Konjunkturelle Entwicklung Wie ist die wirtschaftliche Lage Deutschlands?

Die deutsche Wirtschaft stabilisiert sich zunehmend. „Smooth Sailing“ ist es wegen der weltpolitischen Lage aber noch nicht.

Bild: iStock, gopixa
10.06.2024

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat seinen Lagebericht zur Wirtschaft in Deutschland im Mai 2024 veröffentlicht. Er zeigt, dass sich die Konjunktur zu Jahresbeginn leicht belebt hat, trotz einiger Aussetzer auch in der Industrie. Dennoch bleiben die Risiken angesichts der geopolitischen Unsicherheiten nach wie vor hoch.

Deutschland hat im ersten Quartal einen realen BIP-Zuwachs von 0,2 Prozent verzeichnet. Wachstumsimpulse gingen dabei vor allem von den Bauinvestitionen (witterungsbedingt) sowie dem Außenbeitrag (Ausfuhren minus Einfuhren) aus. Ausrüstungsinvestitionen und privater Konsum dürften sich dagegen noch schwach entwickelt haben. Im Zuge geringerer Inflationsraten, erwarteter geldpolitischer Lockerungen, steigender Löhne und Einkommen, einem stabilen Arbeitsmarkt und zunehmender Impulse von der Außenwirtschaft dürfte sich die konjunkturelle Erholung aber allmählich festigen und an Breite und Dynamik gewinnen.

In der Industrie zeigte sich dabei in einzelnen Wirtschaftszweigen eine unterschiedliche Entwicklung: Während die Produktion in den Bereichen Kfz / Kfz-Teile (+0,6 Prozent), elektrische Ausrüstungen (+0,6 Prozent) sowie Metallerzeugnisse (+0,3 Prozent) zulegte, nahm sie im Maschinenbau (-1 Prozent) und bei pharmazeutischen Erzeugnissen (-0,3 Prozent) ab. Bei den besonders energieintensiven Industriezweigen blieb die Herstellung insgesamt unverändert, nachdem im Januar und Februar deutliche Zuwächse von 4,3 Prozent beziehungsweise 4,6 Prozent zu beobachten gewesen waren. Auch hier verlief die Entwicklung im Einzelnen differenziert: Einem Zuwachs bei chemischen Erzeugnissen (+2 Prozent) standen Rückgänge bei Kokerei und Mineralölverarbeitung (-4,5 Prozent), Glas, Glaswaren und Keramik (-1,5 Prozent), Metallerzeugung und Bearbeitung (-1,3 Prozent) sowie Papier und Pappe (-0,4 Prozent) gegenüber.

Im aussagekräftigeren Quartalsvergleich ergaben sich in der Industrie und auch im produzierenden Gewerbe insgesamt – trotz der jüngsten Rücksetzer – spürbare Zuwächse um 0,7 Prozent beziehungsweise 1 Prozent. Im Baugewerbe kam es im ersten Quartal gegenüber dem Vorquartal sogar zu einem Anstieg um 3,9 Prozent, wobei die milde Witterung eine Rolle gespielt haben dürfte.

Weniger Aufträge außerhalb Europas

Die Auftragseingänge sind im März gegenüber dem Vormonat preis-, kalender- und saisonbereinigt leicht um 0,4 Prozent gesunken. Bereits im Februar war es zu einem Rückgang gekommen (revidiert: -0,8 Prozent). Während 3,6 Prozent weniger Bestellungen aus dem Inland eingingen, nahmen die Aufträge aus dem Ausland um zwei Prozent zu, wofür eine deutlich gesteigerte Nachfrage aus dem Euro-Raum um 10,6 Prozent verantwortlich war. Aus dem Nicht-Euroraum war hingegen ein Orderminus um 2,9 Prozent zu verzeichnen.

Die Nachfrageentwicklung in den einzelnen Wirtschaftszweigen des verarbeitenden Gewerbes war uneinheitlich. Die stärksten Rückgänge waren bei Herstellern von Metallerzeugnissen (-4,5 Prozent) sowie im Bereich der Metallerzeugung (-3,5 Prozent) und sonstigen Fahrzeuge (-2,3 Prozent) zu verzeichnen. Deutliche Steigerungsraten konnten demgegenüber Produzenten von Bekleidung (+7 Prozent) und elektrischer Ausrüstung (+5,9 Prozent) verbuchen. Auch die gewichtige Kfz-Industrie vermeldet eine Zunahme der Bestellungen (+1,1 Prozent).

Die Entwicklung der Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe wurde in den vergangenen Monaten immer wieder von Großaufträgen geprägt und unterlag starken Schwankungen, ist im Tend aber noch abwärts gerichtet. Die fortgesetzte Aufhellung des ifo-Geschäftsklimas und des Einkaufsmanager-Indexes legen eine Erholung der Industrieproduktion im weiteren Jahresverlauf nahe.

Schwacher Start am Arbeitsmarkt

Auf dem Arbeitsmarkt kommt die übliche Frühjahrsbelebung im Zuge der schwachen Konjunktur noch nicht in Fahrt. Der Aufwärtstrend bei der Arbeitslosigkeit setzte sich mit einem Anstieg um saisonbereinigt 10.000 Personen fort. Gleichzeitig legte die Erwerbstätigkeit im März weiter zu (saisonbereinigt 8.000 Personen), wenn auch mit geringerer Dynamik. Einzelne Frühindikatoren haben sich zuletzt etwas eingetrübt. Mit der erwarteten wirtschaftlichen Erholung und der voranschreitenden Beschäftigungsaufnahme Geflüchteter aus der Ukraine dürfte sich die Lage am Arbeitsmarkt im späteren Jahresverlauf wiederbeleben.

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen stieg nach endgültigen Ergebnissen im Februar um 10 Prozent gegenüber dem Vormonat (31,1 Prozent gegenüber Vorjahresmonat) auf 1.785. Dies ist die höchste Zuwachsrate auf Monatsbasis seit März 2022. Der IWH-Insolvenztrend weist für April 2024 mit 1.367 Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften einen Höchstwert seit Beginn der Erfassung im Januar 2016 aus. Gleichzeitig erwartet das IWH ab Mai beziehungsweise spätestens ab Juni eine Entspannung der Insolvenzzahlen.

Stimmungsaufhellung im Einzelhandel

Die preisbereinigten Umsätze im Einzelhandel (ohne Kfz) sind im März gegenüber dem Vormonat um 1,8 Prozent gestiegen, nachdem sie in den vorangegangen vier Monaten rückläufig waren. Im Vorjahresvergleich meldete der Einzelhandel ein reales Umsatzplus von 0,3 Prozent, nach einem Rückgang im Februar um 2,3 Prozent.

Auch der Handel mit Lebensmitteln weist im Vormonats- sowie Jahresvergleich steigende Umsätze auf (+3,6 Prozent beziehungsweise +3,9 Prozent gegenüber Vorjahr). Der Umsatz im Internet- und Versandhandel erhöhte sich im März um 3,3 Prozent (-1,9 Prozent gegenüber Vorjahr). Umsatzrückgänge sind im Vormonatsvergleich beim Handel mit IKT- und Datenverarbeitungsgeräten sowie Möbeln und Einrichtungsgegenständen festzustellen.

Weniger Neuzulassungen bei Privat-Pkw

Neuzulassungen von Pkw insgesamt sind im April im Vormonatsvergleich um 1,3 Prozent gestiegen (gegenüber Vorjahresmonat: +19,8 Prozent). Im aussagekräftigeren Zwei-Monats-Vergleich gingen die Zulassungen hingegen um 3,9 Prozent zurück. Bei den Pkw-Neuzulassungen durch Privatpersonen ergab sich im April im Vormonatsvergleich eine Zunahme um 3,1 Prozent. In der Zwei-Monats-Betrachtung ist – nach hohen Schwankungen in den Vormonaten – ein Rückgang von 7,5 Prozent zu konstatieren. Pkw-Neuzulassungen von Unternehmen und Selbstständigen legten im April um 0,4 Prozent zu (März: +2,4 Prozent).

Inflation auf niedrigem Niveau

Die Inflationsrate lag im April unverändert bei 2,2 Prozent. Im Januar und Februar hatte sie noch 2,9 Prozent beziehungsweise 2,5 Prozent betragen. Die Inflation zeigt damit seit März 2023 einen rückläufigen Trend.

Die Kernrate (ohne Energie und Nahrung) verringerte sich auf drei Prozent, nach 3,3 Prozent im März. Die Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich im April im Vergleich zum Vorjahresmonat um 0,5 Prozent, nachdem sie im März erstmals seit Februar 2015 gesunken waren. Die Energiepreise hingegen sind gegenüber dem Vorjahresmonat weiter gesunken, zuletzt um 1,2 Prozent. Im Bereich der Dienstleistungen war der Preisauftrieb weiterhin mit +3,4 Prozent überdurchschnittlich.

Auf den vorgelagerten Wirtschaftsstufen ist eine Verlangsamung der Preisrückgänge zu beobachten. Die Erzeugerpreise sind im März um 2,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gesunken. Im Februar hatte die Rate bei -4,1 Prozent gelegen. Ausschlaggebend waren die Preisrückgänge bei Energie. Im Vergleich zum Vormonat nahmen die Erzeugerpreise im März um 0,2 Prozent zu. Die Einfuhrpreise lagen im März um 3,6 Prozent unter dem Vorjahresmonat (+0,4 Prozent gegenüber Vormonat). Die Verkaufspreise im Großhandel sind im März im Vorjahresvergleich um drei Prozent gefallen. Gegenüber dem Vormonat stiegen sie um 0,2 Prozent.

Erdgas und 49-Euro-Ticket

An den Spotmärkten entwickelten sich zuletzt die Preise für Erdgas wieder rückläufig. Aktuell liegt der TTF Base Load mit rund 30 Euro/MWh etwa 16 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres. Gegenüber dem Vormonat ist aber eine Erhöhung von knapp zehn Prozent zu verzeichnen. Die Markterwartungen deuten darauf hin, dass sich die Erdgaspreise in den kommenden Quartalen um 30 Euro/MWh bewegen werden.

In den kommenden Monaten könnte es – zumindest vorübergehend – wieder zu leicht höheren Inflationsraten kommen: Zum 1. April ist die Umsatzsteuersenkung auf Gas und Fernwärme ausgelaufen, und ab 1. Mai entfallen die preissenkenden Effekte des 49-Euro-Tickets, das ein Jahr zuvor eingeführt wurde (Basiseffekt). Auch sind die Preise für Dienstleistungen persistenter angesichts deutlicher Lohnsteigerungen, die aufgrund des höheren Arbeitskostenanteils hier stärker zu Buche schlagen.

Alles in allem dürften aber inflationsdämpfende Faktoren wie fortgesetzte Preisrückgänge auf den vorgelagerten Wirtschaftsstufen infolge gesunkener Energiebörsenpreise, die Wirkung der geldpolitischen Straffung der EZB, angemessene Tarifabschlüsse sowie eine Normalisierung der Gewinnmargen der Unternehmen im weiteren Jahresverlauf die Oberhand behalten.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel