Umfrage unter 142 deutschen Unternehmen Wie ist die aktuelle Lage im Wirtschaftsstandort Ukraine?

Der Wirtschaftsstandort könnte vor allem in der Zukunft wieder interessant für einige Unternehmen werden.

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30.07.2024

Trotz des anhaltenden Krieges wächst die ukrainische Wirtschaft, und deutsche Unternehmen sind vorsichtig optimistisch: eine neue Umfrage von KPMG und der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer zeigt, dass 42 Prozent der Befragten eine Verbesserung der Geschäftslage in den nächsten zwölf Monaten erwarten. Investitionen in Schlüsselbranchen wie Energie und Infrastruktur sowie die Nutzung von Förderprogrammen bieten erhebliches Potenzial. Doch Herausforderungen wie Sicherheitsrisiken und Korruption bleiben bestehen.

Der Wirtschaftsstandort Ukraine wächst trotz des russischen Angriffskriegs nach Angaben des Internationalen Währungsfonds: Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes im ersten Kriegsjahr 2022 um 29 Prozent schrumpfte, erzielt die Ukraine im Jahr 2023 voraussichtlich eine Wachstumsrate von 3,2 Prozent.

Für 2024 wird ein weiteres Wachstum von 6,5 Prozent prognostiziert. Wesentlichen Anteil hieran hat die Kriegswirtschaft, das heißt die Produktion von Waffen und Munition, sowie die Aufrechterhaltung beziehungsweise der Wiederaufbau der von Russland zerstörten Infrastruktur.

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen dies auf deutsche Unternehmen hat, zeigt der erstmals erstellte „German-Ukrainian Business Outloo“, eine gemeinsame Geschäftsklima-Umfrage von KPMG in Deutschland und der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer (AHK Ukraine). Für sie wurden 142 Unternehmen mit bereits bestehenden oder geplanten Geschäftsaktivitäten in der Ukraine befragt.

Geschäftserwartungen sind vorsichtig optimistisch

Das aktuelle Geschäftsklima schätzen deutsche Unternehmen für die Ukraine gemischt ein. Danach bewerten 24 Prozent der Befragten die aktuelle Geschäftssituation als gut, aber ebenso viele als schlecht; 52 Prozent als weder gut noch schlecht.

42 Prozent glauben jedoch, dass sich die Geschäftslage in den nächsten zwölf Monaten verbessern wird. Nur eines von zehn Unternehmen rechnet mit einer Verschlechterung. 48 Prozent rechnen nicht mit wesentlichen Veränderungen.

„Deutsche Investitionen können einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der ukrainischen Wirtschaft leisten“, sagt Nicolai Kiskalt, Partner und Leiter der Country Practice Central Eastern Europe (CEE) bei KPMG in Deutschland. „Als große Industrienation bietet die Ukraine deutschen Unternehmen dafür enormes Potenzial, insbesondere in den Bereichen Produktion, Energie, Pharma sowie IT und Outsourcing.“

Chancen in der Ukraine: Potenzial für Wachstum

Nahezu jedes zweite deutsche Unternehmen (48 Prozent) bewertet den Zugang zum ukrainischen Markt als Geschäftschance. „Die Ukraine ist eines der großen Länder Europas, hat qualifizierte Arbeitskräfte, vor allem die technisch-naturwissenschaftliche Ausbildung war immer gut. Dazu kommen fruchtbare Böden und eine logistisch günstige Lage für Europa. Das Land ist ein attraktiver Standort für Nearshoring“, erklärt Reiner Perau, Geschäftsführer der AHK Ukraine. 39 Prozent der Unternehmen schätzen die qualifizierten Arbeitskräfte als Geschäftschance.

„Die Förderprogramme der EU und Deutschland sowie weiterer Länder und Institutionen zum Wiederaufbau der Ukraine eröffnen gerade auch deutschen Unternehmen Geschäftschancen, die in den hierfür relevanten Branchen tätig sind,“ sagt Andreas Glunz, Bereichsvorstand International Business bei der KPMG in Deutschland. „Schlüsselsektoren für private Investoren sind die Bereiche Energie und öffentliche Infrastruktur im weitesten Sinne. Bedarf besteht aber auch in diversen Industrien und im Agrarsektor.“ 36 Prozent der befragten Unternehmen erkennen bereits das große Potenzial dieser Förderprogramme.

Mehr als jedes vierte Unternehmen (28 Prozent) benennt zudem den hohen Digitalisierungsgrad der Ukraine inklusive einer exzellent ausgebauten digitalen Infrastruktur und der großen Anzahl von IT-Spezialisten im Land als Geschäftschance.

Politische und wirtschaftliche Stabilität als Grundvoraussetzungen

Politische und wirtschaftliche Stabilität sind für mehr als die Hälfte der befragten deutschen Unternehmen (61 Prozent beziehungsweise 51 Prozent) die wesentlichen Voraussetzungen für einen Ausbau ihrer Aktivitäten in der Ukraine. 28 Prozent nennen die Verfügbarkeit öffentlicher Fördermittel und Garantien als weiteren wichtigen Aspekt.

Zugang zur lokalen Wirtschaft und zu Marktinformationen sind entscheidend

Als wichtigsten Erfolgsfaktor benennen 59 Prozent der befragten deutschen Unternehmen, die ihr Geschäft in der Ukraine auf- beziehungsweise ausbauen wollen, starke Verbindungen zu lokalen Unternehmen und Netzwerken. 54 Prozent nennen den Zugang zu umfassenden und zugleich verlässlichen Marktinformationen über die Ukraine sowie 37 Prozent sichere und zugleich vereinfachte Geschäftsreisen in die Ukraine.

„Trotz des andauernden Krieges ist die Befragung und das darin bekundete Interesse deutscher Unternehmen für Investitionen in die Ukraine ein gutes Signal. Studien wie diese sind wichtig, um das Wissen über den Wirtschaftsstandort Ukraine zu verbessern und die wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Länder zu stärken. Wir bei KPMG in der Ukraine sind uns bewusst, wie wichtig die Anstrengungen zum Wiederaufbau und zur Unterstützung der ukrainischen Wirtschaft sind, und wir arbeiten eng mit unseren Kollegen in Deutschland und der AHK Ukraine zusammen“, sagt Andriy Tsymbal, Managing Partner bei KPMG in der Ukraine.

Die größten Herausforderungen in der Ukraine

Der anhaltende Krieg in der Ukraine bleibt für langfristige, nachhaltige Investitionen die größte Herausforderung für mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent). Besonders im Fokus stehen die Gefahren für die Sicherheit der eigenen Mitarbeitenden (38 Prozent). Fast ein Drittel der Befragten (31 Prozent) bewerten Korruption als das drittgrößte Hindernis.

Auch die Verfügbarkeit von Arbeitskräften bleibt während des Kriegs eine große Herausforderung (24 Prozent). Das nach dem Ende dieser Befragung beschlossene und bereits in Kraft getretene neue Mobilisierungsgesetz wird die Verfügbarkeit von Arbeitskräften noch einmal weiter limitieren. „Je mehr Leute mobilisiert werden, umso weniger werden für den Wiederaufbau zur Verfügung stehen“, sagt Perau.

Förderprogramme: Noch nicht im Fokus der Unternehmen

Nach den USA mit 70,4 Milliarden Euro bereitgestellter Mittel für humanitäre, finanzielle und militärische Hilfe, ist Deutschland mit 23,1 Milliarden Euro das mit Abstand zweitgrößte Geberland der Ukraine, weit vor Großbritannien (15,9 Milliarden Euro), Dänemark (8,8 Milliarden Euro), Japan (7,8 Milliarden Euro) und Frankreich mit 6,8 Milliarden Euro.

Die umfangreichen Fördermittel und Garantien aus Deutschland und der EU spielen eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für neue Investitionen in der Ukraine. Bisher hat jedoch nur ein kleiner Teil der Befragten (10 Prozent) diese Programme genutzt. Ein Viertel (26 Prozent) plant, dies in Zukunft zu nutzen. Jedes fünfte Unternehmen (20 Prozent) hat allerdings noch nie von den Programmen gehört und 35 Prozent glauben, dass die Programme für ihre Zwecke ungeeignet sind.

„Die relativ geringe Nutzung bzw. Kenntnis über die bestehenden Förderprogramme unterstreicht die Notwendigkeit umfangreicherer Kommunikation über die bestehenden Fördermöglichkeiten sowie gegebenenfalls deren Adjustierung, damit diese von einer größeren Gruppe an Unternehmen genutzt werden,“ sagt Glunz.

Zur Geschäftsklimaumfrage

KPMG und die AHK Ukraine haben für die Geschäftsklimaumfrage „German-Ukrainian Business Outlook 2024“ 142 Unternehmen mit aktuellen oder künftigen Geschäftsaktivitäten in der Ukraine befragt. Der Durchführungszeitraum lag zwischen dem 23. April und dem 12. Mai 2024. Die Fragen konzentrierten sich auf den wirtschaftlichen Ausblick der deutschen Unternehmen in der Ukraine sowie auf deren Herausforderungen und Geschäftschancen.

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