Dr. Johan Andrés Vélez-Henao, Erstautor der Studie, kommentiert: „Der Rohstoffbedarf der Armutsbekämpfung von sechs t pro Person und Jahr fällt klein aus, wenn man ihn mit dem Ressourcenverbrauch in wohlhabenden Ländern vergleicht. In Deutschland liegt er zum Beispiel bei durchschnittlich 72 und in den USA bei 85 t pro Person und Jahr. Eine geringe Umverteilung könnte also schon viel bewirken.“
Um den Ressourcenbedarf berechnen zu können, mussten die Forschenden zunächst die materiellen Voraussetzungen eines Lebens ohne Armut modellhaft bestimmen. Dafür orientierten sie sich an einer erweiterten Definition des Decent Living Standards, die Minimalvoraussetzungen eines Lebens oberhalb der Armutsgrenze festlegt.
Demnach ernährt sich eine Person, die knapp oberhalb der Armutsgrenze lebt, mit etwa 2.100 kcal pro Tag; sie verfügt über eine Wohnfläche von 15 m2 innerhalb eines Vier-Personen-Haushalts und ihre Mobilität umfasst 8.000 km pro Jahr; sie hat Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen sowie zu öffentlichen Dienstleistungen wie Sporthallen oder Verwaltungsgebäuden. Außerdem besitzt sie ein eigenes Mobiltelefon und teilt sich Laptop und Router mit den anderen drei Mitgliedern ihres Haushalts.
6 t pro Person und Jahr
Ausgehend von diesen Annahmen berechneten die Forschenden den Ressourcenaufwand, der zur Erhaltung der Minimalvoraussetzungen eines armutsbefreiten Lebens notwendig ist. Dieser Material-Fußabdruck (material footprint) beträgt im Mittel etwa 6 t pro Person und Jahr. Mit Abstand den größten Anteil daran haben die Bereiche Ernährung (circa 38 Prozent beziehungsweise 2,3 t pro Person und Jahr) und Mobilität (26 Prozent beziehungsweise 1,6 t pro Person und Jahr).
Die Forschenden führen den Einfluss der Ernährung auf die große Menge an Biomasse und Düngemitteln zurück, die für die Nahrungsproduktion nötig sind. Einen deutlich kleineren Anteil am Fußabdruck haben dagegen die Bereiche Wohnen, Hygiene, Bildung, Kommunikation, öffentliche Dienstleistungen und Kleidung. Schlüsselt man den Fußabdruck eines armutsbefreiten Lebens nach Rohstofftypen auf, so setzt er sich zusammen aus 34 Prozent nichtmetallischen Mineralien (wie Sand, Kies, Kalkstein und Ton), 28 Prozent fossilen Brennstoffen, 20 Prozent Biomasse (beispielsweise Holz) und 18 Prozent Metallerzen.
Lebensstil beeinflusst den Ressourcenbedarf erheblich
Für ihre Studie werteten die Forschenden zudem mehr als 6.000 verschiedene Szenarien aus, wie sich unterschiedliche Versorgungssituationen und Lebensstile auf den Rohstoffbedarf der Armutsbekämpfung auswirken. Sie zeigten so, dass sich der Material-Fußabdruck des Decent Living Standards von sechs auf 3 t pro Jahr halbieren lässt, wenn eine Person in einem größtenteils aus Holz gebauten Mehrfamilienhaus lebt, sich vegan ernährt und auf Kartoffeln als Grundnahrungsmittel zurückgreift, ihre private Automobil-Nutzung reduziert und kurze Strecken zu Fuß zurücklegt.
Auf der anderen Seite kann sich der Fußabdruck auf bis zu 14 t pro Jahr mehr als verdoppeln, wenn die Person in einem Hochhaus aus Beton lebt, sich von Fleisch und Reis ernährt und zur Fortbewegung ein Elektroauto nutzt.
Politische Implikationen
Aus der Studie lassen sich auch politische Konsequenzen für die globale Armutsbekämpfung sowie den Kampf gegen Klimawandel und Artensterben ziehen, bemerkt Prof. Dr. Stefan Pauliuk, Initiator und Ko-Autor der Studie: „Wir müssen unseren globalen Rohstoffverbrauch dringend senken, denn er stellt einen der wesentlichen Treiber für CO2-Emissionen und Wasserknappheit dar und ist für etwa 90 Prozent des Biodiversitätsverlusts auf der Welt verantwortlich. Unsere Studie zeigt aber, dass das nicht zu Lasten der Armen geschehen muss, wenn wir die Ressourcen besser verteilen.“
Konkrete politische Zielvorgaben für den Rohstoffverbrauch lassen sich aus der Studie allerdings nicht ableiten, schränkt Pauliuk ein: „Dafür müssen wir die regionalen Besonderheiten der Rohstoffnutzung sowie die zukünftigen Recyclingpotentiale der einzelnen Rohstoffe besser verstehen. Unsere Studie gibt aber erstmals eine grobe Vorstellung von der Größenordnung des Ressourcenbedarfs und zeigt, dass Armutsbekämpfung und ein umweltverträgliches, nachhaltiges Ressourcenmanagement Hand in Hand gehen können.“