Die technischen und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten der Energiewende in Deutschland und Europa lassen viele Eigentümer und Betreiber von Kraftwerken zögern. Der Wechsel ist politisch und gesellschaftlich gewollt. Gleichzeitig kommen noch immer zwei Drittel der Energie aus konventioneller Erzeugung. In dieser Situation erscheint es zunehmend unsicher, wo Neu- und Ersatzinvestitionen in diesem Bereich noch sinnvoll sind.
Ein moderner Weg, die Wirtschaftlichkeit von Neu- und Bestandsanlagen zu erhöhen, ist die Umstellung größerer Teile des Rohrleitungssystems von Metall auf Kunststoff. Er bietet sich sowohl für konventionelle Kraftwerke als auch für regenerative Formen der Energieerzeugung an, die ebenfalls einen Wasser-Dampf-Kreislauf einsetzen, also etwa Biomassekraftwerke. Dieser Schritt hilft, Wartungs- und Reparaturkosten zu senken und die Risiken von Leckagen und Rohrbrüchen, verursacht durch Korrosion im Kraftwerk, deutlich zu reduzieren.
„Eigentümer und Betreiber sind sich der möglichen Auswirkungen von Stillständen und ungeplanten Ausfällen bewusst“, sagt Gero Meinecke, Global Market Segment Manager Energy bei GF Piping Systems. „Das gilt für Folgen für ihre Kunden wie ihren eigenen Ruf als zuverlässige Stromlieferanten.“ Zu den möglichen finanziellen Auswirkungen von Rohrleitungsproblemen wegen Korrosion gehören Einnahmeausfälle und Vertragsstrafen bei Nichterfüllung von Stromlieferverträgen.
Materialwechsel gegen Lecks
In den meisten Kraftwerken sind noch immer rund 80 Prozent der Rohrleitungen aus Metall. Rund ein Drittel davon gilt als konvertierbar zu Kunststoff. Meinecke: „Der Materialwechsel hat viele Vorteile. Rohrleitungen aus Kunststoff sind korrosionsfrei, damit deutlich weniger anfällig für Leckagen. Sie halten so lang wie die Anlage selbst, mindestens 25 Jahre. Wenn das System in Bezug auf Temperatur und Druck nicht dauerhaft bis zum Maximum belastet wird, auch deutlich länger.“ Je nach gewähltem Material sind Kunststoffe für den Temperaturbereich bis 140 Grad einsetzbar. Im Kraftwerk liegen viele zur Umstellung auf Kunststoff geeignete Anwendungen im Bereich von maximal 60 bis 70 Grad. „Das umfasst vor allem den primären Kühlkreislauf bis sowie ab Kessel und die Wasseraufbereitung. Hier haben sich Thermoplaste wie Polyethylen (PE) und Polyvinylchlorid (PVC) sehr bewährt.“, sagt Meinecke
Für die großvolumige Kühlwasseraufnahme aus dem Meer, einen See oder Fluss sind große Querschnitte notwendig, die über die Pumpstation zu den entsprechenden Verteilpunkten im Kraftwerk führen. Meinecke: „Handelt es sich um Meerwasser, muss es entsalzt werden. Immer ist eine Reinigung und Aufbereitung nötig, die das Wasser für die technischen Prozesse geeignet macht.“ Auch wegen der dafür notwendigen aggressiven Chemikalien, etwa Natriumhypochlorid, eignen sich Rohrleitungen aus Kunststoff hervorragend: Sie widerstehen korrosiven Substanzen und werden wegen ihrer hohen chemischen Beständigkeit bereits seit mehreren Jahrzehnten in der klassischen Wasseraufbereitung eingesetzt, um Reparaturbedarf und Kosten zu senken.
Mehr Druck auf der Leitung
Auf dem weiteren Weg des Wassers innerhalb des Kraftwerks verringern sich die erforderlichen Rohrdimensionen. Dagegen nehmen der Druck – anfangs atmosphärisch – und die Temperatur im Wasser-Dampf-Kreislauf zu. Bis zur nächsten notwendigen Aufbereitungsstufe, dem Demineralisieren des Kesselwassers, und bis zum Kessel kann Kunststoff jedoch eingesetzt werden, danach wieder für die Kondensation und die Rückführung des Kondensats zur Aufbereitung.
„Lange galten Faserverbundstoffe als die Alternative zu Metall“, sagt Meinecke. „Sie haben sich in der Praxis wegen ihrer Starrheit und Sprödigkeit jedoch als sehr bruchanfällig herausgestellt. Das erschwert Verlegung und Reparatur, da viele Vorarbeiten notwendig sind, vor allem bei Erdverlegung. Praktisch handelt es sich um Glasfasermatten, die mit Harz beschichtet werden. Das macht das Arbeiten vor allem im Baustellenumfeld recht problematisch. Zudem erfordert es besondere Vorkehrungen zum Mitarbeiter- und Gesundheitsschutz wegen der auftretenden Lösungsmitteldämpfe.“
Kunststoffrohrleitungen sind, typisch für das Material, flexibel und damit weniger bruchgefährdet. Sie lassen sich sauber innerhalb von Minuten durch Stumpf- oder Elektroschweißen verbinden. Meinecke: „Auch der Austausch eines defekten Teilstücks ist damit problemlos machbar und führt zu keinen gesundheitlichen Belastungen für die Mitarbeiter. Ein besonderer Atemschutz ist nicht notwendig.“ Die schnelle Installation hilft, ungeplante Ausfallzeiten so kurz wie möglich zu halten und bei Revisionen im Plan zu bleiben.
Weniger Gewicht, mehr Erfolg
Rohrleitungssysteme aus Kunststoff wiegen bis zu 60 Prozent weniger als Stahlsysteme, was die statischen Anforderungen an Rohraufhängungen oder Rohrbrücken im Kraftwerk reduziert und eine schnellere Installation erlaubt. Kunststoffrohre können ohne schwere Hebezeuge transportiert werden. Auch für größere Segmente genügt oftmals Muskelkraft. Dadurch können die Montage- und Instandsetzungsteams schneller, effizienter und sicherer arbeiten. Die Schweißungen lassen sich durch moderne und zerstörungsfreie Prüfverfahren auf ihre Qualität prüfen. Zunehmend wird auf Kundenseite auch die Dokumentation der dabei gewonnenen Prüfdaten in die Qualitätssicherung integriert. Für den Kostenvergleich zwischen Rohrleitungssystemen – hier Metall und Kunststoff – empfiehlt es sich immer, die Kosten über den gesamten Lebenszyklus (Total Cost of Ownership) heranzuziehen. Neben der anfänglichen Investition umfassen diese insbesondere Betriebs-, Wartungs-, und Austauschkosten. Meinecke: „In der Gesamtbetrachtung ist Kunststoff fast immer günstiger, da Metall-Lösungen im gleichen Zeitraum wegen der typischen Korrosion oft mehrfach ausgetauscht oder repariert werden müssen.“
Im Bereich der Sonnen- und Windenergie bieten sich Kunststoffrohrleitungssysteme in Nebenanwendungen an, um auch hier die genannten Vorteile zu realisieren. Ein Beispiel sind die Kühlwasserkreisläufe innerhalb von Hochspannungstransformatoren und Gleich- beziehungsweise Wechselrichtern. Bei der Wind-energiegewinnung auf offenem Meer wie im Norden Deutschlands wird häufig mit Salzwasser als Kühlmedium gearbeitet, für das sich Kunststoff hervorragend eignet. Bei wassergekühlten Hochspannungsgeräten, wie zum Beispiel Transformatoren für die Hochspannungs-Gleichstromübertragung, bietet sich vor allem PVDF als Material für die Wärmetauscher an.
Es bietet hohe Sicherheit auch durch besondere Schweißverfahren. Meinecke: „Hier stehen absolute Dichtheit und Zuverlässigkeit der Verbindungen an oberster Stelle. Eine Leckage inmitten einer elektrischen Hochspannungsanlage kann einen Millionenschaden verursachen und muss unbedingt ausgeschlossen werden.“
Systemlösung gefragt
Ein komplexes System mit vielen Abhängigkeiten zu optimieren und seine Effizienz zu steigern, erfordert tiefe Sachkenntnis und Erfahrung in Planung und Umsetzung – vor allem, wenn mit neuen Materialien gearbeitet wird. Oftmals fühlen sich Eigentümer und Betreiber hier zunächst überfragt und überfordert. Daher ist es hilfreich und oft auch erforderlich, auf die Material- und Planungskompetenz der Hersteller und auf komplette Systemlösungen anstatt auf den Kauf einzelner Produkte zu setzen.
„Die deutsche und europäische Energiewirtschaft ist aktuell klar gekennzeichnet von diesem herausfordernden Umbruch, wobei das endgültige Ziel noch nicht ganz sichtbar ist“, sagt Meinecke. „Gleichzeitig darf Unsicherheit nicht völlige Stagnation bedeuten. Vielfach richtet sich der Wunsch nach mehr Innovation vor allem auf mögliche neue Verfahren der Energiegewinnung. Rohrleitungssysteme aus Kunststoff sind die Chance, sofort von innovativen Materialien zu profitieren und die Wirtschaftlichkeit von Neu- und Bestandsanlagen zu erhöhen.“