Die so genannte Great Resignation ist in aller Munde. Auch das Weltwirtschaftsforum hat sich mit diesem Begriff auseinandergesetzt und zitiert Professor Anthony Klotz, der diesen Begriff geprägt hat: „Viele Menschen werden ihren Arbeitsplatz verlassen, wenn die Pandemie vorüber ist und das Leben wieder zur Normalität zurückkehrt.“ Was ist dran an dieser düsteren Aussicht auf eine drohende Kündigungswelle?
Eine einzige Kündigung ist ein großer Verlust für ein Unternehmen und im Hinblick auf den steigenden Fachkräftemangel gleich in mehrerlei Hinsicht problematisch. Es kostet viel Zeit, neue Mitarbeiter einzustellen und auszubilden. Zudem müssen die Opportunitätskosten berücksichtigt werden, die mit dieser Stelle verbunden sind. Gerade Unternehmen in Wirtschaftsbereichen, in denen der Markt unsicher und veränderlich ist, müssen sich dessen bewusst sein.
85 Prozent der Angestellten haben zusätzliche Aufgaben übernommen
Die Auswirkungen der Great Resignation sind für deutsche Arbeitnehmer bereits spürbar. Die Office Worker Survey 2022 von UiPath stellt fest, dass 52 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland nicht mehr wissen, was ihr eigentlicher Job ist. Denn wenn Kollegen gekündigt haben, müssen sie zusätzlich deren Aufgaben übernehmen. 85 Prozent geben an, dass sie bis zu sechs zusätzliche Aufgaben, wie Extraprojekte, neue Kunden oder administrative Aufgaben, übernommen haben.
Hinzu kommt, dass die Pandemie die Einstellung und Überzeugung von Arbeitnehmern aller Unternehmensgrößen gegenüber ihrer Arbeits- und Lebenszeit grundlegend geändert hat. Zeit zu haben für die professionelle Weiterentwicklung und das Privatleben, wird wie nie zuvor als wertvollstes Gut angesehen. Das verträgt sich nicht mit dem Anhäufen von Überstunden und der permanenten Erreichbarkeit.
Eines wird sehr deutlich: Es geht immer mehr darum, Arbeitnehmern zuzuhören und ihren veränderten Einstellungen auf Augenhöhe zu begegnen. Laut einer globalen Studie von Adobe gaben 34 Prozent der befragten deutschen Beschäftigten und 35 Prozent der befragten deutschen KMU-Führungskräfte an, während ihrer Arbeitswoche Zeit mit unwichtigen Aufgaben am Computer zu verschwenden.
85 Prozent der deutschen befragten Mitarbeiter, respektive 81 Prozent der deutschen KMU-Führungskräfte, bestätigten in der Studie, dass diese Aufgaben sie davon abhalten, ihre Arbeit effektiv erledigen zu können. Dazu zählen das Sichten, Suchen und Teilen von Dateien, das Ausfüllen bestimmter Dokumente sowie die Pflege von Arbeitszeitbögen und Kostenabrechnungen.
Dabei könnten solche Aufgaben leicht automatisiert werden – mittels Robotic Process Automation (RPA). Bei der robotergestützten Prozessautomatisierung handelt es sich um eine Software, bei der Software-Roboter menschliche Handlungen bei der Interaktion mit digitalen Systemen und Software nachahmen. Genau wie Menschen können Software-Roboter zum Beispiel verstehen, was auf einem Bildschirm zu sehen ist, die richtigen Tastenanschläge ausführen, durch Systeme navigieren, Daten identifizieren und extrahieren und eine breite Palette von definierten Aktionen durchführen.
RPA tut dies schneller und beständiger als Menschen. Sie rationalisiert Arbeitsabläufe, wodurch einerseits ein Unternehmen profitabler, flexibler und reaktionsschneller werden kann. RPA kann die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter steigern. Denn diese können ihren Fokus stattdessen auf kreativere und herausforderndere Aufgaben lenken – in der Office Worker Survey 2022 von UiPath bestätigen das 58 Prozent der befragten Deutschen.
Entlastung und Zeitgewinn durch RPA
Doch es genügt nicht, einfach irgendein Automatisierungs-Tool einzuführen. Es muss ansprechend und leicht bedienbar sein. Globale Unternehmen wie Bilfinger Industrial Services haben die RPA bereits adaptiert. Dort lernen Mitarbeiter, die Automatisierungen anzuwenden. Diese können ähnlich einfach bedient werden wie Microsoft Excel.
Beim Gutschriftverfahren muss die Abteilung in der Regel Daten und Vertragsspezifikationen in das Kundensystem eingeben, um eine Lieferantenkreditrechnung oder Evaluated Receipt Settlement (ERS) zu erstellen. Bei der ERS handelt es sich um die automatische Abrechnung des Wareneingangs. Lieferantenrechnungen werden automatisch, das heißt ohne Eingang beim Lieferanten im System gebucht. Dieser manuelle Prozess kann die Mitarbeiter der Verwaltungsabteilung bis zu 15 Minuten pro Arbeitsauftrag kosten.
Obwohl Bilfinger die Daten, wie etwa die Maße der Gerüste, bereits digitalisiert verfügbar hatte, erlaubte das System des Kunden nicht, eine Schnittstelle zum Hochladen dieser Daten zu schaffen. Die Mitarbeiter der Abteilung verbrachten folglich fünf bis sechs Stunden pro Tag damit, digitale Daten manuell in das System des Kunden einzugeben.
Mittlerweile sind fünf Software-Roboter im Einsatz. Einige sind für spezifische Prozesse bei bestimmten Kunden zuständig, andere für allgemeine Aufgaben, die bei vielen Kunden ähnlich sind. So wurde beispielsweise ein Software-Roboter für Gerüstbrauprojekte entwickelt. Der Roboter verwaltet die Zeiterfassung und berechnet die für ein Gerüstbauprojekt aufgewendeten Stunden. Nachdem der Prozess mit einem Kunden standardisiert und automatisiert wurde, wird der virtuelle Assistent nun auch für andere Kundenprojekte eingesetzt.
Personal in Automatisierungsprozesse frühzeitig einbeziehen
Die Automatisierung versprach eine große zeitliche und mentale Entlastung für die Angestellten. Die Abteilung bearbeitet durchschnittlich 150 Arbeitsaufträge pro Woche. Mit Hilfe der RPA konnten bis zu 70 Prozent der Arbeitsstunden eingespart werden. Und das war nur ein Teil des Order-to-Cash-Prozesses, der für den Kunden erledigt werden musste.
Im Ergebnis stehen die Mitarbeiter der Projektverwaltung nun unter einer geringeren Arbeitsbelastung. Das hat nicht nur zu einer größeren Zufriedenheit geführt. Sie haben Zeit zurückgewonnen und konnten sich beruflich von der reinen Projektverwaltung hin zur Kontrolle von Prozessen und zur Förderung kontinuierlicher Verbesserungen entwickeln. Mitarbeiter, die früher Zeit hatten, nur einen Kunden zu betreuen, können jetzt zwei oder drei betreuen.
Das Personal von Anfang an in den Automatisierungsprozess einzubeziehen, ist der Schlüssel zu einer guten Akzeptanz seitens der Mitarbeiter: So wird allen ausreichend Raum zum Ausprobieren geboten. Unternehmen kann es durch eine bedachte und inklusive Einführung von RPA gelingen, die Zufriedenheit der Angestellten zu steigern. Diese sind dann weniger geneigt, sich auf dem Arbeitsmarkt umzusehen.