Energieerzeugung „Wir reden zu wenig über Gas“

03.03.2014

Was sagt die Energiebranche zur Energiepolitik der Großen Koalition? Ihre Einschätzung gab uns Hildegard Müller, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.

Energy 2.0: Frau Müller, die Branche verspricht sich vom Kapazitätsmarkt eine Unterstützung ihrer bisherigen Position. Sollte man nicht zunächst die Erneuerbaren besser in den Markt integrieren?

Hildegard Müller: Wir stehen vor einem Rollentausch zwischen den konventionellen und erneuerbaren Energien. Dazu müssen beide systemisch verschränkt werden. Der starke Stromfluss aus Deutschland in andere Länder bedeutet nicht, dass es überall und zu jedem Zeitpunkt einen Überschuss an Strom gibt. Wie wir derzeit operieren ist für konventionelle Kraftwerke dramatisch. Viele Investitionen, die im Vertrauen auf die Energiewende getätigt worden sind, münden derzeit in einer ökonomischen Schieflage. 41 Kraftwerke wurden letztes Jahr bei der Bundesnetzagentur zur Stilllegung angemeldet. Betroffen sind vor allem effiziente und moderne konventionelle Kraftwerke, die ein idealer Partner für die Erneuerbaren wären. Die Politik wird sich Gedanken über die Frage machen müssen, ob wir an jedem Ort zu jeder Zeit ausreichend gesicherte Leistung zur Verfügung haben.

Müssen wir nicht gerade die dezentrale Energieversorgung stärken?

Wenn ich sehe, dass wir bereits 85 Prozent der Windenergie in der Direktvermarktung haben, glaube ich, die Erneuerbaren können schrittweise erfolgreich in den Markt integriert werden. Dies macht das System effizienter und bringt Strom-Angebot und Strom-Nachfrage stärker in Einklang. Wenn hier auch von Seiten der Politik ein bisschen Druck entsteht, nicht mehr unter dem Motto „produce and forget“ zu arbeiten, sondern zunehmend „need and get“, wird auch wieder der notwendige Innovationsgeist bei den Erneuerbaren in Gang kommen. Wir reden auch über andere grundlastfähige Erneuerbare wie Biogas, die dezentral sind.

Reden wir insgesamt nicht zu viel über Strom und zu wenig über Gas?

Wir reden zu wenig über einzelne CO2-Vermeidungspotenziale und in der Folge zu wenig über Gas. Der Fokus auf Strom ist wichtig, aber in vielen Bereichen heben wir die CO2-Potenziale nicht, etwa bei der energetischen Gebäude­sanierung. Umfragen zeigen, dass Erdgas die bevorzugte Energie im Heizungsmarkt ist. Über 46,5 Prozent derjenigen, die neu bauen, bauen sich Erdgasheizungen ein. Das sind tolle Potenziale für Gas.

Bei der Stromerzeugung ist Gas auf dem absteigenden Ast, während Kohle dazugewinnt.

Wir müssen über verschiedene Ursachen reden. Gerade Kraftwerke, die noch nicht abgeschrieben sind, haben per se schlechtere Bedingungen. Wir müssen aber die dramatische Gaspreisentwicklung mit einbeziehen und auch, dass wir durch die Shale-Gas-Entwicklung in den USA bei uns Preiseffekte haben. Wir müssen außerdem das Thema Bezahlbarkeit im Blick behalten. Wir sollten weniger die Diskussion Kohle versus Gas im Strommarkt führen, denn wir können nicht parallel aus der Kohle- und der Kernenergie aussteigen. Wir sollten die Potenziale von Gas in anderen Bereichen heben und müssen uns die Frage stellen, wie wir moderne und effiziente Kraftwerke anreizen.

Beim Thema Fracking gibt die EU den Ländern freie Hand. Glauben Sie, dass Fracking-Befürworter einen neuen Anlauf in Deutschland wagen?

Die Diskussion hatte ich in genau dieser Form beim Thema CCS schon einmal. Da sich der BDEW auch um die Wasserwirtschaft kümmert, ist uns wichtig, die Qualität des Trinkwassers nicht zu gefährden. Auf der anderen Seite darf nicht die Möglichkeit ausgeschlossen werden, die Fracking-Potenziale in Deutschland zu heben. Mir wäre wichtig, die Wissenschaft mehr sprechen zu lassen.

Das Gespräch führte Dr. Karlhorst Klotz, Energy 2.0. 
Video: http://goo.gl/HgA2ZU

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