Negative Emissionen trotz enormem Energieaufwand Erneuerbare Energien aus der Atmosphäre ernten

Kohlenstoff und Wasserstoff aus Methan: Im Empa-Labor wird an einem Pyrolyseverfahren gearbeitet, das in einer Demonstrationsanlage im Tech Cluster Zug zum Einsatz kommen soll.

Bild: Empa
21.03.2024

Aus der Wüste in die Schweizer Industriehalle: Im Rahmen der neuen Empa-Forschungsinitiative „Mining the Atmosphere“ verfolgen Forschende das Ziel, erneuerbare Energie im „Sonnengürtel“ der Erde zu ernten, einige Male umzuwandeln und über weite Strecken dorthin zu transportieren, wo sie benötigt wird. Ein Blick auf die Energie- und Treibhausgasbilanzen zeigt: Das Konzept benötigt zwar viel Energie, kann aber insgesamt zu negativen CO2-Emissionen führen.

Die Industrie ist neben dem Gebäudepark und der Mobilität der drittgrößte Energieverbraucher der Schweiz. Insbesondere Hochtemperatur-Prozesse in der Metallverarbeitung und der chemischen Industrie, die oft mit Erdgas betrieben werden, führen zu einem Endenergieverbrauch dieses Sektors von jährlich rund 22 TWh. Gemeinsam mit dem Tech Cluster Zug, dem Kanton Zug und über einem Dutzend weiteren Partnern hat sich die Empa 2022 zum „Verein zur Dekarbonisierung der Industrie“ (VzDI) zusammengeschlossen. In diesem Rahmen wollen die Empa-Forschenden dazu beitragen, Hochtemperatur-Prozesswärme zu dekarbonisieren.

„Die Dekarbonisierung nehmen wir dabei wörtlich“, sagt Christian Bach, Abteilungsleiter Fahrzeugantriebssysteme der Empa. „Wir trennen durch ein Pyrolyseverfahren den Kohlenstoff im Erdgas vor der Verbrennung ab.“ Was bleibt, ist Wasserstoff, mit dem die industriellen Hochtemperaturprozesse betrieben werden können, und der abgetrennte Kohlenstoff in Pulverform, der für Anwendungen in der Bau- und Landwirtschaft weiterentwickelt werden soll. Eine entsprechende Demonstrationsanlage befindet sich in der Auslegungsphase und wird in den nächsten zwei Jahren in Zug aufgebaut. Der Wasserstoff wird dort dann im Emaillierungsofen der V-Zug genutzt.

Doppelte Sonneneinstrahlung

Verwendet man anstelle von Erdgas synthetisches Methan, dann lassen sich über den ganzen Prozess sogar negative Treibhausgasemissionen realisieren. Und zwar deshalb, weil für die Herstellung von synthetischem Methan CO2 aus der Atmosphäre entnommen wird, das nicht mehr emittiert, sondern in Form von festem Kohlenstoff zur Verfügung steht.

„Dass wir den gewaltigen Energiebedarf unserer Industrie durch eine inländische Produktion von erneuerbarem Wasserstoff oder synthetischem Methan decken können, ist allerdings nicht realistisch“, sagt Bach. Der Blick richtet sich deshalb in die Wüstenregionen der Erde, dorthin also, wo im Vergleich zur Schweiz eine doppelt so hohe Sonneneinstrahlung pro Quadratmeter erfolgt.

Ziel: Hochtemperaturwärme mit negativen Emissionen

Die Herstellung von synthetischem Methan in der Wüste, der Transport nach Europa und die anschließende Pyrolyse sind jedoch verlustbehaftete Prozesse. Entsprechend müssen die Energie- und Treibhausgasbilanzen des Gesamtprozesses genau unter die Lupe genommen werden. Bach und sein Team haben mit Vertretern des VzDI die ganze Versorgungskette analysiert und mit anderen Verfahren verglichen. Als Vergleichswert dient eine Megawattstunde (MWh) Hochtemperaturwärme für die Industrie.

Nutzt man zu deren Bereitstellung Erdgas, sind dazu 1,2-MWh-Primärenergie nötig, und es wird 288 kg CO2 (beziehungsweise CO2-Äquivalente) ausgestoßen. Die Primärenergie beinhaltet auch die Energie, die für die Förderung des Gases, zum Beispiel im Nahen Osten, und den Transport aufgewendet wird und berücksichtigt zudem die Verluste durch Methanschlupf. Etwa ein Fünftel der Emissionen entstehen bei der Bereitstellung des Erdgases, der Rest bei dessen Nutzung.

Wenn nun das Erdgas vor der energetischen Nutzung durch Pyrolyse dekarbonisiert und nur der dabei entstandene Wasserstoff für die Erzeugung der Hochtemperaturwärme genutzt wird, können die CO2-Emissionen insgesamt um 40 Prozent auf 178 kg gesenkt werden. Gleichzeitig steigt aber der Primärenergiebedarf an, weil mehr Erdgas erforderlich wird und weil zusätzlich Strom für die Pyrolyse nötig ist. 1 MWh Hochtemperaturwärme benötigt in diesem Szenario 2,6-MWh-Primärenergie.

Mehr Energie, weniger Emissionen

Wird nun anstelle von fossilem Erdgas erneuerbares synthetisches Methan verwendet, sinken die CO2-Emissionen tatsächlich in den negativen Bereich, allerdings steigt der Primärenergiebedarf weiter an. Die Bilanzierung beruht auf der Annahme, dass das CO2, das für die Herstellung des synthetischen Methans notwendig ist, mittels einer „Direct-Air-Capturing“-Anlage direkt aus der Atmosphäre gewonnen wird.

„Dazu ist ein hoher Energieaufwand nötig“, erklärt Bach und nennt damit auch gleich den Grund, weshalb er sich solche Anlagen vor allem in Wüstenregionen vorstellen kann. Kommt dazu, dass auch die Herstellung von Solar- und Windkraftanlagen mit Emissionen verbunden ist. Berücksichtigt man all diese Faktoren, resultiert bei einer direkten Nutzung von synthetischem Methan für die Erzeugung von 1-MWh-Hochtemperaturwärme ein Primärenergiebedarf von 3,5 MWh und Treibhausgasemissionen von 126 kg CO2. Trennt man nun allerdings mittels Pyrolyse den Kohlenstoff vom Wasserstoff ab und nutzt nur diesen Teil energetisch, wechselt die Emissionsbilanz ins Negative: Der gesamte Prozess führt zu negativen Emissionen von -77 kg CO2 – allerdings bei einem nochmals höheren Primärenergieaufwand von 6,2 MWh.

„Klar, der Primärenergieaufwand dieses Konzepts ist hoch, rund zweieinhalb bis drei Mal höher als bei der effizientesten Wasserstofferzeugung in der Schweiz“, räumt Bach ein. „Da aber pro Quadratmeter Photovoltaik in Wüstenregionen zwei bis zweieinhalb Mal mehr Strom erzeugt werden kann als bei uns, braucht dieser Ansatz kaum mehr Photovoltaik-Fläche.“ Eine Herausforderung seien die Kosten. Gelänge es jedoch, den Kohlenstoff als Rohstoff für nicht-energetische Anwendungen zu vermarkten, dann könnte der gesamte Prozess durchaus wirtschaftlich sein, ist Bach überzeugt.

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