Auf dem Euref-Campus in Berlin-Schöneberg arbeiten 3.500 Menschen, die meisten in Forschungseinrichtungen und Unternehmen aus den Bereichen Energie, Nachhaltigkeit und Mobilität. Wenn sämtliche Bauten fertiggestellt sind, wird das 5,5 Hektar große Areal über rund 165.000 m2 Büro- und Gewerbefläche verfügen.
2021 wird Gasag, einer der großen Energiedienstleister in der Hauptstadtregion, auf den Campus im Südwesten der Hauptstadt ziehen. Ihr Tochterunternehmen Gasag Solution Plus ist dort schon jetzt aktiv. Es konzipierte und betreibt das System aus Energieerzeugung und -speicherung.
Die Anlage produziert 6.000 MWh Wärme und 2.600 MWh Kälte jährlich. Das deckt den gesamten Jahresbedarf des Quartiers an Beheizung und Kühlung. Dazu kommen 2.300 MWh Öko-Strom, der EEG-vergütet ins öffentliche Netz fließt.
Komplexes Zusammenspiel
Die urbane Energiewende ist ein Zusammenspiel vieler Komponenten, weg vom zentralen Großkraftwerk in der Ferne, hin zu multivalenten Systemen aus vorrangig dezentralen Erzeugern und Speichern. Herzstück der Schöneberger Anlage ist ein Biomethan-Blockheizkraftwerk (BHKW) mit einer Leistung von 400 kW elektrisch.
Das Biomethan stammt aus der Biogasanlage der Gasag in Schwedt, produziert aus nachwachsenden Rohstoffen. Mit einer thermischen Leistung von 431 kW produziert das BHKW mehr als die Hälfte der Wärme, die in das 2,5 km lange Verteilnetz des Quartiers fließt.
Damit stellt das Kraftwerk bilanziell die Hälfte des Wärmebedarfs des Campus bereit und sichert die Basisversorgung. Um das BHKW das ganze Jahr hindurch möglichst effizient zu nutzen, ermöglicht sein modulierender Betrieb eine stufenlose Regulierung von 50 Prozent bis zur Maximalleistung.
Zwei Gas-Niedertemperaturkessel lassen sich bei Bedarf zuschalten. Sie steuern 40 Prozent der Wärme bei. Ihr Leitungssystem ermöglicht die Vorhaltung von Heizenergie. Es besteht aus ineinander geschobenen und miteinander verpressten Stahlrohren, die sich in mehreren Schichten um den Kern des Kessels winden. 5,1 m3 Wasser lassen sich so um die Brennkammer herumführen. Ein weiteres, kleines BHKW mit 50 kW elektrischer Leistung liefert zusätzlich Wärme bei Bedarf, jährlich rund acht Prozent. Der erzeugte Strom wird für den Betrieb der Energiewerkstatt verwendet.
Deutschlands erste PtH/PtC-Anlage
Neben der Kraft-Wärme-Kopplung der BHKW verwirklicht die Energieversorgung des Areals auch die Kopplung von elektrischer und thermischer Energie. Deutschlands erste Power-to-Heat/Power-to-Cold-Anlage (PtH/PtC) erzeugt mit 500 kW elektrischer Leistung jährlich ebenso viel thermische Leistung. Sie verfügt über zwei sechs Meter hohe Zylinder, gefüllt mit Wasser als Trägermedium. Ein 500-kW-Durchlauferhitzer erzeugt die Wärme, Kälte entsteht in zwei Kompressionskältemaschinen.
Bei einer maximalen thermischen Leistung von 2.000 kW produzieren sie immer nur so viel Kälte, wie tatsächlich für die Kühlung der Büros und IT-Anlagen der Unternehmen notwendig ist. Bei niedrigen Temperaturen entfällt der energetisch aufwändige Prozess der Kompression, da dann die kühle Außenluft in das Nahkältenetz eingebracht wird.
WindNode-Projekt
Die PtH/PtC-Anlage ist nicht nur Teil des Systems vor Ort, sondern überregional vernetzt. Als Teil des staatlich geförderten WindNode-Projekts setzt sie erneuerbare Energie aus Wind- und Sonnenkraft ein, die in Brandenburg entsteht. Diese kann an sonnen- oder windreichen Tagen bekanntlich die Aufnahmekapazität des Stromnetzes übersteigen. Wenn in diesen Zeiten von Überschüssen die Strombörsen niedrige oder negative Strompreise aufrufen, erfolgt ein Impuls, die Anlage mit Strom zur Generierung thermischer Energie zu versorgen. Diese kann dann in den beiden Wassertanks in Form von jeweils bis zu 22.000 Liter warmen oder kalten Wassers gespeichert werden.
So vermeidet die Speicherung des Ökostroms durch die Umwandlung zu Wärme oder Kälte, dass EE-Anlagen rund um Berlin abgeschaltet werden: Die energetische Vernetzung von Stadt und Land stabilisiert das öffentliche Stromnetz. Die Speicher der PtH-/PtC-Anlage sind zudem Bestandteile des hydraulischen Systems der Energiezentrale. Sie können damit auch als Pufferspeicher für die BHKW genutzt werden.
Selbstlernende Steuerung
Die Steuerung der Anlage verknüpft die Echtzeitdaten des Strommarktes mit dem Verbrauchsverhalten der Nutzer und Prognosen zu den Wetterverhältnissen. Sie nimmt Informationen von mehr als 1.000 Sensoren auf, die unter anderem die Wärmeströme in der Heizzentrale erfassen. Ebenso erfährt die Steuerung durch die Druckverhältnisse im Verteilnetz, wie viel Heizenergie die Gebäude aktuell verbrauchen. Aus diesen Informationen entstehen die Signale für den Betrieb der Komponenten.
Dazu gehören vier Hochleistungspumpen, die das temperierte Wasser in das Verteilnetz einspeisen. Sie verfügen über eine modulierende, elektronische Leistungsanpassung, die die Drehzahlen exakt dem erforderlichen Volumenstrom anpasst. Durch die Kombination von vier Pumpen lässt sich die erforderliche Pumpleistung über einen großen Leistungsbereich regeln.
Zudem arbeiten die Pumpen stets im hydraulischen Leistungsoptimum. So ist auch bei Ausfall einer Pumpe ausreichend Power verfügbar. Um den Betrieb des komplexen Systems aus Erzeugung, Verbrauch und Speicherung zu optimieren, verhält sich die Steuerung vorausschauend. Sie erfasst Wetterdaten und speichert, wie viel Energie bei welchen Außentemperaturen und Tageszeiten notwendig ist, um den Bedarf genau zu decken.
Mit diesen Informationen ermöglicht das selbstlernende System, die Erzeuger und Speicher mit Weitblick zu steuern und die Fahrweisen der Komponenten unter Berücksichtigung des aktuellen Strompreises zu optimieren.
Eine Erkenntnis aus den Daten der Steuerung war, dass die Speicher für die Kältemaschinen noch viel intensiver genutzt werden sollten und sie viel größer sein könnten. Denn wenn der Elektroheizer anspringt, konkurriert er wirtschaftlich mit der Warmwasser-Erzeugung durch das Biomethan-BHKW.
Je mehr Kälte hingegen durch die Umwandlung von Strom entsteht, umso mehr verdrängt der günstige Börsenstrom für die Kompressoren den vergleichsweise teuren Strom, mit dem die Kältemaschinen sonst betrieben werden: Die Nutzung von regionalem Ökostrom stabilisiert und entlastet also nicht nur die Netze, sie kann auch vor Ort Energiekosten reduzieren.