Energiebeschaffung & -erzeugung „Wir brauchen ein Preisschild für Flexibilität“

30.04.2014

Dr.-Ing. René Umlauft, CEO MAN Diesel & Turbo und Chairman VDMA Power Systems, über den Status quo und die Zukunft des Kraftwerksmarktes.

Energy 2.0: Herr Dr. Umlauft, wie beurteilen Sie die aktuelle Situation Ihrer Kunden angesichts der neuen politischen Vorgaben?

Dr. René Umlauft: Das kommt auf das Kundensegment an. Viele Stadtwerke und große Energieversorger befinden sich aufgrund der niedrigen Großhandels­preise für Strom nach wie vor in einer herausfordernden Situation. Dazu kommt der Trend zu Captive Power – mehr und mehr Unternehmen haben in den vergangenen Jahren ihre Stromversorgung durch eigene Kraftwerke ergänzt. Auch das zehrt an der Residuallast.

Aber dafür haben Sie ja die Industriekunden, die bei den Energieversorgern abgesprungen sind und Ihnen Umsätze bescheren.

Auch dieses Geschäft ist durch die im EEG 2.0 geplante Beteiligung der Eigenstromerzeugung an der EEG-Umlage nicht einfacher geworden. Während die energieintensive Industrie von der Umlage nicht betroffen ist, und die produzierende Industrie mit den geplanten 15 Prozent Beteiligung leben kann, wird die Lage für die Eigenstromerzeugung bei Handel und Gewerbe kritisch. Hier sind bislang 50 Prozent geplant. Das ist zu viel. Wenn das so bleibt, ist die Eigenstrom­erzeugung in diesem Segment gefährdet. Wir brauchen diese Anlagen aber für eine dezentrale Energieversorgung und für den KWK-Ausbau. Das sind hocheffiziente Kraftwerke! Ein Beispiel: Wir bauen ein BHKW für den Volkswagen-Standort Braunschweig, bei dem unser Gasmotor 20V35/44G zum Einsatz kommt. Die Anlage erreicht einen Netto-Gesamtwirkungsgrad von 84,3 Prozent.

Was erwarten Sie von der Neuformulierung des KWK-Gesetzes, die nach dem EEG 2.0 ansteht?

KWK bietet dank ihres hohen Systemwirkungsgrades einen Effizienzvorteil, den Deutschland auch in Zukunft nutzen muss. Die EU verpflichtet uns, jedes Jahr um 1,5 Prozent effizienter zu werden. Ohne den Ausbau der KWK wird das nicht gehen. Falls es bei der hohen Belastung für Handel und Gewerbe bleibt, sollte das KWK-Gesetz darauf reagieren und sicherstellen, dass der Ausbau auch hier weitergehen kann.

Wie ist Ihre Haltung zum Energiemarkt-Design, das ja auch neu geregelt werden soll?

Wir brauchen ein anderes Marktdesign, weil Gaskraftwerke wieder attraktiver werden müssen. Es kann nicht sein, dass die umweltfreundlichsten und effizientesten Anlagen vom Netz gehen. Eine „langsame“ und eine „schnelle“ Kilowattstunde müssen sich am Strommarkt endlich preislich unterscheiden.

Was meinen Sie damit?

Wir setzen heute bei der erneuerbaren Erzeugung eine Kapazität von 84 GW ein, im Jahr 2035 werden das 130 GW sein. Ein Gasmotor fährt innerhalb von drei Minuten von Null auf Volllast und arbeitet auch bei halber Auslastung noch effizient. Ein Braunkohlemeiler dagegen braucht allein zum Anfahren einen Tag. Der Systembeitrag ist also ein anderer. Diese Qualitätsunterschiede müssen sich auch preisbildend auswirken. Simpel formuliert: Wir brauchen ein Preisschild für Flexibilität.

Wenn flexible Gaskraftwerke heute nicht wirtschaftlich sind, hängt das aber doch auch mit dem Gaspreis zusammen. Wie sehen Sie hier die Entwicklung?

Da müssen wir drei Regionen auf dem Weltmarkt unterscheiden: in Amerika ist der Gaspreis am niedrigsten, in Asien ist er relativ hoch, und bei uns liegt er im Mittelfeld. Deswegen werden heute so viele LNG-Terminals und LNG-Tanker gebaut, um verflüssigtes Gas dorthin zu bringen, wo es teurer ist. Deshalb rechne ich damit, dass die Gaspreise eher fallen.

So weit, dass Gas bei uns zur Stromerzeugung attraktiver als Kohle wird?

Mit abgeschriebenen Kohlekraftwerken und günstiger Kohle lässt sich preiswert Strom erzeugen, vor allem wenn der Preis der CO2-Zertifikate im Keller ist. Das Einzige was hier helfen könnte ist eine Reform des European Trading Systems. Aber das sind alles politische Eingriffe.

Und die technische Seite? Ist bei Motoren der Energieträger Gas gefragt?

Der Anteil der Dual-Fuel- und Gasmoto­ren ist jahrelang stetig gewachsen, sowohl in Kraftwerken als auch bei Schiffen. Das hatte zwei Ursachen: Einmal die strikteren Abgasnormen, die sich mit Gas leichter einhalten lassen, und andererseits der Gaspreis. Für LNG-Tanker war es immer schon sinnvoll, einen Gasmotor zum Antrieb zu nutzen. Aber aufgrund der jüngst verabschiedeten strengeren Abgasnormen der International Maritime Organization wird Gas auch für andere Schiffstypen interessant. Wir statten derzeit die ersten Container-Schiffe aus.

Wie sieht die Entwicklung bei den Kraftwerksmotoren aus?

Auch hier erleben wir einen weltweiten Technologiewechsel. 2012 war der Markt für Dual-Fuel- und Gasmotorenkraftwerke erstmals größer als der für Dieselkraftwerke. Auch diese Entwicklung ist neben Nachhaltigkeitsgesichtspunkten von der gestiegenen Verfügbarkeit des Rohstoffs Erdgas getrieben. Stichwort: „Golden Age of Gas“. Gas wird Diesel ablösen, wenn auch nicht ganz – es wird immer Dieselanwendungen geben – und nicht sofort. Der Markt für Gasmotorenkraftwerke wächst mit der Versorgungs-Infrastruktur.

Ihr Unternehmen engagiert sich auch bei Power-to-Gas. Erste Anlagen laufen, sind weitere rasche Fortschritte zu erwarten?

Technisch ist Power-to-Gas ausgereift. Wir haben gemeinsam mit Audi die mit 6 MW deutschlandweit größte Pilotanlage in Werlte gebaut und beschäftigen uns bereits seit vielen Jahren mit dem Thema. Ehe der Schritt hin zu einer Anwendung im industriellen Maßstab genommen werden kann, muss allerdings die Rolle, die Energiespeicher im Zuge der Energiewende spielen sollen, grundsätzlich neu gedacht werden.

Wie meinen Sie das?

Das EEG behandelt Energiespeicher als ganz normale Letztverbraucher, das heißt für gespeicherten Strom fallen grundsätzlich EEG-Umlage, Netzentgelte und so weiter an. Zwar gibt es punktuelle Befreiungen, über Sonderregelungen, aber ein umfassender regulatorischer und marktrechtlicher Rahmen fehlt bisher. Ohne stabile Rahmenbedingungen lassen sich aber keine Investitionen anstoßen. Wir müssen uns Klarheit verschaffen, wofür wir Speicher künftig benötigen, wie wir sie nutzen wollen und welche Technologien wir dazu einsetzen.

Bei welchen weiteren Technologien rechnen Sie mit Wachstum?

Das ist ein ganzes Bündel, aber hervorheben möchte ich die Solarthermie. Es gibt viele Regionen in der Welt mit Entwicklungspotenzial, etwa Saudi-Arabien, Indien, Chile oder Südafrika. Photovoltaik ist zwar günstiger, aber die thermischen Anlagen sind aufgrund ihrer Speicherfähigkeit attraktiv.

Und wie sieht es bei konventionellen Kraftwerken aus?

Hier wird es um die effiziente Verzahnung von thermischer und erneuerbarer Erzeugung gehen. Etwa Hybridkraftwerke, die erneuerbare Energien mit fossilen Energieträgern kombinieren. Wir bauen solche Anlagen bisher vor allem dort, wo es keine Netze gibt, also auf Inseln oder in Teilen Afrikas, Indiens oder Australiens. Aber auch in den entwickelten Ländern wird die Vernetzung von erneuerbaren Energien mit Speichern und dezentralen Backups zunehmen.

Sie glauben also daran, dass es mit der Energiewende so weitergeht?

Das ist längst keine Glaubensfrage mehr. Der Ausbau der Erneuerbaren wird wie geplant weitergehen. Die Herausforderung liegt darin, die Energiewende stärker an den Zielen einer sicheren und umweltfreundlichen Versorgung zu bezahlbaren Preisen auszurichten. Investitionen in Energieeffizienz, flexible und emissionsarme Erzeugung, intelligente Netze und Speichertechnologien müssen sich lohnen.

Das Interview führte Dr. Karlhorst Klotz, Energy 2.0.

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