Die Einführung der TCP/IP-Protokollfamilie in den 70ern hat die Grundlage für den Aufbau des Internets geschaffen. Damals wurde das TCP für die Datenübertragung und damit die Zerlegung der Nachrichten in einzelne Pakete, die Übertragung zum Empfänger und die erneute Zusammensetzung genutzt. Das IP wiederum sorgte für die Weiterleitung und die Adressierung der Nachrichten.
Bei der ursprünglichen Konzeption dieser Protokollfamilie sowie bei den meisten der in den vergangenen Jahren vorgenommenen Iterationen gingen die Entwickler davon aus, dass Endpunkte einen festen Standort haben und Verbindungen unverändert bestehen bleiben. Das ist allerdings kaum mehr der Fall.
Heute sind Endpunkte mobil, und Verbindungen können (mithilfe unterschiedlicher Zugangstechnologien für einzelne Sitzungen und entsprechenden Handover-Verfahren) unterbrochen und wiederhergestellt werden. Die unglaublich hohe Anzahl an Netzwerkverbindungen, die derzeit eingerichtet werden, sowie die begrenzten Ressourcen zahlreicher Endpunkte haben ebenfalls erhebliche Auswirkungen.
Drastischer Anstieg des Datenvolumens
Die Prognosen in Bezug auf die Größe des Internet of Things weisen verständlicherweise starke Schwankungen auf, doch sind sich Branchenexperten einig, dass dieses Netz mehrere Milliarden Knoten umfassen wird. Das Analysenunternehmen IDC erwartet beispielsweise, dass bis 2025 rund 42 Milliarden Knoten genutzt und diese bis zu 80 Zettabyte an Daten generieren werden.
Außerdem führt das Streaming von Videoinhalten und die Verwendung von AR/VR-Apps für eine erweiterte und virtuelle Realität zu einem drastischen Anstieg der Datenvolumen, die von Verbrauchern und privaten Nutzern abgerufen werden. Bei der Übertragung darf es unter keinen Umständen zu Verzögerungen kommen, um eine Beeinträchtigung des Nutzererlebnisses zu vermeiden.
Anwendungsfälle aus dem Industrie-4.0-Bereich an die Telemedizin oder aus dem Bereich der intelligenten Landwirtschaft auf autonome Fahrzeuge beanspruchen jeweils spezifische Formen der Mobilität, Kapazität, Latenz, Sicherheit, Leistungsaufnahme und Servicequalität (QoS), die allesamt den TCP/IP-basierten Netzwerkansatz in Frage stellen. Dieses Protokoll wurde nicht für derartige Anforderungen entwickelt, und der Versuch einer Nachbesserung wird die grundlegenden Probleme kaum beheben.
Das Problem mit TCP/IP
Die moderne Kommunikation hat eine Reihe von Mängeln zutage gefördert, die mit der Einführung der neuen 5G-Onlinedienste nicht mehr zu übersehen sind. Für das 4G-Netz war das Ende-zu-Ende-IP durchaus eine geeignete Strategie (zur Abdeckung des Zugangs und des Kernnetzes), doch lässt sich diese Strategie einfach nicht auf das 5G-Zeitalter übertragen.
Aufgrund der strengen Auflagen, die für verschiedene Typen von Netzwerk-Hardware in Bezug auf Stückkosten, Leistungsbudget und so weiter gelten, wird die Einbindung der TCP-/IP-Stacks und die damit einhergehende komplexe Verwaltung nur schwer zu rechtfertigen sein. Dies gilt insbesondere in einem mobilfunkbasierten IoT-Kontext, in dem die Integration einer solchen Funktion in alle bestehenden Knoten eine deutliche Zunahme der Komplexität des gesamten Netzwerks darstellt und erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des Systems haben wird.
Bei anderen Anwendungsszenarien werden Bedenken hinsichtlich einer Verwendung des TCP/IP mit Bezug auf die Mobilität und die Latenz geltend gemacht. Die taktile Rückmeldung bei Industrierobotern und bei ferngesteuerter Chirurgie sowie die hohe Reaktionsgeschwindigkeit fahrerloser Fahrzeuge erfordert deterministische und äußerst zuverlässige Datenströme.
Außerdem darf die Anfälligkeit von TCP/IP gegenüber DoS-Angriffen (Denial of Service) nicht übersehen werden. Die Überarbeitung der Protokollfamilie hat zwar zu einer Verbesserung der Sicherheitsfunktionen geführt, doch gleichzeitig die entsprechenden Kosten erhöht.
Für eine optimale Bereitstellung der neuen Datendienste und die gleichzeitige Reduzierung der projizierten Kapitalinvestitionen und der Ausgaben für den laufenden Betrieb, ohne dabei das Problem der Latenz und der Sicherheit aus dem Blick zu verlieren, bedarf es eines anderen, rationelleren Ansatzes. Aus diesem Grund steigt das Interesse an NIN-Technologien (Non-IP Networking) in ganz erheblichem Maße.
Es gibt bereits alternative Protokolle, die bei einer Verwendung anstelle von TCP/IP zu einer Steigerung der Netzwerkleistung führen und die Verwaltung des Datenverkehrs verbessern könnten, von der Aussicht auf eine automatisierte Netzwerkkonfiguration und -optimierung einmal ganz abgesehen. Diese Protokolle stützen sich nicht auf die Nutzerebene, wie dies bei TCP/IP der Fall war, sondern verlagern wichtige Prozesse auf die Steuerungsebene, darunter die Verwaltung der Informationen über den Paketempfänger, die die Adressen in den Paket-Headern überflüssig machen.
Funktionen, wie die Adressübersetzung und die Header-Komprimierung, werden nicht länger Pflicht sein, auch wenn sie in einigen Szenarien immer noch aufgerufen werden, und das erleichtert die Mobilität. In einem IoT-Szenario führt dies dazu, dass der Verarbeitungsaufwand entsprechend sinkt. Das wiederum bewirkt eine erhebliche Verringerung der Energieressourcenbeanspruchung, sodass die Akkus an den Knoten länger halten. Ein weiterer Vorteil ergibt sich aus sicherheitstechnischer Sicht, da der Verzicht auf TCP/IP die Bedrohung durch Cyberangriffe stark mindert.
Mögliche Protokolle
Jedes potenzielle NIN-Protokoll hat seine eigenen relativen Vorteile und inhärenten Beschränkungen. Im Folgenden möchten wir einige dieser Vorteile und Beschränkungen benennen.
Wie bereits in LTE-Netzwerken können NAS-Protokolle (Non-Access Stratum) auch in 5G-Netzwerken für die Non-IP-basierte Datenübertragung verwendet werden, insbesondere bei der Übertragung kleinerer Datenmengen. Außerdem können die Datenpakete bestehende Verschlüsselungsmechanismen nutzen und damit die Netzwerksicherheit erhöhen.
Bei dem derzeit in der Entwicklung befindlichen Flexilink-Protokoll enthält der Paket-Header ein Label, das in der Routingtabelle als Index fungiert. Das macht die Weiterleitung von Datenpaketen erheblich einfacher. Alle anderen Informationen entsprechen somit Steuerungsmeldungen, die nur noch ein einziges Mal für den gesamten Datenfluss und nicht mehr für jedes einzelne Paket gesendet werden müssen. Auf diese Weise ist bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung eines deterministischen Betriebs viel weniger Bandbreite erforderlich.
Des Weiteren arbeiten derzeit eine Reihe akademischer Institute an RINA-Projekten (Recursive Inter-Network Architecture). Im Vergleich zu TCP/IP verringert dieses Protokoll den Routing-Aufwand und weckt im Zusammenhang mit Servicequalität (QoS), Sicherheit und Mobilität besonderes Interesse.
Regelwerk für die Normung
Die industrieweite Konsistenz ist für Non-IP Networking von ausschlaggebender Bedeutung; nur so kann eine Abhängigkeit von proprietären Lösungen vermieden und eine anbieterübergreifende Interoperabilität gefördert werden. Außerdem muss die Möglichkeit einer Arbeit mit bestehenden Infrastrukturen gewährleistet sein. All dies verlangt eine detaillierte und sorgfältig definierte Normierung.
Ende 2019 hat ETSI die Industry Specification Group (ISG) ins Leben gerufen, die sich ganz der kontinuierlichen Entwicklung von NIN-Normen und der Untersuchung von Protokollen widmet, die als effektive Alternativen für die lange Zeit genutzte TCP/IP-Protokollfamilie eingesetzt werden könnten. Die ISG hat sich zum Ziel gesetzt, in den kommenden zwölf bis 14 Monaten ein Testbed bereitzustellen. Anschließend werden die ISG-Spezifikationen für diese Protokolle definiert, die den oben erwähnten Anforderungen in Bezug auf Latenz, Mobilität, Sicherheit und Datenvolumen Rechnung tragen und gleichzeitig die volle Abwärtskompatibilität gewährleisten.
Eines der wichtigsten Ziele im Hinblick auf diesen letzten Punkt ist die Formulierung eines flexiblen Adressierungsmodells, das sowohl für IP- als auch für Non-IP-Knoten geeignet ist. Auf Flexilink aufsetzende Prototypen sind bereits in Betrieb und haben ihre Interoperabilität mit bestehenden TCP/IP-Infrastrukturen unter Beweis gestellt.
Die Arbeit der ISG NIN wird zunächst in privaten Mobilfunknetzen für die Fabrikautomatisierung und Prozesssteuerungsaufgaben zur Anwendung kommen, wobei langfristig die Ausweitung auf andere Bereiche geplant ist.
Fazit
Die Einsatzregeln haben sich geändert, und es ist offensichtlich, dass TCP/IP aufgrund der hohen Ressourcenbeanspruchung keine Lösung für die Zukunft ist. Die immer weiter steigende Anzahl von Anwendungsfällen erfordert andere Methoden. TCP/IP wurde in einer Zeit entwickelt, in der die Techniker von einem festen Standort für jeden Netzwerk-Endpunkt ausgingen und die übertragenen Daten weniger zeitkritisch und von geringerem Umfang waren.
Non-IP Networking ermöglicht die Einführung neuer Formen des Paketroutings und wird einem umfangreichen Querschnitt unterschiedlichster Industriezweige mit Sicherheit zahlreiche Vorteile bringen, während gleichzeitig die erforderlichen Kapazitäten für die Verwaltung des TCP/IP-Datenverkehrs für bestehende Anwendungen bereitstehen müssen. Der Übergang zur neuen Technologie wird also nur marginale Auswirkungen haben.