Die Störungs- und Verfügbarkeitsstatistik des Forums Netztechnik / Netzbetrieb des VDE beziffert die jährlichen Versorgungsunterbrechungen ohne höhere Gewalt im Jahre 2015 in Deutschland auf nur durchschnittlich 11,9 Minuten je Stromkunden – im internationalen Vergleich eine sehr hohe Versorgungsgüte.
Im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) wird die Versorgungssicherheit mit dem Ziel präzisiert, die möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Versorgung mit Strom und Gas zu erreichen. Die Sicherheit ist somit nur ein Parameter des energiepolitischen Zieldreiecks, in dessen Spannungsfeld sich die Energieversorgung befindet – sie muss sich darüber hinaus immer auch an ihrer Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit messen lassen.
Im Zusammenhang mit der seit 2009 angewendeten und durch die Bundesnetzagentur überwachten Anreizregulierung steht der Netzbetrieb von Energieversorgungsunternehmen unter einem permanenten Druck, besser und kostengünstiger zu wirtschaften und zu investieren, als vergleichbare Netzbetreiber. Ein intelligenteres Management von Angebot und Nachfrage wurde zunehmend notwendig. Dies führte zunächst zur Anwendung neuer Betriebspraktiken, etwa dem umfassenden Einsatz von IT-Systemen. In der Folge wurden diese durch strategische Ansätze ergänzt: Diese bewerten die Leistungsfähigkeit von Netzen und Anlagen auf Grundlage systematischer Analysen, erhöhen deren Effizienz und ermöglichen dadurch eine höhere Anlagenrendite.
Überwachung von Betriebsmitteln
Asset Management hat sich hierbei als Methodik etabliert, um beschränkte Ressourcen so einzusetzen, dass strategische Ziele auf kostengünstigste Weise und mit maximalem Return on Assets (RoA) erreicht werden können. Das im Jahre 2014 veröffentlichte und in Kürze auf Deutsch verfügbare Normenwerk ISO 55000 ff. definiert Asset Management als koordinierte Aktivität eines Unternehmens, um aus seinen Betriebsmitteln Werte zu realisieren. Konkret basiert Asset Management auf der Bewertung der Leistungsfähigkeit von Anlagen und Betriebsmitteln sowie den damit verbundenen Kosten und Risiken mit dem Ziel der Optimierung von Investitionen und operativen Kosten. ISO 55000 ff. erwähnt dabei ausdrücklich die kontinuierliche Überwachung von Betriebsmitteln hinsichtlich Zustand, Performanz und Ausfallrisiko und empfiehlt somit implizit ein systematisches Asset Performance Management. Dieses wiederum bezeichnet die Erfassung, Konsolidierung, Analyse und Visualisierung von Daten mit dem ausdrücklichen Ziel der Verbesserung der Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit physischer Betriebsmittel und bedient sich der automatisierten Zustandsüberwachung (Condition Monitoring), zuverlässigkeitsorientierten Instandhaltung (RCM, Reliability Centered Maintenance) sowie der Predictive Analytics.
APM im digitalen Umspannwerk
Digitale Umspannwerke sind Schlüsselkomponenten intelligenter, also smarter Netze. Sie basieren im Wesentlichen auf der digitalen Erfassung und Kommunikation von Prozessdaten, die direkt an der Primärtechnik erfasst werden, sowie auf dem Prinzip der IT/OT-Konvergenz, also dem Zusammenführen von Daten der Operational Technology (OT) mit der Unternehmens-IT. IEC 61850 als einheitlicher, herstellerunabhängiger Kommunikationsstandard der Ethernet-basierten Kommunikation in Umspannwerken kommt hierbei eine zentrale Bedeutung zu. Daneben bieten digitale Umspannwerke erhebliche Platz- und Kostenersparnisse – bis zu 60 Prozent weniger Grundfläche und bis zu 80 Prozent weniger Kupferkabel werden benötigt. Zeitaufwand und die Risiken im Zusammenhang mit Service- und Wartungstätigkeiten werden außerdem beträchtlich reduziert. Zusätzlich verhindern hohe Sicherheitsstandards potenzielle Gefahrensituationen für das Personal, wie Überschläge oder Kurzschlüsse.
Zustandsdaten der eingesetzten Betriebsmittel werden im digitalen Umspannwerk in Echtzeit und rund um die Uhr gesammelt, und können in einen APM- (Asset Performance Management) Prozess eingebracht werden. Diese Daten lassen sich mit Cloud-basierter Software wie dem Asset Health Center von ABB (basierend auf Microsoft Azure und Power BI) zusammenführen. Dort können sie in Algorithmen und Modellen analysiert und in Handlungsempfehlungen übersetzt werden. Algorithmen bezeichnen hierbei mathematische Regeln, die auf Grundlage der Eingabeparameter Asset Health Indizes errechnen, also numerische Werte zur Beschreibung des Gesundheitszustandes von Betriebsmitteln. Modelle erweitern im Sprachgebrauch des Asset Health Centers diese Algorithmen um Funktionen der Prescriptive Maintenance, schlagen also als Reaktion auf einen identifizierten Zustand konkrete Maßnahmen vor. Diese können ihrerseits in der Erstellung eines Arbeitsauftrages in einem Instandhaltungsmanagementsystem wie SAP PM oder anderen münden. Die Anwendung von Machine Learning verspricht in diesem Zusammenhang eine noch höhere Aussagekraft durch das Erkennen versteckter Muster in besonders großen Datenmengen.
Die im Asset Health Center verarbeitbaren Daten umfassen beliebige On- und Offline-Quellen: etwa SCADA-Systeme, Sensorik, Data Historians, Betriebsmittelinformations-Systeme, Inspektionsmanagementsysteme. Im Falle von Transformatoren können so beispielsweise Parameter wie Alter, Isolationswiderstand, Lastgang, Ergebnisse der Ölanalyse, Polymerisationsgrad, Teilentladung oder Vibration verarbeitet und analysiert werden. Die Komplexität der angewandten Algorithmen oder Modelle und letztlich der erforderlichen Daten orientiert sich hierbei an den konkreten Zielsetzungen des Anwenders. Es stehen Algorithmen und Modelle aller wesentlichen Betriebsmitteltypen der Hoch- und Mittelspannung zur Verfügung. Eine offene Modellierungsumgebung ermöglicht darüber hinaus die Definition und das Einbinden beliebiger Betriebsmitteltypen sämtlicher Sparten. So können elektrische und mechanische Betriebsmitteltypen, wie Kabel, Masten oder Pumpen entsprechend betrachtet werden.
Big Data in der Anlage
Die Darstellung und Ausgabe der Ergebnisse in Kritikalitäts-Matrizen, Dashboards und Berichten ermöglicht es, Analysen über Betriebsmittelklassen und -typen, Hersteller, Altersklassen, Netzbereiche und Spannungsebenen auch in Zeitreihen durchzuführen. Die Analyse räumlicher Zusammenhänge ist durch die Integration mit geografischen Informationssystemen gewährleistet. Wie stellt sich meine betriebliche Risikoexposition dar? Welche Betriebsmittel sollten besser ausgetauscht statt instandgesetzt werden? Wann ist dafür der richtige Zeitpunkt? Kann die Lebenserwartung eines Betriebsmittels verlängert werden? Welche Trends zeichnen sich über mein Portfolio oder über einzelne Betriebsmittelklassen ab? Wie lässt sich das Instandhaltungsmanagement verbessern?
Diese und viele andere Fragen kann Asset Performance Management sowie das Asset Health Center beantworten, indem es Big Data in belastbare Informationen übersetzt, die über Systemgrenzen hinweg Prozesse der Instandhaltung verbessern. Es unterstützt somit bei der Umsetzung von Best Practices gemäß ISO 55000 und fördert intelligentere Energiesysteme, die stärker auf digitale Technik setzen. Asset Performance Management ergänzt so den Mehrwert eines digitalen Umspannwerks – damit ein Stromnetz effizient und wirtschaftlich betrieben werden kann.