„Gegossene Bauteile wie Rohre, Scheiben oder Gleitlager sind wichtige Komponenten im Maschinen- und Fahrzeugbau oder in der Offshore-Industrie. Häufig kommen Kupfer-Zinn-Blei-Legierungen zum Einsatz, um Werkstücke mit hoher Dichte, guter elektrischer Leitfähigkeit und einem vorteilhaften Reib- und Gleitverhalten herzustellen“, erläutert Jens Reuß von der Martin Luck Metallgießerei die Ausgangslage.
Prototyp soll Energie sparen
Diesen Vorteilen steht ein Nachteil im Produktionsprozess gegenüber: Da die Steuerung der Maschinen oft händisch erfolgt, sind die Mitarbeitenden gesundheitsschädlichem Staub und Gas ausgesetzt. Zudem ist das Verfahren sehr energieintensiv.
Beim Schleuderguss wird flüssiges, rund 1.000 °C heißes Metall in einen Kokille genannten Zylinder gegossen, der sich um die eigene Achse dreht. Durch die Fliehkräfte sammelt sich die Schmelze an der Kokillenwand und erstarrt dort, wodurch ein rotationssymmetrisches Werkstück entsteht. Ein zentrales Ziel des Vorhabens ist der Aufbau eines neuartigen Produktionsverfahrens.
Ein Prototyp für eine neue Gussmaschine wird von der Martin Luck Metallgießerei entwickelt und soll eine schnelle Herstellung von bis zu 15 Gussteilen pro Tag mit einer Höhe von etwa 25 cm und einem Durchmesser von 25 cm nach DIN-Norm ermöglichen.
Da das Aufheizen der Kokille viel Energie verbraucht, liegt ein Fokus auf einem energiesparenden Aufheizsystem, das über ein Luft-Gas-Gemisch die Kokille gleichmäßig erwärmt. Zudem sollen die Kühlung angepasst und Automatisierungskomponenten integriert werden.
Gleiche Qualität bei geringerem Bleigehalt
Im Labor für Werkstoffe der TH Köln wird mit Hilfe einer Legierungsmodellierung untersucht, wie eine neue Legierung zusammengesetzt sein könnte, deren relevanten Eigenschaften sich nicht verschlechtern, obwohl der Bleigehalt nur noch bei 6,5 bis 8,5 Prozent statt wie bisher zwischen 13 und 17 Prozent liegt.
„Die Eigenschaften der fertigen Gussteile hängen aber nicht nur vom Bleigehalt ab, sondern auch ganz entscheidend vom Gießverfahren. Daher prüfen wir zudem, wie sich verschiedene Prozessparameter auf die Produkteigenschaften auswirken“, sagt Prof. Dr. Danka Katrakova-Krüger von der TH Köln. Dazu gehören etwa die Temperatur der Schmelze, die Maße des Werkstücks, Kühlwassertemperatur und -menge sowie die Dauer des Abkühlvorgangs.
Am Institut für Werkstoffanwendung nähern sich die Wissenschaftler*innen der perfekten Mikrostruktur mittels einer Simulation. Dazu wird ein bestehendes Modell zur Erstarrung von Gussbauteilen optimiert und an die Rahmenbedingungen im Projekt angepasst.
Zudem erarbeiten die Forschenden gemeinsam mit Kund*innen der MLS Qualitätskriterien für die Gussteile. „Am Computer wird dann errechnet, wie weit der Bleigehalt sinken darf, damit die Produkte denen aus einer konventionellen Legierung ebenbürtig sind“, sagt Prof. Dr. Stefan Benke von der TH Köln.
Künstliche Intelligenz steuert Prozess
Die Ergebnisse aus diesen Teilprojekten fließen in ein KI-Modell des Instituts für Automation & lndustrial IT ein. Dieses nutzt die Prozess-, Labor- und Simulationsdaten, um die optimalen Prozessparameter für eine hinreichende Werkstückqualität zu ermitteln.
„Die fertig trainierte Künstliche Intelligenz wird in der Lage sein, je nach Form des Gussteils die optimalen Einstellungen der Anlage zu ermitteln, also etwa die Rotationsgeschwindigkeit oder die Vorheiz-Temperatur der Kokille. Zudem legt sie fest, an welchem Zeitpunkt der Gussprozess beendet wird und mit dem Abkühlen beginnt“, so Prof. Dr. Christian Wolf von der TH Köln.
Durch die neu implementierten Automatisierungskomponenten soll der Prototyp in der Lage sein, die von der KI ermittelten Parameter ohne menschlichen Eingriff umzusetzen. „Da bislang Anlagen manuell gesteuert werden, verbringen Mitarbeiter viel Zeit damit, neben der Maschine zu warten. Währenddessen sind sie gesundheitsschädlichen Emissionen ausgesetzt, was sich künftig vermeiden lässt. So erreichen wir ein zentrales Projektziel“, sagt Reuß.
Die erwarteten Energie- und Materialeinsparungen sollen durch das neuartige Aufheizsystem und die optimierten Abläufe in der Produktion realisiert werden. Die KI-basierten Prozesseinstellungen sollen zudem dafür sorgen, dass es weniger Fehlgüsse gibt, die mit hohem Energieaufwand wieder eingeschmolzen werden müssen.
Rundum Blick zum Projekt der Hochschule
Das Vorhaben „Simulations- und Kl-gestützte Prozessentwicklung zur Reduzierung des Bleigehalts und der Bleiemissionen beim Schleuderguss von Kupfer-Zinn-Blei-Legierungen unter Beibehaltung der Werkstoffeigenschaften“ wird von Oktober 2023 bis September 2026 von drei Instituten der TH Köln und der Martin Luck Metallgießerei durchgeführt.
Beteiligt sind Prof. Dr. Danka Katrakova-Krüger vom Labor für Werkstoffe, Prof. Dr. Christian Wolf vom Institut für Automation & lndustrial IT/:metabolon Institut und Prof. Dr. Stefan Benke vom Institut für Werkstoffanwendung. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördert das Vorhaben über das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM).
Die TH Köln bietet Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland ein inspirierendes Lern-, Arbeits- und Forschungsumfeld in den Sozial-, Kultur-, Gesellschafts-, Ingenieur- und Naturwissenschaften. Zurzeit sind rund 23.500 Studierende in etwa 100 Bachelor- und Masterstudiengängen eingeschrieben.
Die TH Köln gestaltet Soziale Neuheiten - mit diesem Anspruch begegnen sie den Herausforderungen der Gesellschaft. Das interdisziplinäres Denken und Handeln, der regionalen, nationalen und internationalen Aktivitäten macht sie in vielen Bereichen zur geschätzten Kooperationspartnern und Wegbereitern.