„Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen“ – das elfte Ziel der Agenda 2030 der Vereinten Nationen bringt auf den Punkt, worauf es in Zukunft bei der Stadtentwicklung ankommt. Wollen die Kommunen langfristig als Lebensräume attraktiv bleiben, müssen sie dringend Lösungen finden, um umwelt-, klima- und sozialverträglich zu werden. Allen voran steht dabei eine systematische Verteilung der Ressourcen und Energien – die Basis einer nachhaltigen Stadtplanung.
Wie diese gelingen kann? In einem ersten Schritt muss es zunächst darum gehen, die Energieversorgung zu weiten Teilen auf erneuerbare Energien umzustellen. Je nach Größe der Städte ergeben sich dabei unterschiedliche Herausforderungen. Während Klein- und Mittelstädte noch eher die Möglichkeit haben, für ihre grüne Strom- und Wärmeerzeugung auf das Umland zuzugreifen, gestaltet sich das Modell für die Metropolen deutlich schwieriger.
Sie müssen in Zukunft vor allem dazu übergehen, die Dachflächen zur Energieerzeugung zu nutzen und die Wärmeversorgung zu dezentralisieren – wie es etwa auch das Mieterstrommodell vorsieht. Was vor gut zwei Jahren dank eines vielversprechenden Gesetzes möglich wurde, muss man bisher allerdings als gescheitert ansehen: Laut dem Bundeswirtschaftsministerium waren bis Juli 2019 deutschlandweit gerade einmal 677 Photovoltaik-Anlagen erfasst, über die Mieterstrom generiert wird – ein Bruchteil des möglichen Potenzials. Der Grund: Der bürokratische Aufwand steht für die Vermieter in keinem Verhältnis zum Ertrag. Und genau hier offenbart sich eine der größten Schwachstellen, mit denen zahlreiche Städte derzeit noch zu kämpfen haben. Denn: Selbst wenn den Kommunen die Umstellung auf eine grüne Strom- und Wärmeversorgung gänzlich gelingt, ist es damit noch längst nicht getan. Den wahren nachhaltigen Nutzen offenbart die Energiewende nämlich erst, wenn die regenerativen Energien auch direkt vor Ort nutzbar gemacht werden. Und dafür gilt es, noch einige Hürden zu überwinden.
Emden als Vorreiter
Eine Möglichkeit, wie die vollständige Ausrichtung auf eine dezentrale Energieversorgung gelingen kann, zeigt das Beispiel Emden. Die rund 50.000-Einwohner-Stadt im Nordwesten Niedersachsens hat sich dem Ausbau der Erneuerbaren schon seit vielen Jahren verpflichtet. Zukünftig sollen alle Emder Haushalte ausschließlich Strom aus regenerativen Energiequellen und klimaneutralem Erdgas beziehen.
Das Projekt „Intelligente Energiestadt Emden“ ist ambitioniert – doch die ostfriesische Kommune ist auf dem besten Weg, es in die Realität umzusetzen. Bereits jetzt kann sich der grüne Energiemix der Stadt mehr als sehen lassen: Nachdem schon 1991 der Windpark Larrelter Polder entstanden ist, zählt die Anlage gemessen an der Gesamtleistung zu einer der größten Windfarmen Europas. Mit jährlich rund 70.000 MW Strom deckt der Park gut vier Fünftel des gesamten Verbrauchs aller Emder Haushalte ab. Daneben ergänzen unter anderem Solar- und Photovoltaikanlagen auf privaten und städtischen Gebäuden, eine Geothermieanlage sowie ein Biomasseheizkraftwerk den Mix aus dezentralen grünen Energien. Inzwischen ist der Ausbau der regenerativen Energiequellen gar so weit fortgeschritten, dass Emden deutlich mehr grünen Strom erzeugt als benötigt wird. Anstatt jedoch die vor allem üppig vorhandene Windenergie künftig auch weiterhin an der Leipziger Strombörse zu verkaufen, haben sich die Emder Stadtwerke inzwischen für einen anderen Weg entschieden: Sie wollen die grüne Energie ausschließlich den lokalen Stromabnehmern und Industrieunternehmen zur Verfügung stellen, damit diese ihre Lebens- und Produktionsbedingungen klimaneutral gestalten können. Eine Win-win-win-Situation: die dezentrale Energie wird ohne Verluste vor Ort genutzt, die lokale Wirtschaft kann mit CO2-ärmeren Betrieben punkten und die Stadt kommt ihrem Ziel, den Ausstoß an Treibhausgasen schnellstmöglich zu senken, ein entscheidendes Stück näher.
Ein intelligentes Stromnetz ist unabdingbar
Was in der Theorie gut klingt, ist zugleich mit noch notwendigen regulatorischen Änderungen und großen Investitionen verbunden. So gilt es nicht nur, die Entwicklung von Speicheranlagen für den dezentral erzeugten Strom voranzutreiben. Vor allem das Stromnetz muss wesentlich flexibler und intelligenter gestaltet und gesteuert werden, um die Energien optimal an Ort und Stelle nutzen zu können. Gemeinsam mit der Hochschule Emden/Leer tüfteln die lokalen Stadtwerke im Rahmen eines EU-weit geförderten Pilotprojekts bereits intensiv an einer Power-to-Gas-Anlage. Dabei soll aus überschüssigem Windstrom Wasserstoff hergestellt werden, der sich in Kombination mit grünem CO2 zu synthetischem Erdgas umwandelt. Dieses kann dann wiederum im Erdgasnetz gespeichert werden.
Daneben hat die Kommune zusammen mit Siemens und den Stadtwerken 2017 ein „Memorandum of Understanding“ unterzeichnet. Der Digital-Vertrag sieht vor, die „Smart-City-Vision“ der Kommune in den nächsten Jahren weiter mit Leben zu füllen. Das heißt: Neben einer intelligenten Energieversorgung sollen nach und nach sämtliche Bereiche des städtischen Lebens auf Basis einer Digitalisierungsstrategie effizienter – und somit nachhaltiger – gestaltet werden.
Möglich wird dies mit Hilfe einer Internet-of-Things-Plattform, auf der sämtliche digitalen Projekte und Daten der Stadt gebündelt zur Verfügung gestellt werden. Damit hat die ostfriesische Mittelstadt bereits sehr frühzeitig erkannt, womit viele Kommunen deutschlandweit noch hadern: Nur wenn sämtliche Energielösungen in einer Kommune intelligent miteinander vernetzt sind, kann der volle Nutzen einer nachhaltigen Energiewirtschaft überhaupt erst zum Tragen kommen. Dafür bietet das Konzept der Smart-City zwar einen zukunftsweisenden Lösungsansatz. Dennoch weist laut einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung Haselhorst Associates noch nicht einmal ein Viertel der 400 größten Kommunen einen Digitalisierungsgrad von zwölf Prozent auf. Und das obwohl sich die Investitionen bereits in kürzester Zeit auszahlen könnten.
Klimaneutrale Produktionsbedingungen
So etwa in Emden. Das gemeinsame Projekt mit Siemens hat sich zu einem echten Wettbewerbsvorteil für die Region entwickelt – und überzeugt die lokalen Wirtschaftsvertreter: Bereits kurz nach der Unterzeichnung des Memorandums of Understanding mit Siemens hat der Autokonzern Volkswagen 2018 angekündigt, im Emder Werk ab 2022 nur noch E-Autos produzieren zu wollen. Daneben soll die externe Stromversorgung bis zu 90 Prozent auf regenerative Energiequellen umgestellt werden.
Hierbei kann der Autokonzern sowohl von der geplanten Power-to-Gas-Anlage der Stadtwerke als auch vom breit aufgestellten Grünstrom der Kommune an sich profitieren. Damit die Dimensionen deutlich werden: VW gilt nicht nur als der größte Arbeitgeber vor Ort, sondern bereits heute als der größte Stromverbraucher.
In Zukunft wird der Energiebedarf des VW-Werkes möglicherweise sogar noch weiter steigen. Nämlich dann, wenn auch die für die E-Autos benötigten Batteriezellen ebenfalls vor Ort – und CO2-neutral – hergestellt werden sollen. Diese Umstellung kann nur mit Hilfe einer intelligenten Strominfrastruktur gelingen. Die Weichen dafür sind in Emden bereits gestellt. Und mit dem Projekt „Intelligente Energiestadt“ hat sich der Standort Emden hervorragend positioniert für eine Batteriefertigung positioniert. Smart City ist aktive Wirtschaftsförderung.