Umspannwerke immer im Blick Betriebsführung mit Kamera und KI

Digitale Lösungen ermöglichen es, viele Störungen bereits in der Netzleitstelle zu analysieren und aus der Ferne zu beheben.

Bild: iStock, Antonistock
26.11.2020

Der ausfallsichere Betrieb steht bei Umspannwerken an erster Stelle. Mit digitalen Lösungen lässt sich die Betriebsführung verbessern: Algorithmen zur Auslesung von Sensoren, Bilderkennungssoftware und Digitale Zwillinge prognostizieren vorab potenzielle Störungen und vermeiden Ausfälle durch gezielte Wartungen.

In der Berliner Netzleitstelle des Multitechnik-Dienstleisters Spie überwachen Experten rund um die Uhr Umspannwerke, die Wind- und Solarparks mit dem Stromnetz verbinden. Zugleich nehmen sie dort Schalthandlungen aus der Ferne vor und koordinieren remote Entstörungseinsätze. Mit einem innovativen Ansatz der Betriebsführung soll der Betrieb der Umspannwerke für die Kunden des technischen Dienstleisters transparenter und die Ausfallsicherheit der technischen Anlagen gewährleistet werden. Darunter fällt neben der Überwachung auch die Wartung und Instandsetzung der Anlagen.

Für die Behebung von Fehlermeldungen war lange der Einsatz eines Technikers vor Ort die einzige Möglichkeit einer Störung nachzugehen. Digitale Lösungen ermöglichen es nun, viele Störungen bereits in der Netzleitstelle zu analysieren und aus der Ferne zu beheben. Daneben kommen Frühwarnsysteme zum Einsatz, um Ausfälle in Umspannwerken möglichst zu vermeiden und Techniker noch gezielter einzusetzen. „Wir setzen auf neue technische Möglichkeiten, um Störungen effektiv zu beheben und potenzielle Anlagenfehler frühzeitig zu erkennen. Denn unsere Kunden werden immer preissensibler, da die Einspeisung erneuerbarer Energien nicht mehr subventioniert wird und damit kostendeckend erfolgen muss“, sagt Burkhard Sager, der als Leiter des Geschäftsbereichs High Voltage von Spie Deutschland & Zentraleuropa und Geschäftsführer/ COO der Spie SAG GmbH das Leitungsbau- und Schaltanlagenbaugeschäft des Unternehmens in Deutschland verantwortet.

Störung genau definieren

Um Techniker zielgerichtet vor Ort einzusetzen, hat SPIE gemeinsam mit einem Partner ein Kamerasystem entwickelt, das mit Bilderkennungssoftware arbeitet. Die patentierte DocuCam liefert Messwerte und weitere Informationen zur genauen Analyse einer Störung direkt in die Netzleitstelle. Zudem übernimmt das Kamerasystem Sichtkontrollen und meldet Messwerte außerhalb des definierten Toleranzbereichs. Dadurch kann nun eine Störung genauer definiert werden und bereits vorab notwendige Maßnahmen zur Fehlerbehebung eingeleitet werden.

Daneben übermitteln vor Ort installierte Sensoren Echtzeitdaten an die Netzleitstelle. „Um ein konkretes Beispiel einer einfachen aber häufigen Störungsmeldung zu nennen: Vor allem an heißen Sommertagen können elektronische Komponenten, wie Gleich- und Wechselrichter aufgrund der extrem hohen Temperaturen der in den Wartenräumen aufgestellten Schränken ausfallen. Um die Störung zu beheben, reichen oftmals einfache Handgriffe aus, damit die Innentemperatur abkühlen kann. Mit innovativen Lösungen muss dafür kein Techniker die Anfahrt zur Störungsstelle auf sich nehmen: Mit einer Kühlung, die über einen Temperatursensor gesteuert wird, kann die Störung direkt verhindert werden“, berichtet Klauspeter Pein, Leiter der Berliner Netzleitstelle.

Zugriff auf jedes Bauteil

Für die genaue Analyse einer Störungsmeldung aus der Ferne kommen zudem Digitale Zwillinge der Umspannwerke zum Einsatz: Ermittelte Echtzeitdaten, Anlagenwerte und technische Rahmenbedingungen verschmelzen im digitalen Anlagenzwilling, der den Zugriff auf Informationen jedes einzelnen Bauteils der Anlage ermöglicht. Auf einem benutzerdefinierten Dashboard werden für den Anwender alle hinterlegten Informationen wie Wartungsprotokolle, Baupläne und Herstellerinformationen sowie das Livebild des Kamerasystems dargestellt und Handlungsanweisungen für die Betriebsführung aufgezeigt.

Elektrotechnische Informationen des Leitsystems wie Strom, Spannung, Wirk- und Blindleistung werden mit Daten der Bilderkennungssoftware im Digitalen Zwilling verknüpft und unterstützen so bei der Fehleranalyse. „Hier liegt die eigentliche Stärke des Digitalen Zwillings: Je länger die intelligente Software des Digitalen Zwillings die Störungen mit Zustandsinformationen vergleicht, umso exakter werden die Vorhersagen für potenzielle Störungen“, sagt Christian Neumann, Leiter des Versuchs- und Technologiezentrums (VTZ). Das System kann vorhersagen, wann welche Arbeiten in welcher Anlage notwendig sind.

Dazu bezieht es Online-Informationen wie Wetterberichte der Region mit ein, so dass die Netzleitstelle beispielsweise keine Abschaltungen an besonders windreichen Tagen plant. „Die Idee der vorausschauenden Wartung, also Predictive Maintenance oder Condition Based Monitoring, ist auch im Bereich der Umspannwerke keineswegs neu. Mit unserem Ansatz, Sensoren, Bilderkennungssoftware und Digitale Zwillinge sinnvoll zu nutzen, haben wir jetzt aber eine pragmatische Lösung gefunden, um mit vergleichsweise überschaubaren Kosten eine effiziente Betriebsführung zu ermöglichen“, so Christian Neumann weiter.

Zukunft planen im VTZ

Mit Blick in die Zukunft ist SPIE davon überzeugt, dass der Bedarf an Monitoring, Wartung und Instandsetzung weiter steigen wird: „Als technischer Dienstleister profitieren wir derzeit stark vom Netzausbau für die Energiewende. Klar ist aber auch, dass es ein Danach geben wird. Mit dem fertiggestellten Ausbau des Netzes werden Themen wie Betriebsführung und Monitoring noch stärker in den Fokus rücken und auch digitale und innovative Entwicklungen immer wichtiger werden. Als Unternehmen richten wir uns darauf aus und haben mit unserem VTZ ein Kompetenzzentrum für zukunftsweisende Entwicklungen im Unternehmen verankert“, sagt Burkhard Sager.

Das VTZ hat sich als herstellerunabhängiges, akkreditiertes Prüfinstitut zur Untersuchung und Entwicklung von Komponenten, Baugruppen und komplexen Systemen der Energieversorgung einen Namen gemacht. Heute werden dort vermehrt digitale Lösungen entwickelt und erprobt. „Mit unserer Kompetenz, Erfahrung und Stärke wollen wir als bevorzugter Partner für nachhaltige und effiziente Dienstleistungen den Energiemarkt mitgestalten“, so Burkhard Sager weiter.

Bildergalerie

  • In der Berliner Netzleitstelle überwachen Experten rund um die Uhr Umspannwerke, die Wind- und Solarparks mit dem Stromnetz verbinden.

    In der Berliner Netzleitstelle überwachen Experten rund um die Uhr Umspannwerke, die Wind- und Solarparks mit dem Stromnetz verbinden.

    Bild: Spie

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