Für den Einsatz der Digital Twins hat der Entwicklungspartner der Automobilindustrie ein virtuelles Prüfumfeld aufgebaut, in dem bei virtuellen Erprobungsfahrten eine Vielzahl von Szenarien simuliert wird. Das Ergebnis: eine deutliche Reduktion von Kosten und Aufwand in der Erprobung, dem Prototyping sowie der Produktoptimierung.
Für den flächendeckenden Erfolg der Elektromobilität sind schnelle Fortschritte auf dem Gebiet der Reichweite von E-Fahrzeugen essenziell. Lösungen hierfür stellen unter anderem Fahrfunktionen wie der prädiktive Effizienzassistent dar. Er sorgt bei Hybridfahrzeugen für einen verminderten Verbrauch und so für mehr Reichweite, indem er konkrete Empfehlungen zur effizientesten Fahrweise liefert.
ASAP begegnet der komplexen Entwicklung solcher Funktionen, die einer umfangreichen Absicherung bedürfen, mit der Methode der Digital Twins: Bei der Entwicklung und Erprobung lassen sich mit virtuellen Abbildern von Funktionen und Komponenten maßgeblich Zeit und Kosten sparen.
Virtuelle Absicherung mit Digital Twins
Stand heute werden Vorhersagen und Analysen zum Verhalten des elektrischen Verbrauchs zumeist über lang definierte Messverfahren zur Generierung von Kennfeldern oder Lookup-Tabellen durchgeführt. Hierfür werden vorab definierte Testfahrten an Prüfständen oder Fahrversuche real umgesetzt.
Bei Entwicklungen und Erprobungen im Bereich E-Mobilität stoßen diese Verfahren jedoch an ihre Grenzen: Bei realen Testläufen wird die Reichweitenvorhersage auf Basis statischer Modelle ohne Einbezug von Umwelt, Umfeld oder gekoppelter dynamischer Effekte im elektrifizierten Antriebsstrang durchgeführt. Änderungen an den Testspezifikationen können während der Erprobung am realen Prüfstand nicht vorgenommen werden.
Auch Analysen hinsichtlich Störtermen wie Sensorungenauigkeiten, Messrauschen oder Fertigungs- und Montagetoleranzen sind nur durch Erhöhung des Messaufwands möglich und nicht reproduzierbar. Gerade bei der Reichweitenvorhersage für E-Fahrzeuge, bei der zahlreiche unterschiedliche Einflussfaktoren berücksichtigt werden müssen, lassen diese Maßnahmen deshalb eine vollumfängliche Absicherung in zeitlich angemessenem Rahmen nicht zu.
ASAP nutzt aus diesem Grund die virtuelle Absicherung mit Digital Twins, bei der sich Testspezifikationen jederzeit beliebig anpassen lassen. Der Nutzen von Digital Twins ist vielfältig: Zum einen sorgen die virtuellen Abbilder für eine optimale Verzahnung der einzelnen Entwicklungsphasen, da sie für eine konstante Verfügbarkeit von Daten sorgen. Diese Daten ermöglichen wiederum die kontinuierliche Optimierung der abgebildeten Komponenten und Funktionen über alle Prozessschritte hinweg.
Zum anderen gestatten Digital Twins den sprichwörtlichen Blick in die Glaskugel: Bevor erste Hardware oder Prototypen real existieren, können neue Komponenten oder Funktionen virtuell mit ihnen erprobt werden. Auf diese Weise erhält ASAP Erkenntnisse über die Reaktion der Komponenten oder Funktionen in bestimmten Situationen, bevor diese eintreten.
Mögliche Fehler und ihre Ursachen können dadurch frühzeitig in der Entwicklung behoben werden. Kosten und Aufwand in der Erprobung, dem Prototyping sowie der Produktoptimierung werden durch den Aufbau von Digital Twins demnach deutlich gesenkt.
Digitales Abbild eines Antriebsstrangs
Für ein aktuelles Projekt hat ASAP Digital Twins für alle Komponenten eines elektrischen Antriebsstrangs aufgebaut. Für Erprobungen stehen somit die virtuellen Abbilder des HV-Leitungssatzes, der HV-Leistungselektronik und -Batterie sowie der E-Maschine zur Verfügung. Um sie hinsichtlich verschiedenster Kriterien erproben zu können, erfüllen die Digital Twins unterschiedlichste Anforderungen – sie können sowohl Mechanik und Elektrik als auch Thermik und Lebensdauer der Testobjekte abbilden.
Beim Aufbau der virtuellen Abbilder profitiert ASAP von seinem Know-how über den gesamten Entwicklungsprozess von E-Fahrzeugen, angefangen bei Systemdesign und -simulation sowie der anschließenden System- und Komponentenentwicklung, der Verifikation und Validierung über die Fahrzeugintegration bis hin zu Fahrversuchen und Applikation. Durch das Nutzen von Synergien aus der Modellbildung und Simulation ist das Unternehmen in der Lage, den gesamten Entwicklungsprozess eines elektrischen Antriebsstrangs in jeder Phase durch virtuelle Komponentenmodelle, Messtechnik sowie Berechnungsverfahren zu erweitern. Mit jedem Test und jedem Entwicklungsschritt werden die virtuellen Abbilder dabei immer genauer.
Unterstützung bei Probefahrten
In ihrem aktuellen Projekt beantworten ASAP-Experten mit den Digital Twins etwa Fragen zur Reichweiten- und Betriebszustandsvorhersage ohne reale Testläufe. Hierzu haben sie ein virtuelles Prüfumfeld aufgebaut, in dem unter anderem verschiedene Umwelteinflüsse, Straßenbedingungen und Straßenzeichen berücksichtigt werden.
In diesem Prüfumfeld wird auf virtuellen Erprobungsfahrten eine Vielzahl von Szenarien abgefahren beziehungsweise simuliert, wobei der Digital Twin ins Spiel kommt. Durch die simulative Betrachtung von Last- beziehungsweise Fahrprofilen werden mit dem virtuellen Abbild virtuelle Erprobungen zur Identifikation mechanischer und thermischer Hotspots im Fahrzeug durchgeführt. Dabei werden für das Gesamtsystem die Reichweite beziehungsweise der ideale, verlustfreie Betriebszustand und so wiederum der günstigste Zeitpunkt zum Laden der HV-Batterie ermittelt.
ASAP liefert damit gleichzeitig auch Antworten auf die Fragen, ob die HV-Batterie sich in einem thermischen Betriebszustand befindet, der das Laden begünstigt, oder ob der Streckenverlauf hin zu einer definierten Destination verändert werden kann, um durch Rekuperation Energie zurückzugewinnen. Auf diese Weise identifiziert die Firma das bestmögliche Antriebsstrangkonzept sowie die optimale Lade- und Betriebsstrategie eines E-Fahrzeugs, ohne dass in der Realität auch nur ein Kilometer zurückgelegt wurde.
Vorteile von Digital Twins in der Entwicklung
Die Digital Twins des elektrischen Antriebsstrangs nutzt ASAP jedoch nicht nur für die Reichweiten- und Betriebszustandsvorhersage, sondern auch in allen weiteren Phasen der Entwicklung von E-Fahrzeugen. Das reicht von Auslegungsuntersuchungen über die Prototypenentwicklung bis hin zur Erprobung.
Zu Entwicklungsbeginn werden etwa Berechnungstools eingesetzt, um E-Maschinen passend ihrer Vorgaben hinsichtlich Gewicht und Leistung auszulegen. Auch in der Softwareentwicklung werden die digitalen Komponenten eingesetzt, etwa für Berechnungen für komplexe Fahrfunktionen.
Die Vorteile der modellbasierten Softwareentwicklung liegen dabei, im Vergleich zu herkömmlichen Entwicklungsmethoden, in der höheren Genauigkeit der Berechnungsverfahren. Den Verfahren liegen – aufgrund kontinuierlicher Verbesserung der digitalen Zwillinge im Laufe des Entwicklungsprozesses – fundierte Modelle zugrunde.
In der Prototypenphase nutzen ASAP-Entwickler die digitalen Zwillinge unter anderem dazu, die optimale Position für HV-Leitungssätze zu ermitteln. Dafür identifizieren sie mit ihnen mechanische Belastungen oder thermische Kontaktstellen zu Steuergeräten im Fahrzeug, also Positionen, die für den HV-Leitungssatz ungeeignet sind. Dadurch werden weniger Prototypen benötigt, was die Kosten und Dauer der Prototypenphase erheblich reduziert.
In der Komponentenerprobung für E-Fahrzeuge werden die Digital Twins intensiv validiert und später im Fahrbetrieb zur Validierung von Sensordaten genutzt. Mit ihnen können auch Erprobungen umgesetzt werden, die unter realen Bedingungen nicht durchführbar wären – beispielsweise die Erprobung virtueller Sensoren, die in E-Fahrzeugen anhand von Strom und Spannung die Temperatur im Motor berechnen.
Ein weiteres Beispiel ist die Absicherung von Funktionen wie der Personenerkennung. Mit realen Validierungsmethoden lassen sich diese nicht fehlerfrei absichern, da es unendlich viele Situationen und Parameter gibt, die berücksichtigt werden müssen. Bei Temperaturläufen von E-Maschinen zum Beispiel für Lebensdauertests erleichtern und beschleunigen die virtuellen Abbilder die Erprobung ebenfalls gravierend. Denn während man an realen Prüfständen diverse Fahrprofile über mehrere Wochen abfahren lassen muss, sind bei der Simulation der Fahrprofile mit Digital Twins die Ergebnisse bereits nach wenigen Minuten verfügbar.
Zukunft der Digital Twins
Mit ihren Vorteilen für die Funktions- und Komponentenentwicklung sind Digital Twins gerade für Entwicklungen im Bereich E-Mobilität in den kommenden Jahren unerlässlich für schnelle Fortschritte. Künftig wird ihr Nutzen weiter zunehmen: Datenbanken mit spezifischen Modell- und Materialdaten sowie die Nutzbarmachung dieser Daten zur virtuellen Absicherung werden einen entscheidenden Entwicklungsvorsprung ermöglichen.
ASAP baut entsprechende Datenbanken bereits sukzessiv auf, sodass beispielsweise für virtuelle Abbilder benötigte Daten zu Elektrik, Mechanik oder Thermik künftig schneller verfügbar sind. Dabei profitiert der Entwicklungspartner der Automobilindustrie von seinem Know-how zu realen als auch virtuellen Erprobungen.
Durch sein umfangreiches Leistungsportfolio auf dem Gebiet der Robustness Validation stehen viele Daten bereits von vornherein für den Einsatz beim Aufbau von Digital Twins zur Verfügung und müssen nicht erst in aufwendigen Testreihen gewonnen werden. Soll beispielsweise ein Digital Twin mit einem virtuellen Shaker-Versuch validiert werden, kann ASAP auf die benötigten Randdaten in Form von Messdaten aus vorangegangen, realen Lebensdauertests zurückgreifen.
Mit Blick auf die enormen Herausforderungen in der Komponenten- und Funktionsentwicklung – kurze Entwicklungszeiten, permanenter Kostendruck und immer komplexere Produkte – steht dem Einsatz von Digital Twins eine aussichtsreiche Zukunft bevor.