist, kann das Gift vom Meer fernbleiben. Dass natürlich auch Unternehmen mit diversen Granulaten in Bremen Schlange stehen, versteht sich von selbst. Wer den Rohstoff für einen solchen Lack liefern kann, hat vorerst ausgesorgt.