Interview Raphael Görner, ABB „Automatisierung braucht es definitiv!“

ABB AG

Bild: Luca Siermann
06.04.2018

Ordnung in den Datendschungel bringen – das ist eine der Herausforderungen der Digitalisierung der Energiebranche. Wie die Ability-Plattform hier helfen kann und was das Tool sonst noch schafft, hat Energy 4.0 von Raphael Görner, Prokurist und Geschäftsbereichsleiter Umspannwerke und Netzinfrastruktur bei ABB, erfahren.

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Das gesamte Energieversorgungssystem wandelt sich: mehr volatile Stromerzeuger und Prosumer, die einspeisen, aber nicht immer dort produzieren, wo der Strom auch gebraucht wird. Netze müssen daher immer flexibler und intelligenter werden. ABB hat hier eine Plattform-Lösung auf den Markt gebracht, die Licht ins Dunkle bringt. Was genau schafft Ihre Lösung?

Sie sprechen dabei von der ABB Ability Plattform, hier bündeln wir über alle Branchen hinweg unser digitales Portfolio, das aus unserem Branchenwissen und der digitalen Expertise hervorgegangen ist. Damit können wichtige Erkenntnisse zum konkreten Systemzustand gewonnen und die Planung und Steuerung des Echtzeitbetriebs optimiert werden. Die Ergebnisse können in die Steuerungssysteme eingespeist werden, um wichtige Kennzahlen wie Verfügbarkeit, Schnelligkeit und Rendite zu verbessern. Genau diese Aspekte bieten wir auch für unsere Kunden im Bereich der Stromwirtschaft an.

Wie definieren Sie die Ability-Plattform?

Die ABB Ability Plattform bietet, basierend auf Microsoft Azure, mehr als 210 digitale, cloudbasierte Lösungen für alle Bereiche der Wertschöpfungskette an – für die Planung, den Bau, den Betrieb und die Instandhaltung von Produkten und Systemen. Ein Kunde kann heute schon mit unserer Plattform ein verbessertes Design seines Stromnetzes planen, den Bau und die Installation aufgrund digitaler Inbetriebnahme-Prozesse verkürzen, es durch den Einsatz moderner Leitsysteme effizienter betreiben und mit Hilfe unserer Asset-Management-Lösungen kostenoptimiert instand halten.

Digitale Lösungen schaffen es also, Effizienz ins Netz zu bekommen. Hier ist Automatisierung gefragt oder?

Automatisierung braucht es definitiv um den Prozess und damit die resultierende Effizienz so gut wie möglich zu managen. Um die Jahrtausendwende gab‘ es noch den Begriff der Kupferplatte für unsere Stromnetze, heute gilt es aufgrund der zunehmenden Dezentralität und Volatilität die vorhandenen Ressourcen so genau wie möglich einzusetzen, nicht genutzte Reserven zu minimieren und zusätzliche Flexibilitäten zu erschließen. Wie in jedem guten Regelprozess braucht es daher immer mehr Input via Sensorik, wie nicht konventionelle Stromwandler, als auch die Möglichkeit den Output in sinnvolle Handlungen umzusetzen, beispielsweise leistungselektronische Betriebsmittel wie Statcom-Anlagen.

Sind die Netzbetreiber bereits soweit sich dem Wandel zu stellen, oder herrscht hier noch Aufklärungsbedarf?

Auf Geschäftsführungsebene definitiv, die meisten Netzbetreiber haben mittlerweile eine Strategie für die Digitalisierung über alle Prozessebenen hinweg, vom Vertrieb bis eben hin zum Netzbetrieb. Aber natürlich braucht solch‘ ein digitaler Wandel im Bereich kritischer Infrastrukturen wie dem Stromnetz natürlich auch viel Zeit. Die Anforderungen an eingesetzte Betriebsmittel sind über Jahrzehnte gewachsen, diese kann man nicht einfach über Nacht über den Haufen werfen, hier braucht es eine enge Verzahnung zwischen Industrie und Netzbetreiber um neue Technologien strukturiert zu testen, anzupassen und erst dann zu implementieren. Ein gutes Beispiel ist der Kommunikationsstandard IEC 61850 welcher seit mehr als 10 Jahren entwickelt wird und nun beginnt sich auch in Deutschland, nach ersten Pilotinstallationen, durchzusetzen.

Wo muss noch die Intelligenz ins Netz gebracht werden?

Genau wie wir heute im Straßenverkehr über autonomes Fahren reden, müssen wir auch in unseren Stromnetzen über lokale Intelligenz und Steuerung reden. Dies fängt in jedem Haushalt an und durch die Kombination aus Photovoltaik-Anlage, Wärmepumpe, Heim- und Fahrzeugbatterie und einem intelligenten Steuerungssystem wird jeder in Zukunft die Möglichkeit haben ein Smart Home oder auch Prosumer zu werden. Mit der zu erwartenden Dynamik des Elektromobilitätszuwachses ist dies aber auch dringend notwendig, denn ohne intelligentes Energiemanagement wären die Ortsnetzstationen in unseren Straßenzügen mit den resultierenden Strombedarfsspitzen schnell überlastet und eine Netzverstärkung wäre nötig – das Zusammenspiel der verschiedenen Stromerzeuger- und verbraucher muss also intelligent gemanagt werden um Ineffizienzen zu vermeiden.

Stichwort Ortsnetzstationen: Sind diese bereit für den digitalen Wandel?

Es sind ja schon viele intelligente Ortsnetzstationen in unseren Verteilnetzen installiert worden und nicht jede muss zwangsläufig erneuert werden – auch hier kommt ABB Ability zum Tragen. Mit unseren Softwarelösungen kann der Netzbetreiber zukünftige Netzengpässe identifizieren und punktgenau Investitionen auslösen. Mit Hilfe der neuhinzugewonnenen lokalen Intelligenz und Regelbarkeit kann der Verteilnetzbetreiber nun seinen Netzbetrieb optimieren.

ABB spricht oft von digitalen Umspannwerken. Haben diese noch das gleiche Problem die ONS – also die fehlende Intelligenz?

In den Nieder- und Mittelspannungsnetzen fehlte tatsächlich in der Vergangenheit oft die Strom- und Spannungsmessung, dies ist jedoch auf der Hoch- und Höchspannungsebene bereits heute Stand der Technik. Das digitale Umspannwerk adressiert hier vor allem die Modernisierung der angesprochenen Betriebsmittelstandards und die resultierende Bauausführung. Während in der Vergangenheit Kupferkabel aufwendig einzelverdrahtet werden mussten, können wir heute bis auf Betriebsmittelebene hinunter die gesamte Kommunikation digitalisieren, 80 Prozent der Kupferkabel einsparen und damit die Installationszeiten verkürzen. Darüber hinaus wird die Personensicherheit für Betriebspersonal erhöht und Umspannwerke kompakter gebaut werden.

Internet der Dinge – also der ganze 4.0-Gedanke – wirft Unmengen an Daten auf. Wie hilft hier die Ability-Lösung?

Wie sie sagen, die Unmengen von Daten helfen noch keinem weiter, aber mit Hilfe von ABB Ability schaffen wir Ordnung im Datendschungel. Wir helfen nicht nur in der strukturieren Datensammlung aus den verschiedensten Quellen, sondern vor allem auch mit der Datenanalyse und den resultierenden Handlungsempfehlungen. Dabei greifen wir auf unsere Branchenexpertise von mehr als 100 Jahren zurück und können mit unseren Algorithmen präventive Wartungsstrategien für alle Betriebsmittel anbieten. Dabei müssen wir unsere Schlussfolgerungen nicht auf der Grundlage nur eines Kunden ziehen, sondern können wenn gewünscht auch kunden- oder industrieübergreifende Lösungen anbieten.

Gibt es erste erfolgreiche Projekte?

Wir realisieren mit einem der größten deutschen Verteilnetzbetreiber aktuell seine erste digitale Schaltanlage und wir bauen für Tennet die weltweit erste hybride Statcom-Anlage in Borken, Hessen. Diese wird das Netz mit flexibler Blindleistungskompensation und dynamischer Spannungsversorgung unterstützen und damit das Risiko von Spannungseinbrüchen und Stromausfällen reduzieren, hierfür kommt aus unserem Ability-Portfolio das fortgeschrittene MACH-Steuerungssystem zum Einsatz und funktioniert dabei wie das Gehirn der Statcom.

Sie sagen, dass die Lösung hier als Gehirn von Statcom fungiert. Was genau bedeutet das?

Es überwacht, steuert und schützt die hochentwickelte Technologie und gewährleistet eine zuverlässige und effiziente Stromversorgung. Dieses Steuerungssystem ist dabei speziell für schnelle Eingriffe sowohl im leistungselektronischen Regelsystem der Anlage als auch im Netz ausgelegt und kann mit den gewonnen Daten helfen das Stromnetz besser auszulasten.

Weg vom Netz, hin zur Produktion. Energiemanagement ist derzeit ein großes Thema. Ist die Ability-Plattform hier auch eine Lösung?

Natürlich, mit unserer maßgeschneiderten Energiemanagement-Lösung basierend auf Ability können wir vom Einfamilienhaus über einzelne Mehrfamilienhäuser bis hin zum großen virtuellen Kraftwerk alles modular abdecken. Dabei können wir neben unseren eigenen Produkten auch flexibel alle universellen Schnittstellen bedienen.

Wie viel lässt sich einsparen?

Die Frage hier ist – was wollen Sie sparen: Energie, Kosten, Ausfallzeiten – Diese Optimierungsfrage ist daher immer individuell zu beantworten und beispielsweise abhängig von den möglichen Flexibilitäten in Ihrem System basierend auf den Erzeugungs- und Verbrauchsprofilen. Bei den Energiekosten lassen sich an einem größeren Industriestandort im Schnitt Einsparungen von rund 30 Prozent erzielen.

Das System ist cloudbasiert, richtig? Wie sichern Sie das Netzwerk gegen Hacker ab?

Unsere Plattform ist durch eine Vielzahl von industrieüblichen Standards abgesichert, beispielsweise einer aktuellsten Firewall und gesicherter Datenübertragung. All dies eingebettet in die Microsoft-Umgebung mit kontinuierlich überwachten Servern, Netzwerken und Bedrohungsanalysen und dadurch immer Uptodate hinsichtlich der Abwehr neuester Bedrohungen.

Datenschutz ist ein großes Thema. Liegt die Datenhoheit beim Kunden/Anwender?

Dies ist ein interessantes Thema welches ja auch aktuell kontrovers diskutiert wird. Hier hat ABB zwar eine Meinung aber wir reagieren flexibel auf die Bedürfnisse unserer Kunden, am Ende wird sich zeigen welches Verständnis sich als Industriestandard etablieren wird.

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