Die voranschreitende Klimakrise, der Krieg in der Ukraine, die damit verbundenen Unsicherheiten und Preissteigerungen – es gibt viele Gründe, bei der Wärmeversorgung schnellstmöglich aus Öl und Erdgas auszusteigen.
Damit die Wärmewende in Städten schneller und effektiver vorankommt, empfehlen Energieexperten des Projekts „Urbane Wärmewende“ einen Maßnahmenmix: Städte sollten eine räumliche Wärmeplanung entwickeln und alle nachhaltigen Wärmepotenziale wie etwa Abwasserwärme erschließen. Zudem sollten sie die Fernwärme ausbauen, Quartierswärmenetze bilden – vor allem rund um öffentliche Gebäude – und faire energetische Sanierungen in Milieuschutzgebieten unterstützen.
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) entwickelte das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) mit der Wirtschaftskanzlei Becker Büttner Held (BBH) und den Berliner Wasserbetrieben sowie mit Vertretern der Berliner Senats- und Bezirksverwaltung Empfehlungen für Länder, Städte, Kommunen und Quartiersmanager.
Am Beispiel Berlins untersuchte das Forschungsvorhaben zentrale Aspekte einer klimaneutralen Wärmeversorgung. Bisher hängt die Hauptstadt im Wärmebereich noch zu zwei Dritteln von Erdgas, zu 17 Prozent von Heizöl und zu fünf Prozent von Kohle ab.
„Berlin steht bei der Wärmewende vor Herausforderungen, die auch andere Städte kennen: Steigende Mieten schüren Angst vor teuren Sanierungsprojekten, der Wandel kommt trotz Fördertöpfen noch nicht in den Quartieren an und Technologien wie die Nutzung der Abwasserwärme kommen nur langsam in die Umsetzung“, erklärt Projektleiterin Dr. Elisa Dunkelberg vom IÖW. „In zweieinhalb Jahren praxisnaher Forschung haben wir Lösungsstrategien zusammengestellt, die in keiner städtischen Wärmeplanung fehlen sollten.“
Höhere Wärmedämmstandards auch in Milieuschutzgebieten
Auf der nächsten Heizkostenabrechnung bekommen die Mieter zu spüren, wie teuer die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen derzeit ist. Selbst wenn sich die Märkte beruhigen – der CO2-Preis wird steigen. Darum kann sich eine energetische Sanierung, die über die gesetzlichen Mindeststandards hinausgeht, auch aus Sicht der Mieter lohnen: Wenn die Vermieter Fördermittel nutzen und die Modernisierungskosten fair umlegen, bleibt die Warmmiete stabil oder kann sogar sinken, wie die Forscherinnen berechnet haben.
Gerade in Milieuschutzgebieten sollten Kommunen daher ambitionierte Sanierungen stärker als bislang ermöglichen: „In den gut 70 sozialen Erhaltungsgebieten Berlins werden ambitionierte energetische Sanierungen bisher selten genehmigt. Gleiches gilt für einen Wechsel von Gasetagenheizungen zu erneuerbaren Energien oder Fernwärme“, so Charlotta Maiworm von BBH.
„Um die Mieten langfristig günstig zu halten, sollten diese Projekte genehmigt werden – allerdings nur unter bestimmten Auflagen oder Bedingungen, etwa dass die Kosten für Mieter*innen nicht höher sein dürfen als die Maßnahmen nach dem ordnungsrechtlichen Mindeststandard.“ Worauf Kommunen und Quartiersmanager dabei achten sollten, fasst das Forschungsteam in einem Leitfaden zusammen.
Alternative Wärmequellen
Um Ressourcen effizient einzusetzen und Energieimporte zu minimieren, müssen lokale Wärmequellen umfassend genutzt werden. Während manche Städte in einzelnen Bereichen große Potenziale haben, wie München bei der Geothermie und Hamburg bei der industriellen Abwärme, müssen andere Städte wie Berlin alle Potenziale ausschöpfen und einen breiten Mix aus Umweltwärmepumpen, gewerblicher Abwärme, Direktstromnutzung und Biomasse anstreben.
Eine Wärmequelle, die in allen Städten ganzjährig zur Verfügung steht und nur noch „angezapft“ werden muss, ist die Abwasserwärme: Sie könnte ein wichtiger Baustein im künftigen Energiemix sein und zum Beispiel in Berlin zukünftig bis zu fünf Prozent des Wärmebedarfs decken.
„Für ihre kommunale Wärmeplanung brauchen Städte Informationen darüber, wo und in welchem Umfang Abwasserwärme zur Verfügung steht und wie sie genutzt werden könnte“, sagt Michel Gunkel von den Berliner Wasserbetrieben. „Im Projekt ‚Urbane Wärmewende‘ haben wir diese Daten daher in einem geobasierten Tool – dem Abwasserwärmeatlas – aufbereitet, den wir derzeit in einer internen Testphase erproben.“
Wärmeplanung und Quartierswärmenetze
Die Informationen aus dem Abwasserwärmeatlas müssen für die Wärmeplanung mit anderen Daten wie etwa der Wärmenachfrage zusammengeführt werden. Ziel der Wärmeplanung ist es herauszufinden, wo mit welcher zukünftigen Wärmeversorgung Klimaneutralität am besten und kosteneffizientesten erreicht werden kann.
Quartierswärme ist dort sinnvoll, wo erneuerbare Wärme und Abwärmepotenziale die Bedarfe einzelner Gebäude überschreiten. „Um lokale Wärmequellen zu erschießen, spielen öffentliche Gebäude eine zentrale Rolle“, betont Dunkelberg. „Wenn dort zum Beispiel eine große Abwasserwärmepumpe installiert wird, kann diese über ein Quartierswärmenetz auch umliegende Häuser mitversorgen.“
Wann immer bei öffentlichen Gebäuden Heizungswechsel oder Sanierungen anstehen, sollte daher geprüft werden, ob ein Quartierswärmesystem möglich ist. Beispielberechnungen zeigen, dass mit der geplanten Bundesförderung für effiziente Wärmenetze Quartierswärme in der Nachbarschaft zu wettbewerbsfähigen Preisen angeboten werden kann. Die Forschenden schlagen zudem Maßnahmen für eine erleichterte Umsetzung vor – etwa Musterverträge und Kriterienkataloge.
Auf der Tagung „Urbane Wärmewende – Wie Städte sich klimaneutral mit Wärme versorgen können“ informierten sich Ende März über 300 Verwaltungsmitarbeitende und Quartiersmanager aus verschiedenen Städten über den aktuellen Forschungsstand zur urbanen Wärmewende. Leitfäden, Infografiken, Publikationen und Materialien zur Tagung finden Sie hier.